EU-Fluggastrechte - deutliche Änderungen geplant

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Berlin_Lawyer

Erfahrenes Mitglied
10.10.2017
810
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Berlin
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Problematisch wird es m.E. erst, wenn die Airline - wie beim Vulkanausbruch oder wegen regionaler Corona-Quarantäne - keine Ersatzbeförderung anbieten kann, selbst wenn sie wollte. Da muss man sich schon fragen, ob das nicht unter das allgemeine Lebensrisiko fällt und ob da nicht die Airline in die Rolle eines Versicherers für solche Extremfälle gedrängt wird.

Und genau das haben wir dieser Tage ja wieder auf den kanarischen Inseln erlebt.

Die Kommission hat das Problem schon 2011 erkannt und im Zuge der Vulkanasche angeregt, sich dessen anzunehmen:

Die Vulkanaschekrise hat aufgezeigt, wo die Verordnung, die durch das Ausmaß der Kriseauf eine harte Probe gestellt wurde, strukturell an ihre Grenzen stößt. Die Verhältnismäßigkeite iniger derzeitiger Maßnahmen, etwa die unbeschränkte Verantwortlichkeit hinsichtlich des Betreuungsanspruchs bei größeren Naturkatastrophen, wäre eine Neubewertung wert. Die Mitgliedstaaten und die Kommission müssen darüber nachdenken, wie sichergestellt werden kann, dass diese äußerst wichtige Unterstützung – die im Fall der Vulkanaschekrise ausschließlich von einem Teil der Branche geleistet wurde – künftig ordnungsgemäß gemeinsam getragen und finanziert wird. Eine Bewertung der finanziellen Kosten der Krise ist derzeit im Gang. Dafür müsste die Branche die notwendigen Daten bereitstellen, die aber eventuell noch nicht verfügbar sind, da zahlreiche von Fluggästen geltend gemachte Forderungen noch bei den nationalen Durchsetzungsstellen oder den zuständigen nationalen Gerichten in Bearbeitung sind. Es ist eine umfassende Bewertung zuverlässiger Zahlen,derzeitiger Bestimmungen und möglicher künftiger Maßnahmen erforderlich, damit sichergestellt wird, dass der Luftverkehrsbranche keine übermäßigen Belastungen auferlegt werden, und gleichzeitig dafür gesorgt ist, dass die Bürger die finanziellen Kosten und Unannehmlichkeiten von Naturkatastrophen nicht alleine tragen.

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Anwendung der VO 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen, KOM(2011) 174 endg
 
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hollaho

Erfahrenes Mitglied
22.10.2016
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Genau deshalb: Die echte Strafen, wenn sich die Airlines nicht an die VO halten, massiv hochsetzen, dafür die Entschädigungen deutlich reduzieren, gleichzeitig allerdings keine Ausnahmen wegen Wetter und anderer höherer Gewalt mehr zulassen (genauso wie bei der Bahn). Dann entfallen auch die ganzen Ausreden und die Hinhaltetaktik der Airlines.

Wäre tatsächlich ein Ansatz. Bleibt noch das Problem, daß die derzeitige Entschädigungsregelung zum guten Teil all-or-nothing ist und aktiv von gewissen Billigairlines mißbraucht wird. Weil die wissen, daß sie keine Umsteigeverbindungen anbieten und ihr Flottenmanagement relativ gut im Griff haben (das sehe ich sogar positiv), optimieren die teilweise so, daß Verspätungen von 1-1.5h bei den späteren Umläufen am Tag bewußt in Kauf genommen werden. So lange sie sich sicher sind, daß es nicht über 3h ausweitet, kostet sie das nix.

Z.B. bei WizzAir erlebt. Sogar die Stewardess war davon genervt und meinte nur lakonisch, daß der Flug leider so gut wie immer 1-1.5h Stunden zu spät ist, weil es sich eben addiert im Laufe des Tages. Da achte ich mittlerweile bei der Buchung schon drauf.

Sinnvoll wäre eine Staffel, beginnend bei 1h Verspätung (dann eben 50 EUR) und rauf gehend bis 600 EUR nach z.B. 48h. Schließlich skaliert der Schaden erheblich mit der Verzögerung. Wenn ich 48h Verspätung und nen halbwegs guten Job habe und 2 Urlaubstage abschreiben muß, komme ich locker in die Schadensregion und könnte das bei vorliegendem Verschulden der Airline vermutlich einigermaßen sicher nach Werkvertragsrecht einfordern.

Umgekehrt wenn eine Familie mit 2 Kindern anstatt um 17 Uhr um 21.01 Uhr aus dem Flieger tritt, sind die bei 4x600 EUR vermutlich fast schon am feiern, weil sie den Urlaub halb gegenfinanziert haben.
 
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Fighti

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19.08.2014
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MLA
Umgekehrt wenn eine Familie mit 2 Kindern anstatt um 17 Uhr um 21.01 Uhr aus dem Flieger tritt, sind die bei 4x600 EUR vermutlich fast schon am feiern, weil sie den Urlaub halb gegenfinanziert haben.
Dann ist das halt so.
Die Strafe ist ja dazu da, die Airlines eben dahin zu erziehen so zu planen, dass sie nicht in solche Situationen kommen. Wer da jetzt argumentiert "aber wenn man das so lässt, dann haben die ihren Urlaub finanziert" geht das Problem von der falschen Seite an.
 

umsteiger

Erfahrenes Mitglied
22.01.2012
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Glaube, der Grund, warum wir uns hierzulande bisweilen schwer mit der Ausgleichszahlung tun, ist auch dem Umstand geschuldet, dass immaterieller Schadensersatz so eine untergeordnete Rolle spielt.

Ärger, Stess, Zeitverlust. vermögenswerte, aber nicht bezifferbare Nachteile uvm - all das kommt für meinen Geschmack viel zu kurz. Da empfindet man dann eine solche Kompensation vermutlich schneller als "Geschenk" als in Gesellschaften, in denen immaterielle Werte womöglich eine größere Rolle spielen.

Aber letztlich muss man die EU-VO ja im europäischen und nicht nur im deutschen Kontext sehen.
 

Daidalos

Aktives Mitglied
16.02.2020
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Bleibt noch das Problem, daß die derzeitige Entschädigungsregelung zum guten Teil all-or-nothing ist und aktiv von gewissen Billigairlines mißbraucht wird. Weil die wissen, daß sie keine Umsteigeverbindungen anbieten und ihr Flottenmanagement relativ gut im Griff haben (das sehe ich sogar positiv), optimieren die teilweise so, daß Verspätungen von 1-1.5h bei den späteren Umläufen am Tag bewußt in Kauf genommen werden. So lange sie sich sicher sind, daß es nicht über 3h ausweitet, kostet sie das nix.

Z.B. bei WizzAir erlebt. Sogar die Stewardess war davon genervt und meinte nur lakonisch, daß der Flug leider so gut wie immer 1-1.5h Stunden zu spät ist, weil es sich eben addiert im Laufe des Tages.
Ich sehe wenig Relevanz in Bezug auf Regulierung. Bei Netzwerkcarriern addieren sich die Verspätungen bis zum Abend auch - im statistischen Mittel jedenfalls. So wurde das jedenfalls mehrfach auf Blogs wie aerotelegraph und airliners dargestellt.

Die durchschnittliche maximale Verspätung mag bei den LCC aufgrund enger gestrickter Flugpläne höher ausfallen, aber richtungsmäßig ist es bei LCC und Netzwekcarriern identisch.

Eine Optimierung, die ausgleichszahlungsrelevante Verspätungen/Annulierungen/IDB kleinhalten soll, gibt es mit Sicherheit bei allen Airlines. Insofern verstehe ich Deinen Punkt nicht ganz. Ich sehe auch nicht, wie eine Neuregulierung daran was ändern würde.

Markteingriffe wie höhere Ausgleichszahlungen am Abend sind wegen zu erwartender verzerrender Effekte keine gute Lösung.
 

pimpcoltd

Erfahrenes Mitglied
03.07.2009
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10
Für den Fluggast ist das wie eine Versicherung, die er im Anwendungsbereich der VO "automatisch" abschließt.

Statt daran zu rütteln, sollte lieber gefragt werden, wie die Gemeinschaft die Kosten für Fluggesellschaften in solchen Extremsituationen abfedern kann.

Welche Gemeinschaft? Die der Flugreisenden? Die der Steuerzahler?
 
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Daidalos

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16.02.2020
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Für den Fluggast ist das wie eine Versicherung, die er im Anwendungsbereich der VO "automatisch" abschließt.
Abschließen MUSS!

Das ist durchaus auch kritisch zu sehen. Nach Einführung der VO bestand die Strategie der Fluggesellschaften in erster Linie darin, die unklare Rechtslage (aufgrund handwerklich problematischer VO) insofern auszunutzen, als dass man es dem Fluggast möglichst schwer macht, an seine Leistung(en) im Versicherungsfall zu kommen.

Aber je mehr Grundsatzurteile es gibt, je solider der Verbraucherschutz wird (wozu m.M.n. auch Portale wie Flightright einen Beitrag leisten), desto stärker ändert sich die Strategie.

Wie reagiere ich, wenn immer mehr Fluggäste von Ihren Rechten nach VO vollumfänglich Gebrauch machen?

1.) Als Airline kann ich mehr investieren, um besser gegen (insb. ausgleichszahlungsrelevante) Verspätungen und Annulierungen gerüstet zu sein. Mehr Investitionen -> höhere Kosten -> höhere Ticketpreise.

2.) Ich ändere meinen Flugplan und meine Investitionen nicht, sondern ich erhöhe einfach direkt die Ticketpreise in dem Maße, so dass die Zusatzeinnahmen ausreichen, um Zahlungen im Versicherungsfall abzudecken.

3.) Ich ändere mein Angebot, um die Wahrscheinlichkeit des Eintretens des Versicherungsfalles zu reduzieren.

Wie sind diese Reaktionen zu bewerten?

1.) und 2.) sind problematisch für diejenigen Verbraucher, die wenig risikoscheu sind und die die Versicherung nicht abschließen würden, wenn es keinen Zwang gäbe. Sie sind schlechtergestellt als ohne VO (sie würden lieber das Risiko selbst tragen, als den höheren Ticketpreis zu zahlen).

3.) ist problematisch, weil es potentiell die Marktkräfte schwächen kann.

Wenn z.B. AF-KL und IAG ihre Umsteigezeiten erheblich erhöhen, um Versicherungsfälle zu reduzieren, wird das Angebot, dass sie Kunden aus Deutschland machen können, in Augen einiger Verbraucher schlechter. Für diese ist die Umsteigeverbindung dann keine so gute Alternative mehr im Vergleich zu, sagen wir, dem LH Direktflug. Die Wettbewerbsintensität am deutschen Markt sinkt, LH Group erhöht die Preise. Analoges kann natürlich auch in NL, FR oder GB passieren, weil dort die Wettbewerbsfähigkeit der LH Group zurückgeht.

Auch ist denkbar, dass die Airlines bestimmte Strecken komplett einstellen, weil sie z.B. aufgrund knapper Slots keinen anderen Weg sehen, die Inzidenz von Versicherungsfällen deutlich genug herunterzubringen. Da Konsumenten Vielfalt mögen und diese zurückgeht, sinkt auch das Wohlbefinden der Konsumenten.
 
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Tupolew

Erfahrenes Mitglied
27.09.2012
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Das ist Europa zum Abgewöhnen.

Und das ist der Punkt, warum es vermutlich letztes mal abgelehnt wurde. Die wissen ja auch, dass die EU wegen vieler Punkte nicht wirklich beliebt ist und die brauchen ihre Kapazitäten um noch ihre "Sicherheitsgesetze" durchzudrücken. Aber was das Reisen angeht, da ist Europa für die meisten Europäer ein wirklicher - und vor allem spürbarer! - Vorteil. Die wissen ganz genau, dass die sich da die Finger verbrennen.
 
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umsteiger

Erfahrenes Mitglied
22.01.2012
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Ist halt eine Gelegenheit, auch mal das "Europa der Verbraucher" wirklich zu spüren.

Aber gut, sollen sie die VO meinetwegen abschaffen. Aber das Schlimmste, was sie tun können, ist, sie so auszuhöhlen, dass nur noch Verbraucherschutz draufsteht, aber nicht mehr Verbraucherschutz drin ist. Das wäre dann in der Tat Wasser auf den Mühlen der vielen Euro-Skeptiker.
 

pimpcoltd

Erfahrenes Mitglied
03.07.2009
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1.) Als Airline kann ich mehr investieren, um besser gegen (insb. ausgleichszahlungsrelevante) Verspätungen und Annulierungen gerüstet zu sein. Mehr Investitionen -> höhere Kosten -> höhere Ticketpreise.

2.) Ich ändere meinen Flugplan und meine Investitionen nicht, sondern ich erhöhe einfach direkt die Ticketpreise in dem Maße, so dass die Zusatzeinnahmen ausreichen, um Zahlungen im Versicherungsfall abzudecken.

3.) Ich ändere mein Angebot, um die Wahrscheinlichkeit des Eintretens des Versicherungsfalles zu reduzieren.

Es fehlt die naheliegende Nr. 4: Rückversicherung.

Beim "Wohlbefinden der Konsumenten" scheint mir auch der individuelle und gesamtwirtschaftliche Nutzen eines zuverlässigen Personentransports von Bedeutung. Man stelle sich mal vor, die DB würde den Bahnverkehr in Japan übernehmen. Dann kann man das Land zumachen. Es ist eine politisch durchaus berechtigte Frage, ob wir desolate Unternehmen wie EW einfach so weitermachen lassen wollen.
 

Daidalos

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16.02.2020
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Es fehlt die naheliegende Nr. 4: Rückversicherung.
Das ist äquvalent zu 2. Dann erhöhe ich den Ticketpreis, um die Prämien für die Rückversicherung zu zahlen.

---

Nebenbei: Bitte meine obigen Beiträge nicht so verstehen, dass ich verbraucherschutzrechtliche Eingriffe generell ablehne. Die Wettbewerbssituation ist auf manchen Strecken/Märkten in Europa eher schwach. (Aber bitte Wettbewerb nicht missverstehen, wie es im Vielfliegerbereich oft geschieht: Nur weil eine bestimmte Strecke nur von einer Fluggesellschaft bedient wird, folgt nicht automatisch, dass kein Wettbewerbsdruck besteht. Denn manchmal könnten andere Fluggesellschaft unter überschaubaren Kosten in den Markt eintreten. Man spricht in dem Falle von einem bestreitbaren Markt.)

Mein Bauchgefühl ist, dass wir Fluggastrechte brauchen, aber besser kodifizierte und in einigen Szenarien vielleicht punktuell abgeschwächte (Kanada hat vielleicht auch Lehren aus den Erfahrungen in der EU/EWR gezogen).

Beim "Wohlbefinden der Konsumenten" scheint mir auch der individuelle und gesamtwirtschaftliche Nutzen eines zuverlässigen Personentransports von Bedeutung.
Zuverlässiger Personenntransport wird aber nicht durch Regulierung sichergestellt. Regulierung mit Augenmaß kann helfen, aber schlechte Regulierung schaden. Beispiel 9,80€ Mietgrenze in Berlin: Ich erwarte, dass es mittelfristig zu einer weiteren Verknappung des Wohnungsangebots und vielen sanierungsbedürftigen Mietwohnungen kommen wird -> die Regulierung ist also meiner Ansicht nach kontraproduktiv.
 
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pimpcoltd

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03.07.2009
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Zuverlässiger Personenntransport wird aber nicht durch Regulierung sichergestellt.
Steile These! Bankenaufsicht, Zulassung und Vertrieb von Pharmaprodukten, Erlaubnis zum Betrieb eines AKW - alles abschaffen und dem Markt überlassen?

Aber so hoch wollte ich es gar nicht aufhängen. Ich wollte nur sagen, dass Haftungsregeln dazu geeignet sind, Verhalten zu steuern, und dass die Gesellschaft ein Interesse daran hat, dass der Personentransport von den wenigen Unternehmen in dem Bereich einigermaßen zuverlässig geleistet wird. Man sollte sich also gut überlegen, ob man Haftungsfreistellungen erteilt, wenn man nicht gleich regulatorisch in die Betriebserlaubnis eingreifen will.
 

Daidalos

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16.02.2020
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Steile These! Bankenaufsicht, Zulassung und Vertrieb von Pharmaprodukten, Erlaubnis zum Betrieb eines AKW - alles abschaffen und dem Markt überlassen?
Warum versuchst Du ein Argument zu entkräften, das niemand hervorgebracht hat?

Aber ich spiele trotzdem kurz mit: Die Bankenaufsicht hat die Finanzkrise ab 2007 nicht verhindert. Das Arzneimittelzulassungsgesetz hat Vioxx nicht verhindert. Behörden in Japan haben Fukushima nicht verhindert.

Regulierung ist kein Allheilmittel. Aber zurück zum Thema: Ich habe nicht gesagt, staatlicher Verbraucherschutz ist generell falsch. Gerade, wenn es um Güter wie das Leben oder die Gesundheit geht. Das ist bei den Fluggastrechten aber nicht der Fall.

Ich wollte nur sagen, dass Haftungsregeln dazu geeignet sind, Verhalten zu steuern
Das ist unbestritten. Aber niemand sagt, dass Haftungsregeln der einzige Weg sind. Gebote, Verbote, Zertifizierung, Preiskontrollen, Steuern, Subventionen - das sind Möglichkeiten, das Verhalten der Marktteilnehmer zu beeinflussen. Aber: Der Wettbewerbsdruck am Markt stellt den wichtigsten Antrieb für Unternehmen dar, bessere Lösungen für die Nachfrager zu entwickeln.

Mein Punkt oben war ja nur, dass Markteingriffe unerwartete und negative Konsequenzen haben können. In Deutschland wird Verbraucherschutz oft sehr naiv betrachtet - Beispiel Mietpreisbremse oder 9,80€ Mietpreisgrenze in Berlin, die aufgrund vergleichbarer historischer Erfahrungen kritisch gesehen werden müssen und ein Lehrbuchbeispiel irregeleiteter Regulierung darstellen.

Auch bei den Fluggastrechten gibt es keinen Grund, dass sie (oder dass sie nur) zu mehr Pünktlichkeit, weniger Annulierungen und weniger IDB führen. Ein Nebeneffekt sind mit Sicherheit höhere Ticketpreise. Ein weiterer wahrscheinlicher Nebeneffekt ist die Entmutigung des Marktangebots.

Auch wird die Entwicklung markteigene Lösungen vermutlich nicht dadurch angespornt, dass ich eine gesetzliche Lösung vorgebe.
 
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pimpcoltd

Erfahrenes Mitglied
03.07.2009
3.316
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Auch bei den Fluggastrechten gibt es keinen Grund, dass sie (oder dass sie nur) zu mehr Pünktlichkeit, weniger Annulierungen und weniger IDB führen. Ein Nebeneffekt sind mit Sicherheit höhere Ticketpreise. Ein weiterer wahrscheinlicher Nebeneffekt ist die Entmutigung des Marktangebots.

Dagegen spricht der Umstand, dass nahezu alle unternehmerischen Verträge über zeitkritische Leistungen eine Vertragsstrafe bei Verspätung vorsehen.
 
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Berlin_Lawyer

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10.10.2017
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Berlin
Aber ich spiele trotzdem kurz mit: Die Bankenaufsicht hat die Finanzkrise ab 2007 nicht verhindert. Das Arzneimittelzulassungsgesetz hat Vioxx nicht verhindert. Behörden in Japan haben Fukushima nicht verhindert.
Okay, wenn ich an Regulierung einen Absolutheitsanspruch stelle, dann werde ich wohl regelmäßig enttäuscht werden. mE ist aber die Frage nicht, ob das AMG einen Vioxx Fall nicht verhindert hat, sondern wieviele Vioxx-artigen Fälle vermieden oder abgemildert wurden. Denn wenn ich es als Gesellschaft verbiete, bei Rot über die Ampel zu gehen und dieses Verbot wirkt in 99 von 100 Fällen, kann ich mich bei dem einen Fall, bei dem es nicht geklappt hat, nicht seriös hinstellen und sagen, die Regelung sei wirkungslos.


In Deutschland wird Verbraucherschutz oft sehr naiv betrachtet - Beispiel Mietpreisbremse oder 9,80€ Mietpreisgrenze in Berlin, die aufgrund vergleichbarer historischer Erfahrungen eher kritisch gesehen werden müssen.

Das kommt drauf an, was Ziel der Regulierung ist. Von Gegner wird stets angebracht, der Mietendeckel führe zu weniger Bauvorhaben, aber: Der Mietpreisdeckel verfolgt ja auch ein anderes Ziel, nämlich den Preisdruck kurz- bis mittelfristig zu nehmen im bestehenden (!) Mietmarkt. Flankiert werden soll diese Maßnahme durch andere Instrumente, die das Bauen vorantreiben sollen. Wenn ich mir dann isoliert den Mietendeckel ansehe, komme ich schnell zu einer Prognose wie deiner jetzigen, aber das ist mE unzulässig. Übrigens: Bin kein Fan des Mietendeckels, aber die Diskussion wird - und sie gehört nicht hierher - oftmals sehr einseitig und einfach geführt. Was ich damit sagen will: Ob Regulierung funktioniert, kann ich nur daran bemessen, was ich eigentlich mit der Regulierung bezwecke - und wenn die kurz- bis mittelfristige Senkung von Mieten das Ziel einer (!) Gesetzesinitiative ist, dann kann ich dem nicht gegenüberstellen, dadurch würden Bauvorhaben unwahrscheinlicher und daher tauge die Regulierung nicht.
 
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pimpcoltd

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03.07.2009
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Auch wird die Entwicklung markteigene Lösungen vermutlich nicht dadurch angespornt, dass ich eine gesetzliche Lösung vorgebe.

In der Frühzeit der VO hatte Ryanair darauf reagiert, indem sie pro Ticket einen "VO261/04"-Zuschlag von - genau weiß ich es nicht mehr - etwa 1 € erhoben. Das fand ich sehr verständlich und sinnvoll und hat mich auch bei 9 €-Tickets nicht gestört - unter der Voraussetzung, dass FR dann auch anstandslos die Ansprüche aus der VO erfüllt.

Dass die Haftung aus der VO auf die eine oder andere Weise in die Ticketpreise einfließt, ist ja banal. Sie sind vermutlich immer noch zu niedrig, weil die Airlines einen Großteil der Ansprüche nicht oder nur nach heftigen Gefechten erfüllen. Anstatt die Ausgleichszahlungen und Hotelnächte zu sozialisieren verlangen wir also vom einzelnen Geschädigten ein Opfer zugunsten der Gemeinschaft der preissensiblen Fluggäste - auch nicht wirklich überzeugend.

Das Risiko zu versichern ist m.E. bei den Airlines am besten aufgehoben, weil sie das umfassend für ihren gesamten Flugbetrieb tun können, während eine individuelle Versicherung durch den Fluggast buchstäblich millionenfache unnötige Transaktionskosten und Abzockerei bei den Vermittlungsprovisionen durch die Reisebüros verursacht. Wenn die Airline diese Kosten dann weiterreicht, ist auch das vernünftig, weil der Nutzen einer Versicherung umso größer wird, je mehr Versicherte sich daran beteiligen - Millionen zu einem Kleinstbetrag statt ein paar Dutzend Airlines mit ziemlich klar umrissener Schadensprognose.

Klar ist ferner, dass der Versicherungsbeitrag vom versicherten Risiko abhängt (also den Ansprüchen aus der VO), weshalb er unabhängig vom Ticketpreis - sagen wir mal - 1 € pro Ticket beträgt: hier (und nicht bei der Höhe der Ansprüche) ist der richtige Ort für eine prozentuale Berücksichtigung des Ticketpreises (einfach dadurch, dass 1 € bei einem 9 €-Ticket relativ viel mehr ist als bei einem 900 €-Ticket).

Warum FR diesen Ansatz aufgegeben hat, ich weiß es leider nicht. Aber wenn ich sehe, dass Kreditkarten und andere reisebezogene Leistungen zunehmend mit Versicherungen gegen Flugunregelmäßigkeiten ausgestattet werden, dann sollte man diese Lösung nochmal hochholen.
 
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Daidalos

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16.02.2020
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Okay, wenn ich an Regulierung einen Absolutheitsanspruch stelle, dann werde ich wohl regelmäßig enttäuscht werden. mE ist aber die Frage nicht, ob das AMG einen Vioxx Fall nicht verhindert hat, sondern wieviele Vioxx-artigen Fälle vermieden oder abgemildert wurden. Denn wenn ich es als Gesellschaft verbiete, bei Rot über die Ampel zu gehen und dieses Verbot wirkt in 99 von 100 Fällen, kann ich mich bei dem einen Fall, bei dem es nicht geklappt hat, nicht seriös hinstellen und sagen, die Regelung sei wirkungslos.
Bankenregulierung lässt sich mindestens bis ins 19. Jht. zurückverfolgen und die Häufigkeit von Finanzkrisen hat seitdem nicht substantiell abgenommen (das ist etwas vereinfacht, aber im Kern das, was eine bahnbrechende Arbei zweier Wirtschaftshistoriker gefunden hat).

Du kannst auch nicht seriös sagen, dass die Regulierung 99 Vioxx-artige verhindern konnte. Die kontrafaktische Analyse ist immer äußerst schwierig. Nach Skandalen wie dem Contergan-Skandal oder BSE-Skandal hat man auf Regulierung gesetzt. Aber es ist nicht so einfach zu sagen, was stärker marktbasierte Lösungen hervorgebracht hätten.

Letztendlich habe ich mich gar nicht so weit aus dem Fenster gelehnt, wie hier getan wird. Ich habe nur gesagt, dass Regulierung gut oder schlecht sein kann. Das muss anhand von Kosten-Nutzen-Analysen beurteilt werden. Und das gilt im Besonderen für die Fluggastrechte und deren Reform.

Die leicht off-topic Beispiele von Finanzmarkt, Arzneimittelsicherheit und Schutz im Umgang mit radioaktiven Substanzen und Prozessen habe ich nicht angebracht.

Ich gebe zu, dass ich derjenige war, der das leicht off-topic Beispiel der gesetzlichen Höchstmiete angebracht habe. Das liegt daran, dass die Höchstmiete wissenschaftlich ganz überwiegend negativ beurteilt wird und wirklich ein Lehrbuchbeispiel dessen ist, wie wirtschaftspolitische Akteure die Anreizwirkungen ihres Handels nicht folgerichtig zu Ende denken (oder vielleicht tun sie's, ignorieren das Ergebnis aber Populismus.) Hoffentlich hiermit jetzt back-to-topic.

tl;dr Auch Fluggastrechte sollten einer Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen werden. Die Ergebnisse eines staatlichen Eingriffs sollten immer mit den erwarteten Marktergebnissen ohne regulatorischen Eingriff verglichen werden.
 
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pimpcoltd

Erfahrenes Mitglied
03.07.2009
3.316
10
Die Ergebnisse eines staatlichen Eingriffs sollten immer mit den erwarteten Marktergebnissen ohne regulatorischen Eingriff verglichen werden.
Wirst du uns diesen Vergleich bieten?

Aber es ist nicht so einfach zu sagen, was stärker marktbasierte Lösungen hervorgebracht hätten.
Ziemlich leicht lässt sich jedenfalls belegen, dass sich noch keine Airline gefunden hat, die freiwillig ihre Passagiere für oftmals vorsätzliche Vertragsbrüche entschädigt. Zivilrecht ist eben nicht nur Kosten-Nutzen-Rechnung, sondern eine Friedensordnung, die ihren Preis hat.
 
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AirForce

Erfahrenes Mitglied
21.01.2020
296
35
Deutschland
Niemand sägt gerne an dem Ast, auf dem man selber sitzt. ;-)


Anders lese ich das auch nicht. Tatsache ist doch, dass die Verordnung die Airlines stark benachteiligt und das Ringen um den Ausgleichanspruch praktisch zum Volkssport erklärt hat. Meine persönliche Ansicht ist deshalb, dass man die Verordnung komplett abschaffen sollte und die Fluggesellschaften dem Wettbewerb aussetzt. Wenn jemand seine Fluggäste schlecht behandelt, gehen sie halt zur Konkurrenz.

Dennoch, wenn ich selbst betroffen bin, mache ich meine Ansprüche natürlich auf Grundlage der aktuellen Fassung der Verordnung geltend!
 

AirForce

Erfahrenes Mitglied
21.01.2020
296
35
Deutschland
Zu der Fluggesellschaft, die seine Fluggäste besser behandelt und pünktlich transportiert. Oder ich nutze die Bahn, den Bus, das Auto etc. Jedenfalls hätte man dann nicht mehr die jetzige Situation, dass sich die Airlines einen ganz üblen Preiskampf liefern. Stattdessen ginge es endlich mal wieder um Qualität!