Ins Land der Huzulen

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unseen_shores

Erfahrenes Mitglied
30.10.2015
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Trans Balkan Express
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Nachdem wir in den letzten beiden Jahren auf unseren „Eisenbahntouren“ auf die Eisenbahnlangstrecke, d.h. auf die Verbindungen von Belgrad nach Bar bzw. von Kars nach Ankara gesetzt haben, fiel die Wahl in diesem Jahr auf eine abgelegene Dampfloklinie, die Wassertalbahn in Rumänien, in veränderter Zusammensetzung. Auf unserer Reise begleitete uns diesmal @juliuscaesar, von dessen Ortskenntnis ich auf der dem zweiten Teil der Reise sehr profitiert habe. Für den ersten Teil der Reise hat sich ergeben, dass ich irgendwie eher ungewöhnliche Besichtigungsorte ausgewählt habe. Ich hoffe, ich habe mich damit nicht als Reisebegleiter für künftige Touren ins Abseits gestellt. Falls ich künftig wieder vermehrt aleine unterwegs sein sollte, habe ich es wohl mit den Besichtigungsorten übertrieben.

Der eigentliche Schienenabenteuerteil wird sicherlich wieder hier opulent bebildert gezeigt, so dass der erste Teil meines Berichts eher als Teaser zu verstehen ist, der die Vorfreude wecken soll. Ich möchte mich da gar nicht als Konkurrenz verstehen.


Jedoch hatten wir bei einem unserer letzten Stammtische das Thema Reiseberichte und @Biohazard fragte, ob ich über der geplanten Reise nicht einen Bericht fertigen könnte. Denn es sollte auf aktuell ungewohnte Pfade gehen.

Ein Blick auf die Landkarte zeigte nämlich, dass das Wassertal direkt an der ukrainischen Grenze liegt und sich die Reise mit einem kurzen Sprung nach Czernowitz verbinden ließe, wo ich immer schon einmal hin wollte. Bis zum Sommer 2025 war die Situation dort auch relativ ruhig und sicher. Dies änderte sich nach einem russischen Luftangriff im Juli 2025. Czernowitz kam somit auf die Beobachtungsliste und wurde später aus verschiedenen Gründen gestrichen. Allerdings erhielt ich die Gelegenheit einen Vortrag an einer Hochschule in Ivano-Frankivsk zu halten, außerdem war ich über Julius‘ Angebot mir Ivano-Frankivsk zu zeigen, sehr angetan. Dieses Angebot wollte ich nach Möglichkeit annehmen, denn es war zu verlockend. Jedoch stand die Entscheidung bis zum Schluss auf dem Prüfstand, da es in der Nacht vor unserer Einreise heftige Luftangriffe in der gesamten Ukraine gab. Am Morgen zeigte die WarnApp Warnungen im gesamten Grenzgebiet an. Die Karpatenregion ist jedoch relativ sicher. Dennoch fuhr ich mit einem mulmigen Gefühl los, eine Entscheidung, die ich nicht bereut habe. Zum einen sind wir auf extreme Dankbarkeit gestoßen, weil wir trotz der Gesamtsituation an die örtliche Hochschule gekommen bin, zum anderen stecken die Karpaten voller Überraschungen. Die Planung wurde unterwegs noch etwas an die Gegebenheiten angepasst.

Auf Lobesbekundungen für einen abgehalfterten KGB-Agenten, der sich für einen guten Staatspräsidenten hält, bitte ich an dieser Stelle zu verzichten. Ich versuche ein Bild von der Lage vor Ort darzustellen. Natürlich sind die Gedanken frei, aber nicht jeder Gedanke muss zwingend verschriftlicht werden.

Teile der Reise gingen durch das Siedlungsgebiet der Huzulen. Die Huzulen sind ein ostslawisches Volk und mittlerweile ausgesprochen pro-ukrainisch.


Dies war nicht immer so, denn in der Gegend, in der wir uns bewegt haben, gab es immer mal wieder größere Grenzverschiebungen.

Eine der bekanntesten Vertreterin der Huzulen ist die Sängerin Ruslana.


Auf andere wertvolle Beiträge der huzulischen Kultur komme ich an anderer Stelle zurück.

Tag 1: LEJ-VIE-OTP

Los ging es am 1. Oktober nach der Arbeit, relativ unspektakulär mit der S-Bahn zum Leipziger Flughafen.

Die Lufthansa-Abfertigungsgesellschaft ASL hatte gerade ihre Tätigkeit eingestellt. Das Groundhandling übernimmt ein anderer Dienstleister. Da ich, wie bereits geschrieben, während meines Studiums selbst in der Passagierabfertigung gearbeitet habe, war das ein trauriger Anblick. Auch nach vielen Jahren habe ich die kurzen Gespräche mit den ehemaligen Kollegen sehr geschätzt. Auch wurde mir, als ich selbst unterwegs war, gelegentlich mit meinen Problemen geholfen.



Ein trauriges Foto. Ein Grund weniger, ab dem LEJ zu fliegen.

Für mich ging es mit unseren österreichischen Freunden bzw. mit deren Auftragnehmer Braathens über Wien weiter nach Bukarest. Ein Prämienticket, das noch zu alten Konditionen gebucht wurde, musste noch abgeflogen werden. Eine anschließende Evaluierung der Pläne hat ergeben, dass eine Zugfahrt nach Nürnberg und das Besteigens eines Flugzeugs von Wizz wohl weniger aufwändig gewesen wäre. Doch wir sind ja hier im VFT. Daher sind drei Segmente besser als eins.

Nachts in Bukarest angekommen, musste ich mich noch ins Ibis-Styles in Flughafennähe durchschlagen. Die Taxis direkt am Flughafen riefen stolze Preise auf, mit einem Taxifahrer, der etwas abseits stand, wurde ich handelseinig. Ich kam Mitten in der Nacht an. Diese sollte sehr kurz werden, denn das letzte Flugsegment stand gleich am frühen Morgen an.

Auch Besichtigungszeiten müssen optimiert werden, deshalb werden die Flüge in die Tagesrandzeiten gepackt.
 
Zuletzt bearbeitet:

juliuscaesar

Megaposter
12.06.2014
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FRA
Danke @unseen_shores , dass du diesen Reisebericht startest, gerne beteilige ich mich daran. Die Anreise nach Rumänien meinerseits begann mit der Deutschen Bahn, kurzes Frühstück in der DB Lounge am Frankfurter HBF:
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und Weiterfahrt nach Mainz HBF. Von dort FlixBus in 1:00h zum Flughafen Hahn, um dann mit Wizz HHN-CLJ zu fliegen. Am Gate kam es zu chaotischen Szenen, weil Wizz scheinbar wegen Aircraft Change A321 -> A320 stark überbucht war und ~ 40 Pax stehen gelassen wurden. Die Gatemitarbeiterin sagte, dass das häufiger vorkomme und schon mal 65 Pax zurück bleiben mussten. Glücklicherweise konnte ich mitfliegen

Der Wizz Flug nach Cluj selbst verlief einwandfrei mit netter Crew:
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Nach der Landung in CLJ traf ich @unseen_shores und @schlepper und wir begannen unsere gemeinsame Erkundung der Innenstadt mit leckerem Abendessen.
 

schlepper

Erfahrenes Mitglied
31.08.2016
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Na gut, dann hänge ich mich hier auch mal rein, meine Anreise begann standesgemäß mit meiner Arbeitgeberin bis Nemberch Hbf, wo ich zu bester fränkischer Küche und dem von mir favorisiertem Gutmann (das dunkle, bei uns in der Gegend so gut wie gar nicht zu bekommen) gemeinsam mit dem Mitstreiter der bereits erwähnten Reisen der letzten zwei Jahre @red_travels ins Bruderherz ging.
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Nach dem Essen wurde ich noch zur U-Bahn gebracht, mit dieser ging es zum Albrecht Dürer und mit Wizz Air nach Cluj Napoca. Ankunft in der Nacht gegen 01:00 Uhr, ich brauchte zum Glück nur die Straßenseite wechseln und war direkt in meiner Herberge für den Rest der Nacht, dem Sky Airport Hotel, welches sich als sehr modern herausstellte.
 

unseen_shores

Erfahrenes Mitglied
30.10.2015
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Trans Balkan Express
Interessantes Format:) Da reise ich mit...

Diese setzt mich aber etwas unter Druck. Denn zunächst war nicht klat, ob ich es rechtzeitg nach Cluj-Napoca schaffe:

Tag 2: Treffen in Cluj-Napoca

Am nächsten Morgen flog ich nach Cluj-Napoca. Es ging mit einem Fehlstart los. Das angekündigte frühe Frühstück bestand aus einer Banane und einem Kaffee. Die Dame an der Rezeption schaffte es auch nicht, alle Gäste für den Flughafentransfer zu melden, so dass dieser fast ohne drei andere Gäste und mich abgefahren wäre. Jedoch konnte ich den Fahrer noch aufhalten, so dass einer pünktlichen Abreise nichts im Wege stand.

In Bukarest regnete es. Regen sollte ein treuer Begleiter auf dieser Reise werden, d.h. eigentlich waren wir die meiste Zeit zu viert unterwegs

Abflug vom OTP:

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Am Flughafen CLU traf ich mich mit dem @schlepper. Wir holten den Mietwagen ab, begaben uns in die Stadt und suchten nach einem Parkplatz. Die Stadt ist mit Autos verstopft, die Parkplatzsuche gestaltete sich als problematisch. Danach noch etwas Sightseeing, wobei ich an dieser Stelle nicht zu sehr spoilern möchte, sondern mich auf einige Perlen der Stadt beschränke.


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Der erste Eindruck

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Matthias-Corvinus-Statue


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Denkmal für die Memorandisten, die sich im Jahr 1892 für die Stärkung der rumänischen Sprache einsetzten.


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Neu errichtetes Woodrow-Wilson-Denkmal. Das Denkmal wurde Ende vergangenen Jahres eingeweiht und soll Wilsons Verdienste um die Zugehörigkeit Siebenbürgens zu Rumänien würdigen. Für die Kategorie unnützes Wissen: Woodrow Wilson Denkmäler scheint es hauptsächlich in den Ländern zu geben, die in den Pariser Vorortverträgen nach dem Ende des ersten Weltkriegs gut weg gekommen sind. Das wohl größte Woodrow Wilson Denkmal steht in Prag. Sollte ich falsch liegen und jemand ein Woodrow Wilson Denkmal in Ungarn entdeckt haben, bitte gerne hier teilen. Man lernt ja bekanntlich nie aus.

Für wen, wo welches Denkmal steht, finde ich immer spannend. Die Reise sollte diesbezüglich noch weitere Erkenntnisse bringen. Man kann immer etwas über grenzüberschreitende Toleranz lernen.

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Moldauischer Wojwode vor einer Architkturperle.


Abends holten wir Julius vom Flughafen ab. Da ich mich immer in den Dienst der Gruppe stelle und nur der Beifahrer war, hatte ich mich vorher beim Mittagessen geopfert und alle Gratiswodkas alleine getrunken. Verkehrssicherheit geht vor. Das Mittagessen war Übrigens hervorragend in einer abgelegenen Kaschemme.

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unseen_shores

Erfahrenes Mitglied
30.10.2015
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Trans Balkan Express
Tag 3: Bistrița

Am nächsten Morgen stand die erste gemeinsame Etappe an. Erstes Reiseziel war das rumänische Bistrița (Bistritz). Die Stadt liegt etwa zwei Fahrstunden nördlich von Cluj und wird den sieben Burgen Siebenbürgens zugeordnet.

Da unsere Reisen unter dem Thema Eisenbahn stehen, lotste ich den Fahrer in die Nähe des Nordbahnhofs, wo eine alte Dampflok zu finden ist.


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Wir schauten uns kurz auf dem Bahnhof um und liefen dann weiter in die Stadt.

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Zunächst kamen wir an einem Denkmal von Mihai Eminescu, dem rumänischen Nationaldichter vorbei. Eminescu ist wohl in jeder Stadt Rumäniens zu sehen, ebenso in den Nachbarländern Moldau und überraschenderweise auch der Ukraine (dazu später).

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Die Stadt Bistritz wurde im 12. Jahrhundert von deutschen Siedlern gegründet wirkt recht verschlafen.

Wir liefen durch die Altstadt in Richtung Museum.

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Evangelische Kirche, diese hat einen deutschen Pfarrer


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Katholische Kirche



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Das Museum hat vier Abteilungen. Wir entschieden uns für die Abteilungen Geschichte und Völkerkunde.

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Die Reformation erreichte Sibenbürgen sehr früh.

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Alter Tonträger aus meiner Heimatstadt.


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In der Nähe des Museums befindet sich die Synagoge des Ortes, die heute als Kulturzentrum genutzt wird.

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Direkt davor befindet sich ein Denkmal für die im Jahr 1944 ermordeten Juden der Region.

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Das Jahr 1944 war das tödlichste in der Region. Bistritz wurde im Jahr 1944 Ungarn zugeordnet. Im Frühjahr 1944 fiel die Entscheidung zur Ermordung der „ungarischen“ Jude, die gründlich von Adolf Eichmann und seinen Helfern umgesetzt wurde. Im April 1944 brachen die slowakischen Juden Rudolf Vrba und Paul Wetzler aus Auschwitz aus, um vor dem Vernichtungsplan zu warnen. Sie schafften es durch Polen bis nach Zilina, wo sie verschiedene Personen warnten. Leider blieb die Warnung folgenlos. Das Ausmaß der Vernichtung über das Gebiet des heutigen Ungarns hinaus sieht man auf den Gedenksteinen. Was im Einzelnen mit den Informationen Vrba und Wezlers passierte, darüber streiten die Historiker. Nachlesen kann man dies bei Hannah Arendt bzw. bei Vrba selbst. Die Zahlen sind erschütternd. Die Spuren jüdischen Lebens findet man immer noch mehr oder weniger versteckt in die Gegend.

Wir liefen nach einer Pause zurück zum Auto.

Ein Relief am Staatsarchiv. Dieses liegt praktischerweise neben der Securitate.

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Für uns ging es nach einer umfangreichen Geschichtslektion weiter in Richtung der Berge. Unser Freund der Regen gesellte sich wieder zu uns.
 

juliuscaesar

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12.06.2014
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FRA
Auffällig sind in Rumänien die vielen EU-Flaggen neben der rumänischen Flagge:

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Bistritz ist wirklich verschlafen, hat aber einen wunderschönen mittelalterlichen Stadtkern:
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Das Wagenmaterial der rumänischen Eisenbahn besteht zum Teil aus ausgemusterten westdeutschen Wagen, teilweise ist sogar noch die „DB“ oder „bayerische xyz-Bahn“ Lackierung erhalten:
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schlepper

Erfahrenes Mitglied
31.08.2016
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Das Wagenmaterial der rumänischen Eisenbahn besteht zum Teil aus ausgemusterten westdeutschen Wagen, teilweise ist sogar noch die „DB“ oder „bayerische xyz-Bahn“ Lackierung erhalten:
Wenn meine Erinnerung nicht trügt, verrichtete dieses Exemplar Ende der 90er Jahre seinen Dienst im Limburger Raum.
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Auch sonst stand hier noch einiges Material rum.
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Und noch ein 628:
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Das Museum hat vier Abteilungen.
... und einen schönen Innenhof, in dem heute ein Flohmarkt stattfindet, wo gespendete Kleidung und Spielsachen aus Österreich verkauft werden.
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