Die Hoffnung Anfang 2021 war groß: Durch eine erfolgreiche Impfkampagne und weniger Reiserestriktionen sollte ab dem Sommer der Weg zurück zur Normalität gefunden werden. Die Buchungszahlen nahmen zu, und man sah Zuwächse nicht nur für den Sommer bei den Urlaubsreisen, sondern auch im wichtigen Segment der Geschäftsreisen.
Statusmeilen über die Kreditkarte plus einzelne Promotions sollten genügend Möglichkeiten bieten, damit bestehende Statuskunden ihren Vielfliegerstatus ohne größere Probleme halten können.
Auch beim Online-Event des Vielflieger:innen-Talk Mitte Juli wurde die Position wiederholt – für eine Statusverlängerung wurde ein gewisses Maß an Flugaktivitäten als Notwendigkeit unterstrichen.
Kehrtwende – erneute Statusverlängerung mit der Gießkanne
Erneut steigende Inzidenzwerte und wieder aufkommende Reisebeschränkungen – seit der Ausweisung von Spanien als Hochrisikogebiet Ende Juli ist klar, dass uns Corona noch länger fest im Griff haben wird. Die Absage der US-Regierung an eine zeitnahe Öffnung für Reisen aus dem Schengen-Raum war ein weiteres deutliches Zeichen, dass an vielen Stellen nicht mit einer zeitnahen Rückkehr zur Normalität zu rechnen ist.
Die optimistischen Prognosen aus dem ersten Halbjahr musste man bei Miles&More folglich revidieren, mit dem Ergebnis, dass geschätzt rund 60% der Statuskunden ihren Vielfliegerstatus wohl nicht verlängert hätten. Hinzu kam die Einschätzung, dass durch weitere auf Flugaktivitäten bezogene Aktionen keine nachhaltige Verbesserung dieses Wertes mehr möglich sein dürfte.
Die konsequente Schlussfolgerung: Miles&More wird deshalb den Vielfliegerstatus (erneut) automatisch um ein Jahr bis Februar 2023 verlängern, wenn der Statuserhalt in 2020 oder 2021 nicht erreicht wurde.
Auch der Verfall der E-Voucher wird für ein Jahr weiter ausgesetzt, um den Senatoren und HON Circle Membern entgegenzukommen.
Vielflieger, die ihre Statusverlängerung regulär bis Ende 2021 erreichen, wird der Status wie gewohnt um zwei Jahre bis Februar 2024 verlängert.
Stark unterschiedliche Bewertung durch die Kunden
Unterschiedlicher könnte die Bewertung der Maßnahmen durch die Kunden kaum sein. Kunden in Übersee beispielsweise, die seit gut 18 Monaten aufgrund von Einreiserestriktionen und Quarantänepflicht keine Möglichkeit zu Reisen hatten, begrüßen den Schritt.
Andere wiederum sehen es als Schlag ins Gesicht derer, die die Statusanforderungen trotz der widrigen Umstände während der Pandemie erfüllt haben.
Neid – oder berechtigte Kritik?
Spricht hier der Neid einzelner Vielflieger, weil andere Kunden gefühlt bessergestellt werden?
Vielleicht.
Aber eine kritische Betrachtung ist am Ende legitim, denn die Grundlage dafür haben die Vielfliegerprogramme über die Jahre durch ihre zahlreichen Programmänderungen sukzessive selbst geschaffen. Die marketingtechnisch als vermeintliche Verbesserungen verpackten Regeländerungen – im Vielfliegerjargon auch als „Enhancements“ bekannt – waren allzu oft davon getrieben, dass zu viele Kunden gewisse Leistungen nutzen und die Exklusivität gewahrt werden sollte bzw. die Kosten begrenzt werden sollten.
Sobald freies Reisen wieder möglich ist, besteht aufgrund der Maßnahmen zum Statuserhalt plus der Maßnahmen für zusätzliche Statusmeilen durchaus die Möglichkeit, dass plötzlich mehr Statuskunden unterwegs sind, als vor der Krise. Die damit einhergehenden möglichen Konsequenzen sind vielen Vielfliegern bestens bekannt.
Wer eine etwas längere Vielflieger-Karriere hinter sich hat, erinnert sich noch an wesentlich großzügigere Regelungen für die Mitnahme von Gästen in die Lounges am Flughafen – oder einer Vergabe von Upgrades bei Überbuchung primär nach Vielfliegerstatus und nicht nach dem Ticketwert.
Kunden, die ihren Status während der Corona-Krise durch konkrete Flugaktivitäten verlängern können bzw. bereits verlängert haben, dürfen das Verhalten der Airline also zu Recht zumindest kritisch hinterfragen.
Zwar ist die Geste all den loyalen Kunden gegenüber sicherlich richtig und auch notwendig, die Corona-bedingt nicht reisen können, weil wichtige Zielgebiete auf der Langstrecke wohl auch auf absehbare Zeit keinen freien Reiseverkehr zulassen. Zugleich erhalten aber auch Kunden ihre Statuskarte ein weiteres Mal um ein Jahr verlängert, die zuletzt 2017 die regulären Status-Anforderungen erfüllt haben.
Erneute Statuskulanz: Alternativlos
Auch wenn die Statusverlängerung nicht in jedem Einzelfall „fair“ erscheint, so ist sie im aktuellen Umfeld dennoch eines: Alternativlos.
Die größten Mitbewerber Flying Blue (Air France KLM) und Executive Club (BA) haben sich bereits wesentlich früher in diesem Jahr zu diesem Schritt entschlossen, und im Vergleich zu den Mitbewerbern wäre eine fehlende Statuskulanz nicht mehr allzu lange haltbar gewesen.
Verpasste Chance bei den aktiven Kunden
Mit der neuerlichen Kulanz für Vielflieger läuft Miles&More daher Gefahr, dass das an sich sehr solide und verlässliche Modell der Kundenbindung in Frage gestellt wird. In der Vergangenheit ist Lufthansa oft deutlich besser durch die Krisen gekommen als der Mitbewerb, da man auf treue Kunden zählen konnte. Doch diese Kunden erwarten an einem gewissen Punkt eben auch, dass Loyalität keine Einbahnstraße ist.
Es fehlt ein klares Signal der Wertschätzung für all diejenigen Fluggäste, die gerade jetzt während der Corona-Krise ihre Flugaktivitäten auf den Airlines der Lufthansa Group gebündelt haben und tatsächlich geflogen sind. Die dem Kranich und den anderen Konzern-Airlines in den schwierigen Zeiten trotz eingeschränktem Service-Angebot wie z.B. bei den Lounges dennoch treu geblieben sind.
Ohne ein solches Signal dürfen sich die „aktiven“ Kunden zu Recht fragen, warum sie sich weiterhin um ihren Status bemühen sollen. Denn es gibt eine durchaus naheliegende Alternative: Nach dem Best-Buy-Prinzip mit dem Carrier zu fliegen, der für die einzelne Reise das beste Preis-/Leistungsverhältnis hat.
Dabei dürften die Kunden, die trotz der Pandemie viel unterwegs sind, eigentlich besonders wertvoll sein. Während die großen Unternehmen weiterhin auf Zurückhaltung bei den Geschäftsreisen setzen, sind die Mitarbeiter zahlreicher kleiner und mittelständischer Unternehmen deutlich häufiger bereits unterwegs. Und aufgrund der fehlenden Volumina für einen Firmenvertrag wie die Großunternehmen oftmals auch zu teils deutlich teureren Tarifen. Genau diese Kunden – sowie die Privatreisenden im gehobenen Segment – sollte Lufthansa jetzt nicht vor den Kopf stoßen.
„Goodie“ in Aussicht
Für alle, die ihren Status regulär verlängert haben, soll nach Aussage der Programmverantwortlichen bei Miles&More noch ein „Goodie“ nachgeschoben werden. Ob eine solche Geste dann die Unzufriedenheit derjenigen Vielflieger beseitigen kann, die ihren Status bereits in 2020 oder 2021 regulär verlängert haben, bleibt abzuwarten.
Die Kommunikation ist hierzu leider wie während der gesamten Corona-Krise suboptimal: Hätte man das „Goodie“ zusammen mit der Statusverlängerung kommuniziert, wäre bei vielen „aktiven“ Kunden die Enttäuschung über die fehlende Wertschätzung vielleicht ausgeblieben.
Persönliches Fazit
Aus meiner Sicht war es legitim, dass Lufthansa in Erwartung einer schrittweise zurückkommenden Normalität zunächst nicht auf eine pauschale Statusverlängerung für alle Kunden gesetzt hat. Zugleich war aber auch klar, dass man damit einen anderen Weg als die wichtigsten Mitbewerber in Europa geht. Dementsprechend hätte ich mir von vorneherein ein anderes Bewusstsein erwartet, was ein Signal der Wertschätzung an den Kunden betrifft. In der Mail zur Status-Verlängerung führt man im selben Zuge die zweifelsfrei nun schrittweise zurückkommenden Premium-Services an – die aber immer noch spürbar vom Vor-Corona-Niveau entfernt sind und die man oftmals auch über das Ticket in Business bzw. First Class bereits mitbezahlt. Die schrittweise Wiedereinführung dieser Services kann eine adäquate Geste im Bereich von Miles&More also nur ergänzen, nicht ersetzen.