KANTONESE auf Zeit - 2 Monate Hongkong

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Notausgang

Reguläres Mitglied
18.03.2023
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BER
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Guuten Abend!
Auf meiner letzten längeren Reise (COUCHSURFING in Japan) hatte ich genug Zeit, mir ein Praktikum in Hong Kong zu organisieren. Zwar ist das keine klassische Reise mit nonstop Urlaubsspaß, aber am Ende hatte ich dann doch tatsächlich mehr als genug Erleuchtungen, die einen Reisebericht rechtfertigen. Vor der Reise habe ich (anders als sonst) bewusst absolut nichts zu HK recherchiert, nachgelesen oder mich informiert. Neben Hong Kong wurde dann natürlich auch ShenZhen, Macao, Manila und Taipeh ausgekundschaftet; aber dazu später mehr. Wie es sich für einen guten Bericht gehört, gibt es auch hier eine Superlative: 2 Monate sind das längste, was ich bisher im Ausland verbracht habe. Die Abschnitte kommen nach und nach in den nächsten Tagen 🙂

Abschnitte
Juli - Mist, ich glaube hier durften wir gar nicht hochwandern
Juli - China ist naja - China ist okay - China ist der Hammer [Part 1] [Part 2]
Juli - Habt ihr noch nie einen Ausländer gesehen oder was?
Juli - Taipeh ist Durchfall und erzeugt Durchfall
Aug - Ich hab den Teufel getroffen - in Macau
Aug - Warum tanzt ihr? Ihr habt nichtmal Trinkwasser - (Manila, Philippinen)
Aug - Chinesen sind so unendlich hilfsbereit & rücksichtslos


Viel Spaß :)

🇭🇰🇨🇳🇲🇴🇵🇭

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Zuletzt bearbeitet:

Bayer59

Erfahrenes Mitglied
18.09.2013
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Das klingt sehr spannend und lesenswert. Ich bin sehr gerne dabei. Hongkong, nicht lachen, war ich das letzte Mal 1994.
 
  • Wow
Reaktionen: Notausgang

Notausgang

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BER

Mist, ich glaube hier durften wir gar nicht hochwandern


BER ✈︎ HKG

29. Juni 2025. Ich bereite mich mental darauf vor, meine letzte Reise ex Berlin anzutreten. Die Koffer sind gepackt, ein letztes gemeinsames Mittagessen ist verspeist und ich bin eingecheckt. Es sind ekelige 30 Grad, aber in ein paar Tagen werde ich darüber nur noch lachen können. Kurz nach 16:00 bringt mich ein guter Freund zum BER. Ich hieve den größten Koffer seit über 3 Jahren auf das Checkin Band, bekomme den schäbigsten Bordingpass der ganzen Reise und warte am Gate auf meinen Abflug nach Frankfurt. Zum Glück hat die Security wieder eine grimmige Mine drauf. Es gab eine kurze Zeit am BER, wo immer freundlich gelächelt wurde, untermalt von einem "Herzlich :D WillkommenamBER :D ichmüsstesieeinmalabtasten :D". Das war so unangenehm freundlich und langsam, ich bin froh, dass sie wieder zu grimmiger Effizienz übergegangen sind.

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In einem A340-600 ging es dann von Frankfurt binnen 11h direkt nach Hong Kong. Das Essen war Lufthansa-typisch Katastrophe, aber dazu kommt im letzten Abschnitt nochmal eine Tirade; was die auf dem Rückflug fabriziert haben ging wirklich überhaupt nicht (auch nicht für Economy Basic Light Standard Mini). Die Einreise war relativ uninteressant, außer dass mich schon in den ersten 10min der Freiheit die absurde Dichte von sehr hohen Gebäuden überrascht hat. Ich hatte mich wie gesagt bewusst nicht zu Hong Kong informiert, um das ganze wie eine Surprise-Reise zu verpacken. Das einzige was ich wusste: Es gab mal einen sehr dichten graubereich-kriminellen Stadtbezirk namens Kowloon Walled City. Entsprechend überrascht war ich dann, dass mein Zimmer für die nächsten 2 Monate in Kowloon ist; und dass die Aussicht so gut ist:

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Das Zimmer wurde vom Arbeitgeber organisiert, Mitspracherecht hatte ich da keins. Stattdessen wurde ich mit 2 anderen Praktikanten (aus Slowenien und Belgien) in ein ca. 18qm großes Zimmer gequetscht. Immerhin hatte jeder einen Schreibtisch und es war angenehm kühl. Die erste Amtshandlung war klar und vorher ausgiebig geplant: Einkaufen. Ich bin direkt nach Mong Kok und zum Festival Walk (Mall) gefahren, um mir ein paar Sachen zu besorgen. Vor allem ein USB-C Ladestecker für Hong Kong (ich bin kein Adapterfan), eine Apple Watch (ist hier ca. 20% günstiger als in Deutschland) und ein paar Lebensmittel, um die ersten Tage zu überbrücken. Tatsächlich hatte dieses Zimmer aber keine Küche (juhu). Gemeinsam mit 2 anderen Zimmern (und Praktikanten aus Polen und der Türkei) haben wir uns einen Vorflur mit Sanitäranlagen geteilt - der hatte aber auch keine Küche. Stattdessen war irgendwo in einer Ecke auf dem Flügel ein Waschbecken mit einem (!) Campingherd. Ich hab mich am Anfang ehrlich gefühlt wie ein Gastarbeiter (die Sorte Gastarbeiter, die in Katar Stadien bauen müssen). Aber egal! Die Aussicht war Hammer, ich war in einer neuen Stadt, es gibt viel zu Entdecken, der Flughafen ist hervorragend angebunden und ich habe eine Metrostation in unmittelbarer Nähe. Apropos Flughafen; das ist mein persönliches Top-3 Flughafenranking:

Kriterium: Ausgeschüttete Glückshormone beim Betreten
1. BER
2. HKG
3. LGA

Die letzten Plätze belegen JFK, STN, MNL und TPE. Ach ja und CAI ist auch solala.

Nach meiner kurzen Shoppingtour hatte ich die Ehre, meine Zimmergenossen kennen zu lernen. Sogleich ging es dann auch auf die Suche nach etwas zu Essen. Was mir auch direkt aufgefallen ist: Die Menschen hier laufen SEHR komisch. Die rennen mich um, die rennen sich gegenseitig um, die stolpern über sich selbst; und die sind alle so unglaublich grimmig? Wäre ich aber vielleicht auch, wenn mein Land am Aussterben wäre. Alleine seit 2020 sind gut sechsstellig Bewohner abgewandert, ein Drittel der Bevölkerung gibt an, dieses Ziel aktuell zu verfolgen. Na Mensch.

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Obwohl ich mich kaum informiert habe, wurde mir gesagt, die Hygiene sei ganz allgemein eher solala in China. Joa, in HK auch. Nicht nur, dass frisches Fleisch offen auf der Straße hängt oder man Seife oft vergeblich sucht, auch fühlt man sich richtig unbehaglich an der frischen Luft. Es sind deutlich über 30 Grad, extreme Luftfeuchte und in HK liegt so ein staubig Schmutzgefühl in der Luft. Auch die Gebäude haben die besten Tage wohl schon hinter sich.

Am nächsten Tag ging es mit dem Slowenen auf eine Wanderung: zur Suicide Cliff. Es war dunkel, hatte gerade geregnet und eigentlich dauerhaft 100% Steigung. Auch die Warnschilder a lá "many accidents here!" haben uns nicht wirklich aufgehalten. Rückblickend war das extrem dumm, vor allem, weil wir kein Licht dabei hatten (nur Handy). Wir haben auch keine direkte öffentliche Route genommen, sondern sind irgendwo an der Seite den Berg ohne festen Weg hochgeschwitzt. Outdooractive hat wohl gelogen, den angegebenen Wanderweg gibt es gar nicht. Als wir dann aber zum ersten mal den Kopf auf dem Gebüsch erheben konnten, war jeder Zweifel verflogen: Der Ausblick war der Hammer.

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Das Leuchten der ganzen Stadt bei Nacht mit eigenen Augen zu sehen war schon überwältigend. Überhaupt ein Foto zu schießen wird dem eigentlich nicht gerecht. Das war ja auch nicht auf irgendeiner Aussichtsplatform mit Seilbahn oder so; wir standen mit den durchseichten Füßen im nassen Gebüsch beim Versuch, das Handy mit den dreckigen und schwitzigen Fingern noch irgendwie zu bedienen. Und: dank Wind war es oben auch angenehm kühl. Wir waren aber noch nicht ganz oben, also ging es schnurstracks weiter. Schnurstracks heißt hier mit regelmäßigem ausrutschen und leerer werdendem Handyakku.

Während wir uns langsam der Spitze nähern, macht sich ein ungutes Gefühl breit. Hier oben ist scheinbar eine Radiostation oder so etwas? Ein Haus mit gigantischer Antenne, bedrohlichen Lichtern , dumpfen Brummen und Fenstern, in denen Licht brennt und sicht definitiv jemand aufhält. Ein Helipad gab es auch noch.

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Die Wege sahen ab hier so gut aus, dass das schon recht eindeutig keine öffentlich große Wanderroute war. Auch wenn wir uns erst nicht getraut hatten: Irgendwie müssen wir ja wieder runter. Und den Hinweg können wir nicht zurück, das wäre zu gefährlich bei dem Wetter. Suuper- nach einigem hin und her zwischen Antenne und Helipad (und der Sorge, dass gleich ein Polizeihelikopter kommt - schließlich war genau heute der 28. Geburtstag der HK SAR und wir haben hier nicht so viel zu suchen) haben wir schließlich den weiteren Weg gefunden. Und der sah zur Abwechslung dann doch mal nach Wanderweg aus (wenn auch ein echt schlechter). Nach einer weiteren Stunde an Gräbern vorbei haben wir langsam Autos gehört. Mega! Jetzt nur noch zur Busstation und nach Hause

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Da mein Wanderpartner Slowene war, ich ehrlicherweise aber kaum etwas über Slowenien wusste, war diese kurze Wandertour auch eine Art Bildungstrip für mich. Und für ihn. Nach den zwei Monaten will ich aber unbedingt mal nach Slowenien; eine erste Adresse habe ich ja jetzt immerhin schon.
Auf dieser Wanderung habe ich die frisch gekaufte Apple Watch nicht nur eingeweiht, sondern ihr auch den ersten fetten Steinschlag verpasst. Es war wie gesagt dunkle, rutschig und ein Naturweg, da hat einmal ungünstig rutschen schon gereicht. Ich finde allgemein die Mentalität in der Region Hammer, dass oft einfach der einfachste Weg gewählt wird, nicht der korrekteste. Ich bin am nächsten Tag zurück zum Apple Store und habe nachgefragt, wie viel die Reparatur kosten würde: 200€, aber sie könnte mich auch einfach in das Insurance Programm (Care+) aufnehmen. "Für den unwahrscheinlichen Fall eines komplett gesplitterten Displays würde ich dann für 50€ direkt ein neues Gerät erhalten ;)zwinker zwinker ;);)"
(Ich habe übrigens gehört, dass es echt erstaunlich schwer ist, das Display absichtlich komplett zu splittern. Also habe ich gehört, habe ich keine Erfahrung mit)

Nachdem wir mit Bus und MTR endlich wieder Zuhause waren, geduscht waren und alles in die Waschmaschine gehievt wurde, ging es auch endlich ins Bett. Hong Kong hat übrigens auch eine der besten ÖPNV-Karten, die ich bisher gesehen habe: 🎆 Octopus . Gibt es digital, physisch, kann man überall und auf X Arten aufladen und damit bezahlen. Ohne Anmeldung. Fast wie eine sehr gute Version von digitalem Bargeld. Ansonsten ziemlich identisch zur Suica/Icoca/whateverICA in Japan.

Arbeit

Ich war hier ja nicht zum flanieren, sondern zum arbeiten. Das war auch der Grund, warum wir die Wanderung noch schnell vorm ersten Arbeitstag reingequetscht haben; danach würde es ja bestimmt stressig werden. Der Dienstag war unglaublich warm und feucht. Es war wirklich ekelig. Lustigerweise waren der Slowene, der Türke und ich in der selben Abteilung Praktikanten. Entsprechend bekamen wir auch die selbe Einführung vom selben Supervisor: Ein Russe. Und was für einer. Gefühlte 2,30m groß, unglaublich stämmig gebaut, druidenartig tiefe Stimme. Er sah in der Umgebung wirklich sehr unpassend aus - fast wie bei Alice im Wunderland oder sowas. Er schien auch stark unter den eher kleiner geratenen Tischen und Stühlen zu leiden. Beim Essen macht er sehr klar: "Hände waschen. Hände waschen!!!!! Legt diese Gewohnheit nicht ab, nur weil die Chinesen das hier nicht machen. Die haben 1000 Krankheiten nur deswegen.". Die Chinesen am Tisch haben nur beschämt gelächelt und irgendwas auf Chinesisch gesagt.

Die nächsten Tage bestanden dann auch tatsächlich erstmal aus Arbeit. Ich habe meine Geräte mit WeChat infiziert, langsam meine Metrostationen und Routen verinnerlicht und mich daran gewöhnt, dass ich eine Weile keine Käsebrot essen werde - es gibt hier nämlich weder ordentlichen Käse noch Brot. (Später habe ich endlich das Bakehouse entdeckt - das Brot war echt sehr gut, dicke Empfehlung). Was mir aber inzwischen auch aufgefallen ist: Die sprechen hier zwar alle irgendwie Englisch, aber ein anderes Englisch. HK-Englisch. Oder Hong Kenglisch. Oder Kantonenglisch oder sowas. Man versteht zwar praktisch alles was sie sagen, aber jede Übersetzung wirkt immer ein kleinwenig schief. Ich habe leider nicht so viele Beispiele, die ich veröffentlichen kann, aber trotzdem:

Nein nein, das ist kein Laufband oder ein Fahrsteig, das ist ein Travelator.
Nein nein, das ist kein driverless train, das ist ein Automated People Mover.

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Was auch sehr interessant war: Jedes mal, wenn ich ich die Nase geputzt habe (so wie man das in unseren Breiten macht: Trompetenartig in ein Einwegtuch entladen), wurde ich äußerst kritisch angeschaut. Zwar habe ich das dann nur noch in ruhigen Ecken oder auf Toilette gemacht, umso mehr haben mich aber die Geräusche (vor allem auf der) Toilette überrascht: Selbst an den Pissoirs wurden im Kanon die Mitinsassen mit einem lauten Kratzgeräusch darüber informiert, dass die Kehle einer Reinigung bedarf. In Mainland China hat das nochmal neue Höhen erreicht, wo nebenher auf der Toilette (= Loch im Boden zum drüberhocken) eine Kombination aus Zigarette und Xiaohongshu auf voller Lautstärke konsumiert wurde. Aber dazu später mehr.

Es war endlich Wochenende! Zeit für eine Wanderung ;)

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Von Lam Tin Station über TKO ging es zum Clear Water Bay Second Beach. Ein überfüllter (Bild habe ich nicht) aber idyllischer Strand fernab jeder Metrostation. Schön. Können wir jetzt gehen? Ich bin eigentlich nur für die 14km an Wanderstrecke gekommen. Nicht für den Strand. Sehr schöne Strecke übrigens, über zwei Berge hinweg, sehr leer, sehr schön, etcetc

In TKO (Tseung Kwan O, siehe oben) gibt es eine überwältigende Dichte an sehr hohen Häusern. Das sind so viele, dass man sich drei Sachen fragt:

1. Wie
2. Was, wenn es da brennt?
3. Warum sind die Straßen trotzdem so leer?


In Deutschland assoziiert man so Massenklopper ja eher mit günstigem/sozialem Wohnraum, den man nur dann nimmt, wenn es das Mietbudget nicht anders hergibt. Hier scheinen diese Wohnungen tatsächlich relativ begehrt und teuer zu sein. Gut, okay, in Hong Kong ist Wohnraum allgemein absurd teuer, weil der Staat mit verkauftem Land sein Geld verdient oder sowas. Immerhin ist dafür die MTR (Metro) sehr günstig; auch wenn ich nicht verstehe warum das Ding so krass früh schließen muss. Einmal bin ich kurz vor Mitternacht nach TST losgejoggt, um den letzten Zug zu bekommen. Nur mit Uhr und Octopuskarte. Leider wurden die Eingänge schon 10 Minuten vor der letzten Bahn geschlossen (häääää??!?!!?), also stand ich dann im Regen irgendwie da. Ich hatte auch nichts mit Internet dabei, also war die beste Option, auf den nächsten Bus zu warten und zu hoffen, dass der grob in die richtige Richtung fährt. Irgendwann tauchte ein Basketballspieler (unschwer an der Uniform zu erkennen) Mitte 20 mit Einkaufstüten auf, der ebenfalls auf irgendeinen Bus wartete.

Ich: "Sorry, kurze Frage: Weißt du, welcher Bus als nächstes grob Richtung [XYZ] fährt?"
Er: "Ohhhhh ja kein Problem, Moment warte kein Problem, eine Sekunde einen Moment ich schaue Sekunde"
Er kramt hektisch die passende App raus.
Er: "Wohin exakt willst du nochmal?"
Ich: "[XYZ]"
Er: "Ja da muss ich auch hin, komm einfach mit!"
Die nächsten 20min haben wir uns ausgiebig unterhalten und schließlich Kontaktdaten ausgetauscht. Er war überglücklich, sich mal mit einem Ausländer zu unterhalten - die gibt es hier entweder kaum oder sie sind komisch. Ahja

Kurze Randnotiz dazu: Ausländer gibt es schon einige, aber tatsächlich erstaunlich wenige (Ausländer = nicht HK & nicht Mainland, wahlweise auch einfach nicht Asiatisch). Auf jeden Fall ausreichend wenige, dass man hier schon fast gruselig oft angestarrt wird. Vor allem Senioren haben da eine besonders niedrige Hemmschwelle.
Die nächsten Tage waren geprägt von Pflicht-To Dos und Standard-Touri Attraktionen. Das gibt es in tausendfacher Ausführung schon, daher überspringe ich das hier mal. Als nächstes kommt mein persönlicher Lieblingspart: Mainland China. Und das Burnerphone, was ich mir zum Betreten besorgt habe.
 

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Notausgang

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BER
Das Leben ist passiert, MUC ist jetzt mein Heimatflughafen und fast ein Monat ist vergangen. Aber es gibt noch viel zu erzählen zu Hong Kong, daher:

China ist naja - China ist okay - China ist der HAMMER [1]

"Wir wollen nach Shenzhen heute, kommst du mit?", werde ich vom Polen gefragt. Ich will seit Ewigkeiten mal nach Shenzhen, jetzt wo das so nah dran ist, warte ich nur auf einen freien Tag dafür. Trotzdem entgegne ich verwundert: "Es ist doch schon 15 Uhr? Was wollt ihr jetzt noch dahin fahren? Seid ihr überhaupt vorbereitet?"

Kurzer Geographie-Einschub: Oft wurde ich von Freunden und Verwandten gefragt, ob ich mit HK denn jetzt nun in China sei oder nicht. Den China-Experten im Forum wird das sowieso klar sein, aber der Vollständigkeit halber will ich es trotzdem nochmal erwähnen: Hong Kong war 1842 bis 1997 eine britische Kolonie. Deswegen sind Amtssprachen dort auch Kantonesisch (Chinesisch) und Englisch. Auch Kulturell sind die Hong Konger minimal anders als Festland-Chinesen, zumindest betonen sie das bei wirklich jeder Gelegenheit. Festland-Chinesen sind die im "eigentlichen China". Auch wenn die Kolonie Hong Kong 1997 an China zurückgegeben wurde (und damit de-facto auch irgendwie China ist), wird sie noch bis 2047 als Sonderverwaltungszone betrieben, um da einen fließenden Übergang oder sowas zu haben keine Ahnung

Oder in einfacher Sprache: Hong Kong gehört China, hat aber abweichende Amtssprachen, eine eigene Währung, eigene (offenere) Einreisebestimmungen eigene (viel bessere) Reisepässe, eigene politische Strukturen (die am Ende trotzdem Peking unterstellt sind) und und und. Möchte man zwischen HK<->Mainland hin und her, muss man durch eine Grenzkontrolle. Aktuell ist die für viele Länder temporär komplett Visa-free.


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Symbolbild: Dicke Grenze; der Provinzname Guangdong (ehem. Kanton) hängt mit dem Namen der Sprache Kantonesisch zusammen

Von unserer Station in Kowloon bis nach Shenzhen braucht man ungefähr 40min. Das ist angenehm wenig. Trotzdem ist die chinesische Grenzen sehr von Mythen umwoben, wenn man sich mal die Schlagzeilen ansieht. Entsprechend verwundert war ich auch, dass der Pole unbedingt heute gehen wollte; auf Nachfrage wurde mir aber klar warum: Er braucht sein Nikotin, was er in HK nicht bekommt, im Mainland aber schon. Ich frage Ihn, wie er gedenkt zu bezahlen; "I have my credit card I'll be alright" . Dann erkläre ich ihm, dass er damit nicht weit kommen wird, mindestens WeChat Pay oder Alipay sollte er schon haben. Diese Aussage allein hat ihm gereicht, den Ausflug auf den nächsten Tag zu verschieben. Und es hat mir Zeit gegeben, mich um ein Burnerphone zu kümmern!
Nach langem hin und her habe ich mich dazu entschieden, ein günstiges Xiaomi-Phone im Markt zu besorgen, um nicht direkt mein iPhone (Haupttelefon) mitzunehmen. Auch wenn mir das irgendwie übertrieben schien, war es mir der Peace of Mind nach schlechten USA-Einreiseerfahrungen die 60€ durchaus wert. So haben wir uns dann am Sonntag als burgunderrote Reisegruppe auf zur Grenze gemacht - und waren schon etwas aufgeregt. Das ist jetzt das richtige China. Nichts mehr mit Englisch. Zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, komplett eigene Kultur und Gepflogenheiten. Und die Grenze wirkt schon irgendwie bedrohlich..

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Ok, im Nachhinein war die Aufregung komplett unnötig. Das war mit Abstand die entspannteste nicht-EU Einreiseerfahrung, die ich dieses Jahr hinter mich bringen durfte. Kein komisches Scannen von QR-Codes mit Online-Immi-Formularen, die nicht laden wollen (ja, ich meine dich, Taiwan), extrem kurze Schlangen, und vor allem: Die platzieren den Stempel platzsparend. DIE PLATZIEREN DEN STEMPEL PLATZSPAREND. Wie eine eins sind (inzwischen 10) China-Stempel auf zwei Seiten gequetscht, wärend Beamte in vielen anderen nicht-EU Ländern den kompletten Reisepass verhunzen; fast so, als gäbe es einen Wettbewerb untereinander, wer am meisten Seiten verschwenden, am undeutlichsten Stempeln und den Stempel am schiefsten platzieren könne. Ach ja, und das Burnerphone war unglaublich unnötig. Ich habe mich den restlichen Tag ein kleinwenig dafür gehasst, dass ich uns jetzt auf so einem XXL-Handy mit laaangen Ladezeiten navigieren muss.

Shenzhen (Nr. 1)

Hm okay, das war jetzt irgendwie etwas schnell und einfach. Was machmer nu? Wir haben so viel über den Grenzübertritt gesprochen gehabt, dass wir die eigentliche Planung mehr oder weniger ausgelassen haben. Hmmmmmmm
Frühstück wäre ein Anfang. Wir haben uns die Shenzehner Metrokarte gekauft und waren erstaunt, ob denn 100 Yuan (etwa 12€) überhaupt ausreichen, um dann noch mehrmals nach Shenzhen zu fahren. Wir wurden überrascht: Eine Fahrt in der Stadt kostet ca. 10ct-20ct. Nicht schlecht.
Komplett unbeirrt - wir hatten ja Zeit - sind wir in irgendeine Metro gestiegen und ein paar Stationen weiter ausgestiegen. Wir sind etwas durch die Gegend gelaufen - durch Parkanlagen und Straßen in Futian. Irgendwann kamen wir an eine große Mall, in der wir nach etwas Gesuche auch ein paar passende Lokale gefunden hatten. Zwischen den westlichen Kettenrestaurants und den "authentischeren" chinesischen haben wir uns schlussendlich für eine Art Hot-Pot (?) entschieden. Leider konnten wir das Menü nicht lesen. Und die Bilder auf dem Menü waren auch nicht wirklich hilfreich. Die Preise sehen immerhin sehr bezahlbar aus. Unbezahlbar hingegen war der Blick der Bedienung, als ihm nach 5 chinesischen Sätzen ohne Rückmeldung klar wurde, dass das mit uns nicht so einfach wird. Chinesische Kellner habe ich sonst eher sprinten sehen, entsprechend schien er zu realisieren, was für eine zeitfressende Angelegenheit das mit uns werden wird. Und das alles über Google/Wechat Translate. Mir war das dann doch etwas unangenehmer als erwartet.


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Die schlechte Bildqualität kommt v.a. durchs 60€ Xiaomi-Telefon

Um ihm das Leben etwas einfacher zu machen, habe ich ihm relativ ausdrucksstark gebeten, er solle einfach irgendwas zusammenstellen - wir würden wirklich alles Essen und wollen seine Zeit nicht damit verschwenden, uns das Menü zu erklären. Gesagt getan, wurde irgendwann eine Ente mittig auf dem Tisch platziert, die Beilagen kamen auch herbei. Machen wirs kurz: Das war es nicht. Also wirklich nicht. Die Ente hatte kaum Fleisch und die Beilagen waren kein so tolles Experiment a lá eine Reise in andere Kulturen wie erhofft. Ich muss an den Türken (aus unserer Gruppe) denken, den wir wegen der chinesischen Einreisebestimmungen zurücklassen mussten. ("Diesen ekeligen chinesischen Fraß tu ich mir doch nicht an. Gibt hier einen Türken um die Ecke, viel geiler")


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Huaqiangbei Market. Das ist das, wovon ich seit Jahren träume. Das ist der chinesische Elektronikmarkt. Da bekommt man (so sagt man) wirklich alles (https://www.youtube.com/watch?v=utfbE3_uAMA). gefühlt 10 Etagen. Unendlich viele kleine Stände und Shops. Alles von normaler MediaMarkt-Ware bis zu den spezifischsten Schrauben. Aber vor allem: extrem viele Fakes. Gefühlt jeder zweite Stand hat dort sämtliche Apple-Produkte im Angebot, DJI ist auch recht beliebt. Ein Paar Airpods haben wir sogar mitgenommen (der Slowene brauchte ohnehin neue Kopfhörer), die haben aber tatsächlich unmittelbar nach verlassen der Markthalle den Geist aufgegeben. Refund is nich.


....Ich bin ehrlich: Irgendwie ist das alles nicht so toll wie erhofft. Die kulturellen Flashs sind zwar durchaus da, aber selbst jetzt, wo ich davon erzähle, kommt dieses mulmige Gefühl von dem Tag wieder. Wir saßen kurze Zeit später außerhalb vom Markt, in praller Hitze (und hoher Luftfeuchtigkeit), ohne einen Plan. Der Magen hat geknurrt, aber nichts ernsthaft essbares weit und breit (dachten wir zumindest). Die Tatsache, dass mein Burner-Phone unglaublich schlimme Ladezeiten hatte, hat das auch nicht besser gemacht. Ich wollte auch niemandem etwas aufdrängen, schließlich war ich eigentlich zu dem Ausflug mitgekommen und nicht der Initiator. Aber dann kam der Punkt, wo mir das relativ egal war. Wenn hier niemand einen Plan hat, dann werden die anderen jetzt einfach zu meinem Willen gezwungen. Okay, also als erstes das mit dem Magen. Um es mit den Worten von Konrad Adenauer zu sagen: Keine Experimente. Wir gehen jetzt einfach in ein amerikanisches Konsulat (Burger King) und nehmen alles, was man dort für 5-10€ kriegen kann ("oh, das ist erstaunlich wenig"). Ok als nächstes das mit den to Dos. Ich hab ja noch meinen Couchsurfing-Account (von dieser Reise), also habe ich einen Haufen Hosts aus Shenzhen angeschrieben, ob sie jetzt Zeit hätten. einer hat sich auch direkt gemeldet, so haben wir uns zum gemeinsamen Abendessen in ca. 30min verabredet. Meega. Kurze Zeit später haben wir uns nahe einer Metrostation eingefunden. Der Chinese, mit dem ich/wir verabredet waren, hatte auch noch jemanden mitgebracht: einen Kumpel aus der Kindheit. Der Kumpel konnte kein Englisch, er dafür relativ gut. Bei einem scheinbar relativ improvisierten und neuen Restaurant haben wir uns zu sechst an einen Tisch (draußen) gesetzt. Der Chinese hat ZUM GLÜCK den gesamten Bestellprozess übernommen. Auf die Aussage, dass wir wirklich alles essen, kam von ihm nur ein breites Grinsen. Im Minutentakt kamen neue Schälchen und Teller dazu. Die Kellnerin schreit irgendwas auf Chinesisch. Das Geschirr - anfangs noch als Stapel in Plastik verpackt - muss noch desinfiziert werden, erklärt er uns. Demonstrativ kippt er einen halben Liter Desinfektionsmittel in seine Schüssel und badet das Gedeckt darin. Das Desinfektionsmittel ist übrigens stinknormaler Tee. Interessant.

Das Essen war der Hammer. Also wirklich. Hat richtig gut geschmeckt, war saftig, etcetc. Aber warum spricht er denn jetzt Englisch? Er käme aus dem Norden von China, aber hat ein Jahr in den Staaten gelebt. Sein Kumpel habe auch im Ausland gelebt, aber in Südkorea. Er spricht dementsprechend Südkoreanisch und verkauft jetzt Schuhe nach Südkorea. Fakes, grinst er stolz. Der Chinese versucht uns so viel wie möglich über China und die Region zu vermitteln, ist auch wirklich ein Lieber. Irgendwann waren wir aber auch mal an der Reihe; und mir wird klar: wir werden mehr oder weniger als eine Herkunftsgruppe wahrgenommen. Deutschland ist dort drüben ein sehr bekannter Name, Polen auch noch irgendwie. aber bei Belgien und v.a. Slowenien hört es wirklich auf. Das ist wie einem durchschnittlichem Deutschen/Österreicher/Schweizer etwas von Bhutan oder Brunei erzählen zu wollen. Mit anderen Worten: Wir werden primär als Europäer wahrgenommen. Als EU-Bürger. Das ist übrigens ein Muster, was sich durch meine gesamte Zeit in Hong Kong zieht. Für erstaunlich viele scheint die EU so etwas wie die USA oder eben China zu sein. Eine Währung (fast), ein Wirtschaftsraum, ein Reiseraum, eine vergleichsweise ähnliche politische Ausrichtung. Und wenn man sich die BIP-Schätzungen für 2025 anschaut, macht das sogar noch mehr Sinn: USA 31 Billionen $, EU 20 Billionen $, China 19 Billionen $. Hm. Muss ich später nochmal drüber nachdenken.

Als er erfährt, dass wir gerade alle in Hong Kong leben, verzieht es ihm kurz das Gesicht: "Hong kong is like a toilet. You go there only when you need to do business".


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Als wir nach ca. 2 Stunden mit Essen fertig waren, nahm die Kellnerin die Tischdecke, hob sie an den Ecken zusammen und knotete ein Paket draus - mit den klirrenden Tellern noch drin. "Was passiert damit jetzt"? der Chinese: "Reinigungsfirma."
Es war inzwischen schon spät geworden. Höchste Eisenbahn, zurück zur Grenze zu fahren; die macht nämlich irgendwann einfach zu. Die Ausreiseerfahrung war genauso toll und angenehm wie die Einreise. Außer für den Slowenen. Bei der Passkontrolle muss sein Beamter leicht lachen. Dann beugt er sich noch zum Nachbar seiner Kabine, um ihm das Prachtstück zu zeigen. Der grinst auch kräftig. Der Slowene wurde dann aus der Reihe gezogen und durfte ca. 10 Minuten darauf warten, dass sein Pass in einer kleinen Kammer nochmal genauer überprüft wurde. Den Schweiß auf der Stirn hat man ihm auch aus 20 Meter Entfernung angesehen. Als er schließlich gehen darf, äußert er sein Unverständnis und das fast-Herzversagen; ich frage ihn, ob ich seinen Pass mal sehen darf, und muss schließlich auch lachen. "Was los? Was stimmt mit dem Pass nicht?", fragt er. "Komm schon, guck dir den doch mal an. Das sieht aus wie ein Fake, frisch aus Shenzhen."

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Aus irgendeinem Grund sind die Passbilder im slowenischen Pass zweimal aufgedruckt. Und aus irgendeinem anderem Grund auch einmal schwarz-weiß und einmal in Farbe. Und das alles ist so angeordnet, dass es einfach wie ein riesiger Druckfehler aussieht.
Er fand das jedenfalls gar nicht lustig und hatte für die kommenden China-Besuche mit Ängsten zu kämpfen. Zumindest solange, bis beim nächsten mal der Pole dran war - der sah nämlich aus wie ein Krimineller, fanden die Chinesen.


Das war der erste und mit Abstand (versprochen) schlechteste von insgesamt 5 China-Tagestrips. Morgen geht es weiter mit den restlichen vier; dann dafür auch mit ordentlicher Planung, die sich definitiv gelohnt hat.
 

Notausgang

Reguläres Mitglied
18.03.2023
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BER
China ist naja - China ist okay - China ist der HAMMER [2]

Freitag, 25. Juli. Ich werde mehrmals von lautem Donnergrollen und Blitzen aus dem Schlaf gerissen. Es donnert so heftig, dass ich den Donner im Halbschlaf gar nicht als solchen identifiziere. Stattdessen halte ich ihn erst für eine Baustelle in der oberen Etage, dann frage ich mich, ob ich mit Kopfhörern im Ohr eingeschlafen bin. Langsam komme ich zu Bewusstsein und realisiere, dass es erst um 4:00 Uhr morgens ist. Auch wenn das rückblickend lächerlich wenig war, war das intensiver als alles, was man in Deutschland je an Donner zu hören bekommt.
Nachdem der eigentliche Arbeitstag vorrüber ist, finden wir uns zu viert zusammen, um in Shenzhen Abendbrot zu essen und ein bisschen rumzulaufen. Obwohl wir den Minitransit erst zum zweiten mal machen, fühlt sich alles schon erstaunlich vertraut an. Metro, Ausreise HK, Einreise CN, Metro, taadaa;

Shenzhen (Nr. 2) - Haidilao

Das einzige, was uns etwas irritiert hat, war die Einreise vom zweiten Polen. Es gab in unserer Gruppe auch noch einen zweiten Polen, der erst dieses mal mitkam, und dementsprechend seine erste China-Einreise hatte. Während wir durch die Grenzschalter schon durchgestempelt wurden, wurde er aufgehalten und seine Daten mit denen von scheinbar bekannten polnischen Kriminellen abgeglichen. Naja Mensch. Wurde dann bei der Rückreise und nächsten Einreisen auch nur schleichend besser.
Haidilao ist eine extrem bekannte Kette für Hotpot. Hotpot: In der Mitte vom Tisch steht ein Suppenpot, drumherum rohes Fleisch, Gemüse und sonstige Beilagen. Zusammen gesellt man sich um den Tisch herum und brüht sich das Fleisch sozusagen live zurecht. Super lecker, ich bin Riesenfan, kenne das bisher aber nur als Exportprodukt und aus Berlin, Paris und Barcelona. Wir hatten zwar keine Reservierung, aber mit einer Wartenummer würde es höchstens 20min dauern, hieß es. Der Wartebereich - wenn auch eher formähnlich einer Kinderecke im Wartezimmer beim Arzt - inkludiert überraschenderweise so viele Cracker, Kohlrabi und Wasser wie wir wollten. Für die ganz hibbeligen gab es sogar Papier für Fröbelsterne und dubiose Brettspiele.

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Einmal quer durch den Laden stand da auch schon unser Tisch. Da hätten zwar auch locker 8 Personen hingepasst, aber was solls. Es gab ein Tablet zum bestellen, den erwarteten Feuertopf in der Mitte uund nach kurzer Zeit jede Menge Fleisch. HAMMMMer. Ich war extrem Bereit. Nicht mehr fotografiert habe ich die Unmengen an Fleisch, die wir später versehentlich auf dem chinesischen Tablet hinzubordert haben. Generell war auch (erwartbarerweise) alles auf Chinesisch. Die Mitarbeiter setzen ihr bestes Lächeln auf, aber haben bei Verständnisproblemen einfach weiter gemacht, als wäre alles tippitoppi. Ich fand das sehr schön, weil die meisten Kleinigkeiten eh ein paar Sekunden später aus dem Kontext klar sind. Da braucht man nicht immerzu irgendeine Translator App rauskramen, nur um dann etcetc.

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Es hat wirklich toll geschmeckt. Als die anderen drei dabei waren, ihre Begeisterung zu äußern, ging auch schon das Programm los. Scheint da so ein Ding zu sein, auf jeden Fall kam dann ein Kostümierter Maskenmann angetanzt, um die Kinder zu bespaßen. Als die offensichtlich einzigen Ausländer weit und breit waren wir für das Publikum aber mindestens genauso interessant, sodass wir ca. 40% der Zeit im Fokus stehen durften (juhu). Einem aus unserer Gruppe kam der Maskenkünstler besonderst nah, inklusive Betätschelung im Gesicht. Wir fanden das amüsant, er überhaupt nicht. Und ja, ein bisschen komisch war es schon; oh hey, neues Fleisch! Moment, schon wieder? Reicht doch langsam

Excuse; exc; excuse me; we'd like t--; yeah; pay; pay pay receipt cash ; yeeeees okay thank you xie xie

15€ pro Person. Das ist angenehm, auch wenn man streng genommen die Fahrt nach Shenzhen mit einrechnen müsste (ca. 5€ pro way). Der Abend war noch lang, so sind wir an Xiaomi-Autos und dem Handsome-Tower (ein riesiger Betonklopper ohne Emotionen oder Beleuchtung, also so überhaupt nicht handsome) vorbei zu einer Metrostation gekommen. Gangxia North:

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Machen wir uns nichts vor, die sieht einfach toll aus, ohne Kompromisse. Also dafür, dass das nur eine U-Bahn-Station ist. In Deutschland muss man sich den Flair von vielen U-Bahn-Stationen damit schönreden, dass sie ja so unglaublich geschichtsträchtig und rustikal wären. Nachdem wir uns ein Magnum für umgerechnet ca. 85ct gekauft haben, ging es nochmal zum schlendern an die frische Luft. Es war tatsächlich beeindruckend, wie sauber und ordentlich es ist. Auch der Slowene merkt merfach nachdrücklichst an, dass es wirklich unglaublich sauber ist auf den Hauptstraßen, vor allem verglichen mit vielen europäischen Hauptstädten. Und ja, irgendwie sieht es auch echt schön aus. Straßen mit moderat fließendem Verkehr, Fußänger überall, grüne Bäume, angenehme nächtliche Beleuchtung. Gleichzeitig kann ich mich nicht loslösen von dem Gedanken, dass vieles davon wahrscheinlich einfach durch mehr Kameras und Überwachung erreicht wurde. Jedes mal, wenn die Stadt gelobt wird, habe ich ein missgünstiges "ja, aber" auf Lager. Auch wenn ich an dem Abend noch zu dickköpfig war, mein Weltbild/Eindruck in der Hinsicht zu überdenken, habe ich doch zugestimmt, dass zumindest das erreichte Ergebnis ganz erwähnenswert ist.

Irgendwann kommen wir am Shenzhen Civic Center an.

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Großes Gebäude, sieht auch echt cool aus, wenn man so davor steht. Was gar nicht cool aussah war die Uhrzeit. Die Es war 22:18, wir waren ca. 40min von der Grenze weg und wollten eigentlich nochmal auf einen Hügel hoch, der uns definitiv hinter die Schließzeit von 00:00 Uhr gebracht hätte. Na gut, was solls. Minus 20ct von der Metrocard (die noch viel zu viel Guthaben hat) und zurück nach Hong Kong. Durch einen kurzen Umweg in Läden hier und da sind wir am Ende tatsächlich recht knapp dran. Mit uns mit strömen hunderte Chinesen durch die Pforte. Es war ein surreales Bild: EIn Betongebäude, mit einem Durchgang, über dem groß, dick und fett "TO HONG KONG" steht. Also wirklich groß. Und die Menschen strömen durch, als hätten wir das Mittelalter und sie Torschlusspanik. Als ich das erste mal aus China zurück nach HK gefahren bin, hab ich ein Gefühl von immens großer Erleichterung gespürt. Obwohl ich erst einige Wochen in Hong Kong war, hab ich das intern schon als (temporäre) Heimatbasis akzeptiert. Die Reise ist vorbei, es geht jetzt nach Hause, oder so. Dieses mal hatte ich das Gefühl auch ein wenig, aber deutlich weniger intensiv.

Nichtmal eine Woche später stand der dritte Besuch an. Aaaalso Handy aufgeladen, Metro-Card eingesteckt und auf nach:

Shenzhen (Nr. 3): Streetfood

Ich hoffe das ist nicht zu monoton, aber die Erzählungen über Geschehnisse zwischen den Shenzhen-Trips folgen ja in den nächsten Abschnitten. Mit hervorragender Vorbereitung wollten wir dieses mal Streetfood probieren. Muss ja nicht gleich irgendein lebendiges Horroressen sein, was normales fleischiges tut es auch. Und das sollten wir auch bekommen. In der Dongmen Pedestrian Street haben wir uns doch tatsächlich mal in einen der vielzähligen billig-Bekleidungsgeschäfte hineinziehen lassen. Ich wurde nicht enttäuscht: Es gab T-Shirts in diversehen Ausführungen, besonders hoch im Trend war englischer Print. Also irgendwelche englischen Wörter. Irgengwelche. Ist total egal, ob die Sinne ergeben. Ach, was rede ich da; Buchstaben. Irgendwelche Buchstaben tun es auch. Kann ja eh keiner lesen, haha.

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Fairerweise darf man nicht vergessen, wie sehr gleichermaßen bedeutungslose chinesische Zeichenketten im Westen beliebt sind. Egal ob als Tattoos, Tshirts oder einfach zur Untermalung von Werbung, diese Chinazeichen sind bei uns als stilistisches Mittel sehr beliebt. Und ja, auch ich finde, dass die eine gewisse Ästhetik haben.
Hunger. Essen. Was macht man, wenn der Straßenstand nur glibberige Masse oder Tintenfisch hat? Man geht zum nächsten. Und mit jedem Standwechsel denkt man darüber nach, zurück zum vorherigen zu gehen.

"Ohhh schaut mal, da ist..." (was heißt Schaschlikspieß auf Englisch? Meat-on-a-Stick? Ach, die werden es schon verstehen) "..Schaschlik!"
(Glücklicherweise heißen diese Spieße auf Polnisch auch einfach Schaschlik. Auf Slowenisch auch. Daher war uns die englische Übersetzung dann auch egal)


An einem knuffigem kleinen Ständchen an einer Straßenecke haben wir uns also von einem chinesischen Dönnermann je einen Mini Döner und Schaschlik-Spieß zubereiten lassen, beides für je 10 Yuan (1,20€). Die Kommunikation war so hart und steinig, dass ich mir gewünscht habe, zumindest Zahlen und die absoluten 5 basic Sätze für Shopping zu können. Also habe ich später Zuhause genau das gemacht: Zahlen bis 1000 grob gelernt, ein paar grundlegende Sätze wie "Ich möchte mit WeChat Pay bezahlen" oder "Wie viel kostet das" oder "zu teuer!!! zu teuer!" verinnerlicht und meine Aussprache vom im Nachbarappartment befindlichen Taiwanesen bewerten lassen. Ich hoffe die Stunde an unnötigem Lernaufwand zahlt sich irgendwie minimal aus

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Mit dem Bissen in den Schaschlikspieß tat sich in mir etwas. Etwas grundlegendes. Auf einmal war Schina nicht mehr zu dubios, hyperüberwacht und gefährlich. Auf einmal war es richtig toll, hier sein zu können. Die Straßen sind wirklich sauber (meistens). Ja gut okay, in manchen Ecken riecht es komisch, aber an deutschen Bahnhöfen gibt es auch immer mindestens eine Urinecke. Das Essen ist (zum wiederholten male) der Hammer und kostet der Hammer. Es ist selbst bei Nacht super viel los, die Stadt lebt richtig. Man kommt gut mit dem Auto/Taxi vorran. Man kommt gut mit dem Fahrrad/Roller vorran. Man kommt gut mit der Metro vorran (und extrem günstig). Und man kommt extrem gut zu Fuß vorran. Auf einmal fühlt sich das alles hier nicht mehr wie eine gefährliche Reise in das Land aus den überspitzten deutschen Dokus an. Die Bäume sind grün, die Luft ist gut, die Menschen offen. Und das Essen... das Essen.. puhhhhh.. Ja okay, dann sind da halt mal ein paar Kameras überall. Ich find Datenschutz auch sehr wichtig, aber wollen wir uns wirklich vor machen, dass man in zB London mehr davon hat? Oder Amerika? Hier scheint es ja wenigstens zu wirken. Es wirkt alles so unheimlich unbürokratisch und effizient. Und ja, zugegebenermaßen sind die etwas unterreguliert - manchen Straßenständen sieht man den Toilettenbesuch bereits an. Aber trotzdem: China ist DER HAMMER.

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Mir ist natürlich bewusst, dass ich bisher nur eine Stadt im Mainland China gesehen habe. Und dass Shenzhen schon zu den besten im Land gehört. Aber das war mir in dem Moment egal. Ich habe mich allmählich gefragt, warum ich vorher so ein negatives Bild von China hatte. Also ob das durch subtile, voreingenommene westliche Berichterstattung kommt, oder ich selektiv schlechte Inhalte gesehen habe. Ist eigentlich gar nicht so wichtig; was zählt ist, dass ich mir jetzt mal ein ordentliches Bild mache. Also habe ich mich Zuhause hingesetzt und recherchiert.
An der Stelle seien zwei Dinge gesagt: 1. Ich bin deren Regierung weder explizit positiv noch negativ gesonnen. 2. ich will das hier möglichst unpolitisch halten.
Trotzdem ist der raketenartige Start zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt durchaus beeindruckend. Und die ganzen Metriken, die damit einhergehen. Wie gesagt, ich will jetzt nicht zu tief reingehen (und kann ich auch ehrlicherweise nicht vollumfänglich), aber ich könnte Chinesen verstehen, die mit ihrem Land und dessen Führung zufrieden sind.
Was ich damit sagen möchte: China ist nicht perfekt, vielleicht auch deutlich unperfekter als viele andere Länder. Trotzdem habe ich auf einmal immens Lust dieses Land später mal ausgiebig zu bereisen.. aber dafür müsste ich wahrscheinlich ein wenig chinesisch lernen.

Shenzhen (Nr. 4): Shopping

Unerwartet brauche ich schnellstmöglich neue Schuhe. Eigentlich möchte ich mir die im Warenkorb bestellen, sobald ich in Deutschland bin, aber es müssen jetzt sofort neue her. Zumindest zur Überbrückung. Günstige. Hmmm; oh: die Geschäfte in Shenzhen!
Zu zweit gehen ein Pole und ich in die Einreiseschlange für Ausländer. Er wird ausgiebig gefragt, was er vorhabe - die (6) China-Stempel mit same-day entry/exit sehen langsam wohl etwas komisch aus. Bei mir das gleiche; ich erkläre, wir wollen einkaufen gehen. "Wohin?". "Ähhhh... Coco Park?".


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Coco Park. Ein Einkaufszentrum, was aus irgendeinem Grund ständig als Touri-Attraktion beworben wird, aber am Ende einfach nur ein normales Einkaufszentrum ist. Wenn auch ein sehr schönes. Schuhe haben wir da nicht in der erhofften Art gefunden; aber diese Streetfood-Straße hatte doch einige gute Geschäfte, also kö- "OMG EIN KATZENSTREICHELDINGS WIR MÜSSEN DAHIN DA REIN JETZT"

Ich: "Oook"

Er: "Komm, streichel die auch mal"

Ich: "Ich bin allergisch. Glaube ich."


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Jedenfalls: Die Streetfoodstraße. Ich hätte daran denken sollen, dass es hier hauptsächlich Fakes in allen Formen und Farben gibt. Tatsächlich gab es aber auch einen Schuhladen einer normalen, günstigen, bekannten chinesischen Marke, wo ich für einen Schuh für die nächsten paar heißen Wochen fündig geworden bin. Da die Mitarbeiter sich auch hier schwer mit unserem Englisch taten, hatte ich endlich Zeit, meine 10 eingeübten Sätze einzusetzen. War auch eigentlich ganz unterhaltsam, weil er sich sehr anstrengen musste, seine Antwort so zu formulieren, dass ich sie verstehe. Das ist deswegen unterhaltsam, weil ich die ja sowieso nicht verstehe. Ich hätte entschlüsseln können: Zahlen, Ja, Nein, Vielleicht, Nicht vorrätig. Bei allem anderen kann ich nur nett lächeln.
Nachdem das erledigt war, hatten wir wieder Zeit, uns über das günstige, tolle Essen zu freuen. Also nochmal diese Dönertasche geholt und in ein chinesisches Lokal gesetzt. Nudeln und Dumplings, je 1€.

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Ich hab mich langsam richtig wohl in Shenzhen gefühlt. Ehrlicherweise musste ich auch etwas den Gedanken verdrängen, dass Hong Kong nicht so cool ist. Die Menschen sind grimmiger, es ist enger, schwitziger und weniger einladend. Aber wie gesagt, habe ich eh verdrängt. Geheimtipp für eine richtig gute, aber kostenlos Aussicht auf Shenzhen: St. Regis Hotel, ist oben in der Spitze eines Wolkenkratzers; einfach in den Fahrstuhl rein, hochfahren, staunen, staunen, staunen, staunen, staunen, staunen, staunen, runter fahren:

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Shenzhen (Nr. 5): Hühnerfüße

Wie erwähnt hatte ich an unserem ersten Shenzhen-Tag Couchsurfing-Hosts aus der Stadt angeschrieben, ob sie denn nicht Zeit für ein gemeinsames Abendessen hätten. Lange nachdem wir wieder zurück waren hatte sich dann doch noch eine gemeldet, die sofort dabei wäre. Weil der Sonntag frei ist und mir eh nur noch ein Shenzhen-Besuch für die 10 roten Stempel fehlt (das war auch garantiert nicht die Hauptmotivation dahinter - üüberhaupt gar nicht), saß ich also alleine in der Metro auf dem Weg zur Grenze. Grinsend nehme ich meinen 9-stempligen-Pass entgegen. Draußen, vor dem Port-Gebäude treffe ich mit Fei (?), einer Logistikfachfrau mitte zwanzig. Wir machen uns auf den Weg zu einem "klassischen chinesischen Restaurant". Auch sie spricht erstaunlich gut Englisch, bedingt durch Auslandsaufenthalte. Aber vor allem auch Chinesisch, was beim Bestellen der folgenden Leckerein äußert hilfreich war:

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Ja, Hühnerfüße. Wollte ich ohnehin mal probieren. Schmecken solide, aber sind unfassbar nervig zu essen. Das ist ja am Ende vor allem Knorpel mit (gewürzter) Haut, sodass man wie an einem Chicken-Wing knabbern darf. Nur ohne das Fleisch.
Wir reden über Gott und die Welt. Alles mögliche von Politik (v.a. westliche), Lebenplanung bis Reiseerfahrungen. Sie erzählt mir, dass sie sich jetzt beruflich voll reinstürzt - irgendwie muss sie ihren Eltern ja eine Begründung liefern, dass sie in ihrem Alter noch keinen Mann hat, also praktisch fast eine verbrauchte Frau mit endgültig besiegelter Einsamkeit ist. Ich nicke verständnisvoll. Was genau sie beruflich macht, habe ich aber noch nicht verstanden. Irgendwas in einer Firma, die Schiffscontainer koordiniert. Ooookay??
Zurück an der frischen Luft fragt sie, ob ich diese Namensstempel kenne. Also Stempel mit dem eigenen Namen in chinesischen Schriftzeichen. Ja, entgegne ich, aber bisher haben die mich nicht genug gereizt, um dafür in irgendeiner Manufaktur 50€ zu lasen. So viel sei gar nicht nötig sagt sie, und tippt wild auf ihrem Handy rum. Sie ruft eine Nummer an - keiner geht ran. Sie ruft die nächste an - und sagt irgendwas auf chinesisch. Danach meint sie: "So, hier ist der WeChat code. Schick ihm deinen Namen und 100 Yuan, dann kannst du das in einer Stunde abholen :)". Was??? Wie hat sie dass denn so schnell gefunden? "Xiaohongshu. Kennst du nicht? Ist die App für alles. Wie Instagram, Amazon, Reddit, TikTok und ein Reiseführer vereint. Hat jeder hier". Ok, Xiaohongshu, sollte ich mir mal runterladen.

"Bis der Stempel fertig ist, können wir ja noch ein bisschen hier lang schlendern. Ich könnte dir das Büro meiner Firma zeigen, meine Zugangskarte geht auch heute" [heute ist frei]
"Klar, warum nicht; wie weit ist das ungefähr?"
"Direkt hier die Tür rechts"
....

"Ist das überhaupt in Ordnung für deine.. Chefs (?), wenn du mich da einfach mitnimmst jetzt? Bin ja ein unangemeldeter Gast"
"Das ist kein Problem - ist ja meine Firma."

Ooooohhhhhh

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Nette Aussicht, kann man nicht bestreiten. Und bemerkenswert. Wir verfallen wieder in ein Gespräch über Schiffscontainer, während ich die gigantische Weltkarte an der Wand mustere. China ist natürlich im Zentrum, Europa ein Nebenprodukt wie der Rand einer Pizza. Während ich so mit ihr spreche, kommt wieder dieser Gedanke mit der EU hoch. Und ich muss daran denken, wie z.B. Deutschland im Ausland wahrgenommen wird. Wenn man sich in Deutschland umhorcht, wird man selber fast depressiv: es geht bergab, wir sind praktisch schon untergegangen, es ist vorbei, Armut kommt morgen früh, der Deutsche braucht bald Essensmarken. Nicht falsch verstehen, es gibt immer Verbesserungspotential, aber es ist dann doch ganz lustig, wie Deutschland hier wahrgenommen wird. Auf den Lachgummis, Dextro Energy und sämtlichen anderen Snacks im Supermarkt ist groß die deutsche Flagge aufgedruckt, damit auch ja jeder weiß, dass er hier Qualitätsbärchen kauft. Auf dem Boiler in meinem Bad stand fett "MADE IN GERMANY" mit einem Fingerabdruck in Deutschland-Farben. Und die Rolltreppen.... Ist euch eigentlich mal aufgefallen, wie viele Rolltreppen im Ausland europäisch sind? In Hong Kong habe ich später recht viel darauf geachtet; das waren locker 80-90% immer ThyssenKrupp, Schindler oder Kone.

Nach einem Abschiedsfoto geht es in den Zug zurück nach Hong Kong. Ich habe meine 10 Stempel, mal sehen, wie lange es dauert, bis ich wieder nach China komme. Ich hoffe nicht allzu lange.

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Beim nächsten mal: Warum im August vor vielen Hong Konger Metro-Stationen demonstrativ der Hitlergruß gemacht wurde
 

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Tesla

Erfahrenes Mitglied
13.12.2016
256
641
AKL
Danke für deinen Bericht! Die Erfahrungen, die du machst, decken sich mit vielen (jungen) Menschen aus Europa/Nordamerika/usw., die zum ersten Mal in China sind.

Ohne das Ganze schlecht reden zu wollen: Man darf nicht vergessen, dass bspw. in Shenzhen so ziemlich alles, was du siehst, in den letzten 30 Jahren auf "grüner Wiese" gebaut wurde. Deswegen kommt dir Hongkong im Vergleich auch oller vor: Die Bausubstanz, Methoden der Stadtplanung, das ist alles deutlich älter. Sollte man auch immer im Vergleich mit Deutschland/Europa immer dran denken: Klar ist die Berliner U-Bahn im Vergleich mit den chinesischen Pendants eher mau - weil sie mindestens 60 Jahre früher gebaut wurde. Spannend wird es, wenn die chinesische Infrastruktur das Durchschnittsalter der westlichen erreicht...

Dazu noch die Massen an Menschen - dann hat man ein Heer aus Niedriglohnarbeitern, die tagtäglich durch die Straßen ziehen und jede kleine Plastikfolie aufsammeln. Dafür würdest du in vielen europäischen (Groß-)Städten niemals Personal finden oder bezahlen.

Nichtsdestotrotz macht Reisen in China unglaublichen Spaß, vor allen Dingen wegen der tollen Menschen und dem großartigen Essen. Ich wünsche weiterhin viel Freude!
 

Notausgang

Reguläres Mitglied
18.03.2023
49
576
BER
Ohne das Ganze schlecht reden zu wollen: Man darf nicht vergessen, dass bspw. in Shenzhen so ziemlich alles, was du siehst, in den letzten 30 Jahren auf "grüner Wiese" gebaut wurde. Deswegen kommt dir Hongkong im Vergleich auch oller vor: Die Bausubstanz, Methoden der Stadtplanung, das ist alles deutlich älter. Sollte man auch immer im Vergleich mit Deutschland/Europa immer dran denken: Klar ist die Berliner U-Bahn im Vergleich mit den chinesischen Pendants eher mau - weil sie mindestens 60 Jahre früher gebaut wurde. Spannend wird es, wenn die chinesische Infrastruktur das Durchschnittsalter der westlichen erreicht...

Dazu noch die Massen an Menschen - dann hat man ein Heer aus Niedriglohnarbeitern, die tagtäglich durch die Straßen ziehen und jede kleine Plastikfolie aufsammeln. Dafür würdest du in vielen europäischen (Groß-)Städten niemals Personal finden oder bezahlen.
Deine Kontrapunkte waren ja auch das, was mich am Anfang davon abgehalten hat, dass alles einfach mal auf mich wirken zu lassen. Und ja, es gibt in Shenzhen halt keinen Alten Marktplatz des Generals, der vor 300 Jahren gestorben ist und ja, natürlich ist eine Neubaustadt ansehnlicher als was gealtertes. Ändert aber nichts daran, dass vor allem (wie du schon sagst) die Menschen die gesamte Atmosphäre überraschend angenehm machen. Und vor allem: Es ist zumindest heute, zumindest in den Tier 1 Städten, zumindest als (zum Beispiel) durchschnittlicher chinesischer Akademiker deutlich angenehmer, in China zu leben, als man hierzulande manchmal vermittelt bekommt. Und was die Niedriglöhner betrifft: Unser Wohlstand kommt auch nicht immer durch absolute Fairness gegenüber Schwächeren. Nur weil wir vieles outsourcen sind wir ja nicht zwangsläufig besser.

Ja, ich bin auch gespannt, wie die Städte in 30 Jahren aussehen :)
 
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Tesla

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13.12.2016
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Und vor allem: Es ist zumindest heute, zumindest in den Tier 1 Städten, zumindest als (zum Beispiel) durchschnittlicher chinesischer Akademiker deutlich angenehmer, in China zu leben, als man hierzulande manchmal vermittelt bekommt.
Meiner Erfahrung nach ist der chinesische Lebensstandard (ob Stadt oder Land) in westlichen Medien selten ein Thema, wenn überhaupt werden nur Extrembeispiele wie die "Käfigmenschen" gezeigt - vermutlich wolltest du darauf hinaus. Ist wahrscheinlich eine sehr politische Sache: Es ist dem Durchschnittsbürger eher schwer zu vermitteln, dass es sich in Chinas Top-Städten mittlerweile "besser" leben lässt als mancherorts hierzulande, obwohl sie in einem "unfreien" Polizeistaat leben. Das ist aber auch nur eine Seite der Medaille, in Chinas ländlichen Regionen könnte der Kontrast krasser nicht sein.

Und was die Niedriglöhner betrifft: Unser Wohlstand kommt auch nicht immer durch absolute Fairness gegenüber Schwächeren. Nur weil wir vieles outsourcen sind wir ja nicht zwangsläufig besser.
Habe ich auch gar nicht behauptet, oder? ;) Ich wollte nur eine Erklärung liefern, woher die Ordnung/Sauberkeit kommt. Es gibt nicht umsonst tausende Hinweisschilder dort, man solle dieses und jenes machen...
 

Notausgang

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Taipeh ist Durchfall und erzeugt Durchfall


Ich hab gelogen, vor der Geschichte mit dem Hitlergruß kommt erstmal eine weitere Auslands-Auslandsreise. Wenn man schonmal so viel Zeit in Asien verbringen muss, sollte man das auch gleich nutzen. Nur nach China fahren ist ja etwas langweilig*. Also haben wir uns durch die wirklich grauenvolle Buchungsmaske von Greater Bay Airliens (100€ round trip) gekämpft und haben uns für ein Wochenende als Burgunderrote Reisegruppe auf den Weg gemacht:


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Angekommen in TPE wurde es Zeit für die Einreise. Ich habe den wirklich außergewöhnlich langen Flug dafür genutzt, mich wegen des Taiwan-Stempels verrückt zu machen. Sieht nämlich vielleicht gar nicht so toll aus, wenn man da so einen "Republic of China" Stempel neben den "Peoples Republic of China" Stempeln hat und später nochmal in die Peoples Republic einreisen möchte. Die Realität ist, dass das wirklich überhaupt keinen interessiert. Bin ja nicht der erste, der in beide Länder reist. Abgesehen davon war die Einreise trotzdem scheiße. Man sollte das ganz easy über einen QR code machen. Aha, super, und wie soll das gehen? Das tolle Flughafeninternet scheint bei allen außer mir zu funktionieren. Nach ca. 10min hat sich meine eSIM (die ich in weiser Vorraussicht schon in HK gekauft und installiert hatte) endlich aktiviert und ich konnte dieses beschissene Formular ausfüllen. Drei mal. Und kein einziges mal hat es geklappt.

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Ich will gar nicht wie ein Meckerheini wirken, aber dieser gesamte Prozess war schon echt schlecht. Ich habe auch sämtliche Mitarbeiter an verschiedenen Ecken gefragt, ob sie nicht einfach einen Papierzettel hätten; "nö, stell dich halt einfach trotzdem an". Ahh super. Immerhin hat mir die Schalterdame endlich einen Papierzettel gegeben. Also nochmal zurück, ausfüllen, kontrollieren, nochmal anstellen und... "Okay tänk you". Meine beiden Mitreisenden durften sich währenddessen hinter den Schaltern die Füße wundstehen. Generell das ganze Terminal hat so krass improvisiert gewirkt; aber vielleicht ist das wie am BER, dass die Billigflieger halt vom schlechteren Terminal abfliegen.
Aber egal egal egal, ich will mir nicht schon bei der Anreise den Trip versauen, nur weil ich heute schlecht geschlafen habe. Also: eine EasyCard gekauft (deren Metro- und Bezahlkarte) und ab ins Stadtzentrum von Taipeh. Es war schon dunkel, die Autos plätschern über die nassen Straßen. Immerhin riecht es neutral.

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Unser Hotel war zwar ein richtiger Griff ins Klo, aber das war mir egal. Ich wollte mich erstmal hinhauen.
Am nächsten morgen haben wir kräftig ausgeschlafen (bis ca. 9). Ja, das war zwar ein "Urlaub"/eine Reise, aber gleichzeitig auch das Wochenende von Vollzeit Arbeit, noch dazu eine verschachtelte Reise; eine Reise in der Reise. Ich fand den Gedanken ganz lustig, dass das, was ich tagsüber mit mir rumtrage, eine Teilmenge von dem ist, was im Hotel in Taipeh von mir lagert. Das wiederum ist eine Teilmenge vom Inventar aus Hong Kong, welches wiederum eine Teilmenge vom Gesamtinventar in Deutschland ist. Mit anderen Worten: Jetzt zu irgendwas Zugang zu verlieren... wäre herrlich unpraktisch. Warum bin ich heute immer noch pessimistisch?
Andere Praktikanten in HK waren auch aus Taiwan, so wurden wir kurz vor Reiseantritt mit dutzenden Google-Maps Links überschüttet und ausdrücklichst gebeten, danach Bericht zu erstatten. Voller Erwartung haben wir uns also auf den Weg gemacht.

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Die Innenstadt (ein klassisches Stadtbild habe ich leider nie geschossen) sah eigentlich ganz nett aus. Auch die Attraktionen waren schön anzusehen; neben den ganzen Tempeln ist das auf den Fotos die Nationale Chiang-Kai-shek-Gedächtnishalle. Ich möchte diesen Bericht politisch möglichst neutral halten, deswegen belassen wir es mal dabei. Wir haben die Gelegenheit natürlich trotzdem genutzt und parallel auf Wikipedia & co. mitgelesen, was in diesem Land die letzten hundert Jahren eigentlich im Detail passiert ist. Dass Taiwan eine (schwammig ausgedrückt) Abspaltung vom Festland durch Herrschaftskriege ist, war ja klar, aber die genaue Entwicklung danch gar nicht so sehr.

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Je länger man durch die Stadt läuft, desto schneller gewöhnt man sich an Taipeh. Es war irgendwie alles so.. gewöhnlich. Gar nicht negativ gemeint, aber wir mussten uns schon etwas anstrengen, dass sich das nicht wie ein standard 0815-Düsseldorf-Tagestrip anfühlt. Also vor allem für Erlebnisse, die nicht primär daraus bestehen, viel Geld auszugeben (Shopping, teuer Essen, Schnickschnack kaufen, etc.). Ich habe (so wie in Shenzhen auch) versucht, über Couchsurfing lokale Taiwanesen zu finden, die das Wochenende nichts vor haben - leider waren die alle gar nicht so online. Hm. Wir sind weiter die Google-Maps-Pins von unseren Taiwanesischen Mitpraktikanten durchgegangen und waren nach einigen weiteren Tempeln, tollen Gebäuden und Imbissständen auch irgendwann durch mit Taipeh WAS IST DENN DAS? NEIN! NEIN! DAS GLAUB ICH JETZT NICHT? GOGORO! DAS SIND GOGOROS! GOGOROS ÜBERALL!

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Gogoro. Ich liebe Gogoro. Ich verbinde sehr viele schöne Erinnerungen mit Gogoro. Gogoro ist eine Elektro-Mofa-Marke aus Taiwan. Die machen sehr ulkig aussehende Elektroroller mit .. ok was heißt hier ulkig, die sehen schon aus wie sehr sehr große Spielzeuge. Aber die beschleunigen bescheuert krass. Die Batterien sind mit einem Griff an Batterietauschstationen überall in der Stadt in ein paar Sekunden austauschbar, der Tausch ist für den Fahrer kostenlos, sofern er das Monatsabo hat. Unterm Strich also Elektromobilität, wie sie sein sollte: Keine Ladezeit, günstig, flexibel, und so weiter. Und für die gestopften Straßen von Taipeh natürlich perfekt. Jeder, der schonmal auf so einem Ding gefahren ist, wird mich verstehen.
Vor einigen Jahren gab es in Berlin neben den klassischen Elektroscootern (ihr wisst schon, diese verhassten Dinger, die jetzt überall in den Städten nutzlos rumstehen) auch genau diese E-Roller von Gogoro. Ich habe die absolut geliebt. Die waren zwar auf 50 abgeriegelt, aber eigentlich für viel mehr ausgelegt; das heißt, die haben extrem schnell beschleunigt (deutlich schneller als Gegenstücke von z.B. niu) und riesig Spaß gemacht. In der Stadt gibt es im Sommer eigentlich nichts besseres; Im Gedränge flexibler als ein Auto, Schneller als ein Fahrrad und objektiv besser als diese E-Scotter. Nur innerstädtisches Fliegen würde das noch übertreffen. Leider wurde der Betrieb irgendwann eingestellt und die Roller vom Sharing-Anbieter (TIER) aus dem Sortiment genommen. Ich war am Boden zerstört und hab damals mit mehreren Importeuren Kontakt aufgenommen, um so ein Ding zu mir nach Hause zu bekommen. (das Ergebnis war übrigens, dass das vor allem wegen Straßenzulassung (bei den neueren Modellen) und dem nicht-vorhandenen Ladegerät für Einzelbenutzer scheitern würde). Ich war nochmal am Boden zerstört, hab mich aber irgendwann damit abgefunden.

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Aber: Die Teile kommen ja aus Taiwan. Taipeh. Und ich bin gerade in Taipeh. Ich habe komplett vergessen, dass es diese Begegnung nochmal in meinem Leben geben könnte; und hier ist sie. Alles voller Gogoro-Roller. Und ich kann mir einfach einen leihen! Ich hätte heulen können. Meine ganzen Erinnerungen von der späten Schulzeit kamen wieder hoch, eine richtige Achterbahn der Gefühle. Nachdem ich mich wieder eingekriegt habe, musste ich erstmal den anderen beiden erklären, was hier los war. Und kürzen wir das ganze ein bisschen ab: Nach der Vorfreude habe ich festgestellt, dass ich meinen Führerschein in Hong Kong gelassen habe. Ich bin so ein unendlicher Idiot. Ich bin ich ein tiefes Loch gefallen und war wirklich, wirklich niedergeschlagen. Und das schlimmste: alles um mich herum war noch voller Roller. Wirklich schmerzhaft. So muss ich eine Trennung nach 50 Jahren Ehe anfühlen. Oder Heroin. **

Wir sind schon ungefähr 10-20km durch die Stadt marschiert und haben Taipeh ordentlich ausgekundschaftet; vor allem die Läden für kleine Souvenirs, Postkarten und Büroartikeln waren echt toll und günstig. Mir fällt auf, ich habe noch gar nicht von der Handtuchproblematik erzählt;
Als ich die erste Dusche im Hotel antreten wollte, fiel mir auf, dass es gar keine Handtücher gab. Suuuper, und jetzt? Da man sich auch kein Handtuch herbei-meckern kann, blieb mir nichts anderes übrig, als das vierte Bett im Zimmer abzubeziehen und den Bezug als Handtuch zu nutzen. Kann ich nicht empfehlen, relativ undhandlich und sehr komische Textur. Ich hab das aber relativ schnell vergessen; das Frühstück war nämlich echt gut. Direkt um die Ecke war ein Baozi Laden (also Dampfluftbrötchen), das sind diese Dinger:

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Da ist dann so eine Hackfleischmischung drin, hat ungefähr 0,50€ gekostet und war unglaublich lecker. Der Pole und der Slowene waren auch begeistert.
Am Abend haben sich die Baozi dann nochmal bemerkbar gemacht; wir alle hatten leichtes grummeln im Bauch, aber nichts weiter schlimmes. Kann ja auch von einer der anderen Mahlzeiten gekommen sein.
Kurz vor Mitternacht sind wir zum Stadtrand gefahren, um einen (sehr sehr kurzen) Wanderweg zu einem Aussichtspunkt zu nehmen. Wir mussten uns zwar sehr beeilen, um die letzte Bahn nicht zu verpassen, gelohnt hat es sich aber trotzdem:


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Nicht übel.
Am Sonntagmorgen wache ich zwischendurch mehrmals auf, final dann aber um 9. Die anderen beiden sind auch langsam wach. Und jeder von uns hatte eine lange Liste an Benachrichtigungen auf dem Handy: Das HKO (Hong Kong Observatory, Unwetterwarndienst, gibt es auch als App) informiert: Womöglich heute etwas windig in Hong Kong. Ok, so eine Benachrichtigung gibt es dort um die Jahreszeit jeden Tag; nichts wildes, denke ich. Womöglich heute Taifun. Oookay; Heute Taifun. Warnstufe 8. Sehr starker Regensturm. Naja, so lange unser Flug fliegt, ist das ja kein Problem, oder?

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Okay, machste nichts, ist halt so. Müssen wir die Zeit irgendwie totschlagen.

Sehr starke Sturmwarnung Stufe 9. Gehen Sie nicht raus.
Hurricane Warnstufe 10 - Höchste Warnstufe. Gehen Sie wirklich nicht raus heute.


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Okay, vielleicht es ganz gut, dass wir etwas später fliegen.
Auf Flightradar konnte man sehr schön beobachten, wie sich über der Greater Bay Area (Hong Kong, teilweise auch Richtung Shenzhen) eine große No-Fly-Zone aufmacht. War schon sehr faszinierend, auch wenn wir gerne vor Ort gewesen wären; sowas sieht man ja nicht alle Tage. Von den anderen Praktikanten aus Hong Kong bekamen wir Videos; teilweise fielen sogar Baugerüste von Gebäuden ab. Insgesamt hielt es sich wohl aber im Rahmen. Wir haben das Geschehen dann vor allem über den Fernseher im Massagesalon verfolgt. 20€ für bessere Füße nach dem ganzen Gelaufe ist wirklich nicht übel. Irgendwie meldet sich aber auch schon wieder der Bauch. Nicht aus Hunger, sondern leichte Übelkeit. Wir haben zum Frühstück die selben Dampfluftbrötchen gegessen; immerhin wissen wir jetzt, dass es definitiv davon kommt. Die Übelkeit war auch schnell verflogen, so waren wir eigentlich ganz entspannt dabei. Anders der Slowene: "Toilette. JETZT."

Ihm sind diese Geräte leider überhaupt nicht bekommen. Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen: Die nächsten 2 Stunden bestanden daraus, immer die nächstgelegene Toilette zu suchen. Die entstandenen Beschwerden waren so extrem, dass in ca. 30-60-Minuten-Intervallen eine Toilette dringend notwendig war. Unausweichlich. Na Mensch, immerhin hatten wir jetzt sehr, sehr viel Zeit.
Während er sich also neben einer soliden Toilette einen Saisonpass gesichert hat, sind der Pole und ich auf Medizinsuche gegangen. Wir sind von Laden zu Laden, bis einer mal eine richtige Apotheke war. In Google Translate habe ich sehr ungeschönt auf Chinesisch übersetzen lassen:

"Unser Freund muss alle 30min schmerzhaft und extrem viel Kacken. Schlechtes Essen. Medizin?"

Ich wollte einfach irgendwelche krummen Übersetzungen (wie zB Durchfall als Runterfallen) vermeiden; also mussten die obszönsten und simpelsten Wörter her.
Wie im Film hält der Mitarbeiter eine Sekunde inne, grinst uns an und dreht sich zum Regal hinter ihm. Er dreht sich wieder um und klatscht eine Grüne Verpackung auf den Tresen, immernoch leicht grinsend. Auch ohne Chinesischkenntnissse ließen die Piktogramme keine Zweifel, dass das die richtige Medizin sein muss.

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Auf dem Rückweg zur Lieblingstoilette unseres Kumpels habe ich im Internet ergoogelt, ob die Wirkstoffe irgendwelche schlimmen Nebenwirkungen haben und ob es die auch so in Deutschland zu kaufen gibt. Nicht, dass er da Asbest schluckt. Aber ja, scheint harmlos, also runter damit.
Trotz der schleichenden Besserung war der Slowene mental nicht mehr in der Stimmung, jetzt auf Stadterkundung zu gehen. Er ist also schon zum Flughafen gefahren; der Pole und ich haben unser Gepäck eingeschlossen und sind nochmal auf Streetfood-Tour:

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Eigentlich hatten wir uns wieder richig auf das Streetfood gefreut.... aber vielleicht ist es (mit Hinblick auf die aktuellen Ereignisse) schlauer, einfach mal nur die Atmosphäre einzuatmen. Haben wir auch gemacht. In der Stadt kommen wir kurz ins Gespräch mit einem Taipeh-ianer (oder so). Der äußert sein Unverständnis darüber, wie man jetzt so doof sein kann hier her zu reisen; die Chinesen würden jeden Moment einfallen. Oookay. Nach weiteren 1-2 Stunden Rundmarsch sind wir also zurück zum Hauptbahnhof von Taipeh. Die Restaurants, die wir uns rausgesucht haben, haben wir aber leider mehrfach nicht gefunden. Das Unterirdische Netz unter dem Bahnhof ist so riesig, dass wir unironisch 1,5 Stunden laufen mussten, um einen Fleck ein zweites mal zu sehen. Wir sind in Seitenstraßen, rauf runter, links rechts, ok, leider geschlossen, nächstes Restaurant, ok, das sieht ekelig aus, ok..... Wir haben aufgegeben. So wird das nichts. Und wir können unseren Kollegen am Flughafen auch nicht ewig alleine sitzen lassen. Also muss ein McDonalds Burger aus dem Obergeschoss her.. oder vielleicht auch nicht, die Schlange ist ultra lang und es ist brechend heiß. Aber hey: Gegenüber ist Mo's Burger. Bestimmt ähnlich gut und eine kürzere Schlange. Als wir in der Schlange stehen, reden wir darüber, wie frustrierend dieser Bahnhof ist. Allgemein ist eigentlich vieles in Taipeh unnötig frustrierend. Die Stadt hat in Sachen Fortschritt nicht so viel mit Shenzhen oder Shanghai zu tun und...

...zwischen McD und Mo's Burger ist der Durchgang zu einer Glastür. Hinter der Glaswand sitzen einige Obdachlose (scheint zumindest so). Einer lag breit und quer da, als hätte er schon komplett aufgegeben. Und auch wenn wir nicht wissen, was die Personen dort wirklich machen, waren wir uns sofort einig: Wir sind so unendlich dankbar, dass wir hier in der Schlange zum Fast-Food stehen dürfen. Dass wir uns komplett tot und stinkig-schwitzen dürfen. Dass wir danach noch 8 Stunden auf unseren Flug warten dürfen. Dass wir Hungern dürfen, weil wir uns nicht entscheiden können; nicht, weil das Geld knapp ist. Das ist so unglaublich lächerlich sich über irgendwas zu beschweren, was keine direkte Not ist.
Ich bin auch sonst ein sehr dankbarer Mensch, aber bei der Anzahl an Stressfaktoren und einfach unangenehmen Umständen vergisst man schnell, dass der größte Teil der Menschen niemals in den Genuss kommen wird, sich über so einen Firlefanz aufzuregen.

Nach dem Burger sind wir zum Flughafen. Draußen war es betörende Hitze, drinnen 15 Grad Arktis. Trotz alller Positivität war das ein Problem, weil wir keine Wintersachen dabei hatten (warum auch). Wenn wir jetzt noch 7 Stunden im T-Shirt auf den Flug warten, sind wir nächste Woche auf jeden Fall krank.
Kein Problem, wir haben ja online eingecheckt. Also gehen wir zur Security, zeigen unser Ticket; Geht nicht. Ticket kaputt. Wir sollen doch bitte zum Schalter. Den Schalter gibt es aber noch nicht, weil der erste 4 Stunden vor Abflug öffnet. 3 Stunden später haben wir es nochmal probiert: Error, geht nicht, bitte Schalter. Als der Schalter dann 3 Stunden vor Abflug tatsächlich seine Arbeit aufgenommen hat, ging es schleichend vorran. Wir haben es uns eine Etage tiefer gemütlich gemacht, da war es nicht ganz so kalt. Leider hatte um diese Uhrzeit schon alles geschlossen, also musste das ansprechendste im Convenience-Store hinhalten:

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Puhhh war das unlecker. Abwechselnd rennt einer hoch und schaut, wie lange die Schlange ist. Als es dann soweit ist - wir sind nicht die letzten in der Schlange - haben wir es 20 min vor Abflug. Die Dame nimmt unsere Reisepässe und lächelt in aller Seelenruhe die Daten ins System. "How long will you be staying in Hong Kong?". Wir sind komplett perplex. Keiner von uns hat mit so einer Frage gerechnet. Sieht sie nicht in ihrem System, dass das hier der Rückflug ist?! Zwischen "Was geht Sie das an?" und "Mach hinne, unser Flug ist so schon 7 Stunden zu spät" entscheide ich mich schließlich für "We're living there, sooo.....". Sie antwortet: "Ok, what is the purpose of your stay?". Was ist das jetzt hier, Einreisebehörde? Bei allem Respekt, ich friere mir seit 6 Stunden den Arsch ab, ich hab doch gerade gesagt wir fliegen zurück nach Hause.
"Work.". Sie gibt uns die Pässe samt Bordkarten, wir eilen zur Security. Die exakt gleiche Dame, die uns vorher trotz Online-Bordkarte abgewiesen hat, wollte unsere Karte dieses mal nichtmal sehen. Ich hab sie perplex für einige Sekunden angeschaut, sie winkt aggressiv, ich solle doch weiter gehen. Was? Egal. Nicht hinterfragen. Nicht hinterfragen. Slowene, ist dein Durchfall besser? ja.

Im Flugzeug angekommen habe ich erstmal ca. 90 Minuten geschlafen. Dann bin ich wieder aufgewacht, es war Zeit für die Sicherheitseinweisung und den Abflug. Eieiei was eine Tortur. Auch wenn ich dankbar bin, dieses Tortur machen zu dürfen.


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Der Ladeanflug auf HKG war ein tolles Gefühl. Endlich wieder in Sicherheit. Endlich wieder auf normalem Boden. Endlich wieder gewohnte Umgebung. Rückblickend schon etwas komisch, aber ich war einfach froh, zurück zu sein. Ich würde ja sagen, dass Taipeh/Taiwan überbewertet ist... fairerweise muss man aber sagen, dass es das nicht ist. Schließlich preist generell keiner Taipeh an. Keiner sagt "oh du musst nach Taipeh, beste Reise meines Lebens".
War mit den anderen beiden unterm Strich trotzdem ein toller Ausflug, für insgesamt 223,04€ (alle Kosten einbezogen, inkl. Flug, Hotel, Essen, etc.) war das für einen Wochenendtrip im Ausland auch noch sehr human. Also ad acta damit, Taiwan nie wieder, aber nett wars trotzdem.


Nächstes mal (dann wirklich): Warum im August vor vielen Hong Konger Metro-Stationen demonstrativ der Hitlergruß gemacht wurde

* ist es natürlich nicht, ich würde am liebsten nochmal ein paar Wochen Rundreise machen
** so schlimm war es dann vielleicht doch nicht, aber ich war schon betrübt