Beinah live - Einmal mit Profis reisen...

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Mr. Hard

Spaßbremse
23.02.2010
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Zwei Jahre später, in einer anderen Welt - Zeit für eine Bestandsaufnahme

Zwei Jahre später, in einer anderen Welt - Zeit für eine Bestandsaufnahme

Fliegen, das ist noch immer der wahr gewordene Menschheitstraum, und für viele der Profis erfüllt er sich weiterhin fast täglich. Aber irgendetwas ist anders, es ist etwas passiert. Nicht nur die Pleite namhafter als auch namenloser Airlines trugen dazu bei, nein, diejenigen die Flüge zu vermeintlich niedrigen Kosten und manchmal auch günstigen Preisen anbieten, haben die Welt verändert. Dies war auch schon vor zwei Jahren so, aber ohne die airline der Hauptstadt wird es spürbar.

Daher habe ich mich erneut aufgemacht, um noch einmal die Profis beim Fliegen zu erleben. Noch einmal möchte ich ein Teil von ihnen sein, und schauen wie exklusiv es über den Wolken noch ist.

Es ist Dienstag, und es ist früh. Das prunkvolle Glasgebäude wartet darauf, in den ersten Sonnenstrahlen in seiner ganzen Schönheit erstrahlen zu können. Taxen fahren vor, dunkle Limousinen ebenfalls und das Parkhaus füllt sich. Die wenigen, mit Koffern bepackten Pauschaltouristen, werden von den Damen und Herren der Lüfte einfach gekonnt ignoriert. Zielstrebig schreiten Sie zur Überprüfung auf gefährliche Gegenstände oder Flüssigkeiten, aber was ist das? Niemand in einer langen Schlange, an der man vorbei Schreiten könnte. Verweist der Ort, der die Sicherheit im Flugverkehr sichert. Was nützt es, wenn man geübt das Tablet Aus- und Einpacken kann, im Aus- und Anziehen von Sakkos und Blazern begabt ist, und im Aus- und Einfädeln von Gürteln bei Europameisterschaften antreten könnte? Niemand den man hier übertrumpfen könnte, und das Personal gibt sich unbeeindruckt. Dahin der Vorteil einer Fastlane, die sowieso an Sinn verloren hat, seit man sie für schmales Geld kaufen kann. Wie soll die breite Masse erkennen, wer hier der wahre Vielflieger ist, wer hier zu den oberen 10.000 gehört?

Erfrischte man sich bis vor kurzem noch in den exklusiven Warteräumen der airline, so wartet man heute mit der breiten Masse irgendwo. Allein ein Pappbecher, gefüllt mit einem minderwertigen Heißgetränk, erstanden zu einem überhöhten Preis, macht deutlich, man kann sich etwas leisten, man ist irgendwer.

Wie war es noch schön, als das Boarding dafür sorgte, dass Testosteron vor Rasierwasser, dass Macht vor Masse, sortiert wurde. Schwarze Anhänger, güldene Karten und silberne Kärtchen kündeten vom wahren Wert des Halters für die Gesellschaft, von Stellung und Ansehen. Heute entscheiden schnöde 10 Euro über den Platz in der Schlange, der es einem erlaubt, die erste Morgenröte in der frischen und kühlen Herbstluft, wartend auf der Treppe an der Gangway zum Luftfahrtgerät zu erleben. Ausrangiert steht er da, der „Finger“, der es früher so bequem machte ein Flugzeug zu besteigen. Nicht mehr benötigt in einer Zeit, in der Bequemlichkeit an Wert verloren hat. Abgestraft für seinen treuen Dienst an der Menschheit, nur für ein paar gesparte Cent.

Ein Tonband mahnt Sitzgurte zu schließen, Telefongespräche zu beenden und den Flugmodus einzuschalten. Aber irgendwie scheint der Spaß am Telefonieren verloren gegangen zu sein. Nur wenige tippen noch schnell etwas in ihre mobilen Telefonhörer. Wie schön war es doch, als man die Taktgeber der Welt noch persönlich ansprach, Gastgeberinnen und Gastgeber Gäste empfingen. Heute vermeldet eine automatische Stimme wo ein Ausgang im Notfall zu finden ist. Gelangweilt entgegen genommen von einer Masse die mit dem Wegfall der Krawatte scheinbar auch den Spaß am Fliegen verloren hat. Auf den Fluren der wichtigen Büros des Landes gilt es als chic mit Hemd, Sakko und Jeans zu Telefon- und Videokonferenzen zu gehen. Aber hinter den Türen sitzen sie wie Ryan Bingham vor den Scherben der beruflichen Laufbahn. Heimgeholt hat man sie nicht, sie haben sich selbst gegroundet. Sie fliegen nicht mehr, weil eine Industrie ihnen keine Bestätigung mehr geben will, ihnen die Wertschätzung nicht mehr zeigt, das Ego nicht mehr streichelt. Wo ist das Besondere nur hin?

Fast ein wenig wehmütig schaut man zur nebenan geparkten Flotte der Wings-Dings, hier könnte man sich für ein paar 10-Euro-Scheine zumindest eine der ersten drei Reihen erkaufen, um zu zeigen, wo man im Leben und auf der Karriereleiter steht. Aber eine abschätzige Reiserichtlinie, die die dort gebotene Reiseklasse ignoriert, vereitelt dies. Und überhaupt, zu klein der Preisunterschied, zu gewöhnlich das Erlebnis, zu wenig Exklusivität in der man sich sonnen könnte.

In der Luft hat auch dieser Flug wieder wenig mit der Urlaubsreise von Tante Hettie und Onkel Horst gemeinsam. Ebensowenig allerdings auch mit dem Erlebten vor zwei Jahren. Das Anschnallzeichen erlischt und man lehnt ein feilgebotenes Getränk ab - „dankend“ möglicherweise. So kann man zeigen, wie abgeklärt man ist. Während sich genannte Verwandte hoch über den Wolken auf dem Weg nach Málaga jetzt mit einem Gin Tonic und ein paar Bier auf die schönste Zeit des Jahres einstimmen würden, sitzt der Vielflieger mit geschlossenen Augen in seinem Sitz. Nicht mal eine Zeitung hat man ihm gereicht. Welchen Antrieb gibt es noch, jetzt aktiv und effizient die Flugzeit zu nutzen? Warum noch versuchen die Andere und den Anderen zu überbieten, den globalen Wettbewerb weiter zu unterstützen, das Wirtschaftswachstum weiter zu befeuern, wenn es doch keinen Spaß mehr macht hier zu sein.

Fast verloren wirkt das für die Sicherheit zuständige Verkaufspersonal auf dem Weg mit dem Bauchladenwagen durch die Kabine. Wo es früher nach warme Laugenbrötchen, Kaffee und Tomatensaft roch, bei dem sich ein lockeres Gespräch mit der Sitznachbarin oder dem Sitznachbarn entspann, ja manchmal sogar ein gutes Gehöft entstand, ist heute gespenstische Ruhe.

Erst nach der Landung kehrt das Leben zurück in die Kabine. Immerhin strahlt doch der Mietwagenschalter noch etwas Farbe in die Tristesse. Hier ist ein Status noch etwas wert, zeigt das Upgrade wo man steht, nimmt das Leben wieder Fahrt auf.

Wehmütig schaute ich ihnen einst nach, wollte so gern Teil dieser vielfliegenden elitären Gemeinde sein. Heute absolviere ich meinen normalen Termin mit normalen Partnern, wie die anderen Normalen auch. Einige Gesichter vom Morgen werde ich am Abend wieder sehen, wenn es zurück geht, noch einmal in die Luft. Und während die einstigen Auserwählten im Homeoffice auf ihre Tablets tasten, wichtige Sprachnachrichten absetzen, und hoffentlich auch weiterhin an bahnbrechenden Innovationen feilen, stelle ich fest, der Traum vom Fliegen hat seinen Glanz verloren, hat seine Anziehungskraft eingebüßt und ist kaum mehr erstrebenswert.

Ich schaue noch einmal herab auf diese wundervolle Welt und denke nach, über ihre eigentümlichen Bewohner. Möglicherweise werde ich wieder einsteigen, und aufsteigen in die Lüfte. Aber wahrscheinlich tut es beim nächsten Mal auch eine Telefonkonferenz.
 
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