Teil 7: Von phantastischen Tierwesen und wo sie zu finden sind
Bett, Bad, Brasserie. Es gibt Frühstück, keine Croissants. Auch keine Kiwifrüchte. Aber das ist vielleicht besser so; bei meinem letzten Aufenthalt in diesem Etablissement prangte auf den Früchten tatsächlich ein Aufkleber 'Product of Italy'. WTF! Nach dem Frühstück satteln wir Holden, der sich von den Strapazen der letzten Tage erholt hat. Banks Peninsula heißt das Ziel unseres heutigen Ausflugs. Google Maps sagt 81 Kilometer, ich sage, kann ja nicht so schlimm werden. Wir fahren auf dem Highway 75 nach Akaroa, als sich die Straße plötzlich verdunkelt und wir mitten in einen Schauer geraten. Instinktiv schalte ich den Scheibenwischer ein, aber auf der Scheibe wollen sich keine Tropfen bilden. Erst jetzt erkennen wir, dass wir gerade mitten durch einen riesigen Mückenschwarm hindurchfahren.
'Siehe, so will ich morgen Heuschrecken kommen lassen über dein Gebiet, dass sie das Land so bedecken, dass man von ihm nichts mehr sehen kann.' (zweites Buch Mose) Nach ein paar Minuten ist der Spuk wieder vorbei. Nur die kleinen Leichen am Kühlergrill sind stummer Zeuge dieser Nahbegegnung der dritten Art. Schließlich erreichen wir Hilltop Tavern; dort bekommt man einen schönen Blick über die Halbinsel vulkanischen Ursprungs.
Vom höchsten Punkt aus führen alle Wege bekanntlich nach unten und uns die Serpentinen damit abwärts zur Küste, vorbei an der Barrys und Duvauchelle Bay. An der Seafield Road verlassen wir kurz den Highway, um die Bucht mit ihren bunten Bootshäuschen auf Zelluloid festzuhalten. Nun, wohl eher auf MicroSD-Karte. Dank einer Gruppe von Fotografieexperten geht das ja recht Platz sparend; diskrete Kosinustransformation ist schon etwas Schönes. Aber das ist eher (Achtung: Dativus Possessivus) dem Monty seine Baustelle.
Weiter geht's zur French Bay nach Akaroa, einer historischen Siedlung, die von französischen Einwanderern gegründet wurde und insbesondere für ihre koloniale Architektur bekannt ist. Der Hauptstraße Rue Lavaud folgend gilt unser erster Stopp dem Banks Peninsula War Memorial, das an die im zweiten Burenkrieg und ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten der Halbinsel erinnert. Gleich daneben steht die Statue des französischen Künstlers Charles Meryon, der zwar als Maler dargestellt wird, in Wirklichkeit aber ein Radierer war. Die angrenzende Rue Balguerie führt uns daraufhin zur St. Peter's Church, einer anglikanischen Kirche im neugotischen Stil und weiteres Highlight des kleinen Dörfchens.
Ganz ohne Google Maps erreichen wir nach gut 800 Metern das Akaroa Pier. Von dort startet Black Cat Cruises unter anderem Ausflüge zu den in der Bucht lebenden Hector-Delfinen, mit die kleinsten Vertreter dieser Spezies. Hm, in Akaroa scheint alles irgendwie kleiner zu sein; muss wohl an der Seeluft liegen. Aber wegen der Delfine sind wir nicht hier. Wir wollen zu den Little Blue Penguins, den neuseeländischen Zwergpinguinen und kleinsten Artgenossen ihrer Familie. Bevor wir nun die Fahrt zur Flea Bay antreten, steht zunächst noch eine kleine Stärkung auf dem Programm. Das Frühstück liegt ja bereits eine Weile zurück und in der Luft hängt der Duft von gegrilltem Fisch. Ausgestattet mit einer Portion Zackenbarsch vom morgendlichen Fang setzen wir uns ans Ufer und fühlen uns dabei an Billy Massey und Chuck Jarvis erinnert: die Geier warten schon. Also die Seegeier, äh, Seemöwen.
Nächster Punkt auf der Liste: das Akaroa Lighthouse. Ursprünglich stand das Leuchtfeuer auf Akaroa Head an der Einfahrt zu Bucht, bevor es im Jahr 1977 nach Betriebseinstellung hierher verlegt wurde. Heute ist es eines der wenigen verbliebenen Exemplare hölzerner Leuchtfeuer in Neuseeland, das nur noch zu besonderen Anlässen auf die French Bay hinaus scheint. Hinter dem Leuchtturm befindet sich der Akaroa Yachtclub, dessen Landungsbrücke nicht nur für ein Gruppenfoto (wie immer ohne den kamerascheuen Monty) ein dankbares Motiv abgibt.
Was nun folgt, ist der Teil des Ausflugs, der mir definitiv in Erinnerung bleiben wird. Die Flea Bay, so will es Google Maps wissen, liegt 12 Kilometer entfernt.
'Das ist ja nicht sehr weit' denke ich mir. Famous last words. Aber diese 12 Kilometer sollen mich eines Besseren belehren. Über die Lighthouse Road führt die Route zunächst wieder nach oben. Die Straße per se ist etwas breiter als ein Auto, aber soweit gut zu befahren. Zumindest bis zu dem Punkt, an dem der Asphalt endet und die Offroad-Strecke beginnt. Was genau will mir das Schild '4WD only' sagen? Ich zähle Holdens Beine, es sind vier an der Zahl. Passt. Nun, wer genau hinsieht, erkennt, dass unser treuer Hengst aber nur auf zweien laufen kann. Egal, es wird schon gehen. Die Straße, besser, der Weg ist nun kaum noch breiter als unser Auto, auf der einen Seite geht es steil nach oben, auf der anderen Seite steil nach unten. Jetzt bloß keinen Gegenverkehr bitte. Nach ungefähr sieben Kilometern biegen auf wir die Flea Bay Road ein, von da an geht's auf den nächsten fünf Kilometern schlangenförmig über Stock und Stein wieder abwärts. Langsam nähern wir uns dem Ziel, bis ein Gatter den Weg versperrt. Wenden
is not an option und in Gedanken sehe ich mich schon die ganze Strecke wieder rückwärts hochfahren und schwitze dabei kalt aus allen Poren. Das Gatter ist zwar mit einer Kette gesichert, aber es lässt sich öffnen. So bringen wir auch die letzten Meter hinter uns und erreichen eine Farm, die uns mit den Worten 'Private property' sowie 'Public access to beach and toilets only' begrüßt. Endlich geschafft, vor uns liegt die Flea Bay. In der Ferne zieht eine Robbe einsam ihre Kreise, während hier am Strand gähnende Leere vorherrscht. Wie jetzt, war die ganze Fahrt umsonst? Zu den grauen Haaren der letzten Stunde gesellen sich instantan noch ein paar neue.
Von den Pinguinen fehlt jede Spur, nur die weißen Markierungen auf den Felsen künden von deren Anwesenheit. Bekanntermaßen erledigen Pinguine ihr Geschäft ja mit Hochdruck, sodass sie sich nicht ins eigene Nest, äh, drieten (Anm. d. Redaktion: Hierzu gibt es sogar einen strömungsmechanisch interessanten Artikel
'Pressures produced when penguins pooh - calculations on avian defaecation', Springer, 2003). Gut, es sind Zwergpinguine, aber so klein sind sie nun auch wieder nicht. Oder doch? Aus den Augenwinkeln heraus nehme ich eine Bewegung war. Und tatsächlich, da sind sie, die kleinen Scheißer. Versteckt zwischen Felsspalten können wir die 35 bis 40 Zentimeter großen Vögel entdecken. Um die Tiere vor einem Herzinfarkt zu bewahren, bleiben wir besser auf Distanz und die Kinder ausnahmsweise im Rucksack. Auch wenn die vier natürlich gerne ein Pinguin-Selfie gehabt hätten.
Des Glückes teilhaftig kehren wir zu Holden zurück, als wir auf den Besitzer der Farm treffen. Mit dem gleichen breiten neuseeländischen Akzent wie tags zuvor Andrew (der Hubschrauberpilot) erzählt uns der ältere Herr von seiner mühseligen Aufgabe, die Pinguine in der Bucht zu schützen, auch wenn ihm der Staat für seine Kosten keinerlei finanziellen Beistand leistet. Schließlich zeigt er uns noch ein Pärchen, das sich am Haus eingenistet hat und dort gemeinsam die Eier ausbrütet. Irgendwie sind sie schon putzig, diese Zwergpinguine. Aufgrund des einsetzenden Nebels und Nieselregens lässt sich das Unvermeidbare nicht länger aufschieben und wir treten die Rückfahrt an. War der Weg vorher schon schlecht zu befahren, so macht es der inzwischen rutschige Untergrund nicht besser. Wieder kalter Schweiß und noch mehr graue Haare. Als wir die Abbiegung zur Lighthouse Road erreichen, ist die Flea Bay bereits im Nebel versunken und auf der anderen Seite schwinden langsam die Umrisse der Bucht von Akaroa dahin.
Die Welt hat uns wieder. Nach gut einer Stunde Fahrt sind die 12 Kilometer bezwungen. Noch einmal möchte ich die Strecke aber nicht fahren. Zumindest nicht in absehbarer Zeit. Wir erreichen das Akaroa Pier. Wo sich am Morgen noch Horden von Touristen die Nasen an den Schaufenstern platt gedrückt haben, wirkt es jetzt wie ausgestorben. Merke: Wenn bei Akaroa die rote Sonne im Meer versinkt, dann wird es Nacht über der Banks Peninsula. Der Ausflug zu den Pinguinen hat uns hungrig gemacht. Es gäbe einen Thailänder, aber das wäre nun wirklich zu monoton. Im 'The Trading Rooms' werden diverse Fischgerichte feilgeboten, sodass wir uns dort niederlassen und die Lämmer - zumindest heute - auf den Wiesen verbleiben dürfen. Als Hauptspeise gibt es einen gemischten Fischteller, als Nachspeise eine eigenwillige Kreation von Affogato, bevor wir die Heimreise nach Christchurch antreten.
Bar, Bad, Bett. Der nächste Morgen empfängt uns mit Regen. Gut, der war angesagt, zwingt uns aber trotzdem, die Tagespläne neu zu überdenken. Im Hotelrestaurant, beim Doppelbäumchen heißt das Garden Court Brasserie oder kurz GCB, empfiehlt man uns einen Ausflug nach Hanmer Springs zu den Thermalbädern.
"You know, cold water from above, warm water from below." Also Badetag. Warum eigentlich nicht. Kurz aufs Handy geschaut und Google Maps sagt 133 Kilometer, ich sage, wenn's schee macht. Nach der gestrigen Fahrt zu den Zwergpinguinen muss Holden unser heutiger Ausflug wie ein Spaziergang vorkommen. Über die State Highways 1 und 7 geht es nördlich in das an den Ausläufern der Berge gelegene Örtchen im Hurunui Distrikt. Nach der Entdeckung heißer Quellen wurden dort im Jahr 1883 erste Bäder errichtet, die in ihrer modernen Variante ein beliebtes Ziel von Touristen darstellen. Und wer nicht baden möchte, der kann mit 90 km/h auf einem Jetboot über den angrenzenden Waiau River jagen. Aber dafür ist es heute ein wenig zu kalt, weswegen wir die warmen Quellen vorziehen.
Flugs die Jeans gegen eine Badebüx getauscht und schon kann der Spaß beginnen. Die einzelnen Pools haben unterschiedliche Temperaturen, nach Schwefel stinken sie alle. Die Regeln sind einfach: kein Silberschmuck und immer schön den Kopf über Wasser halten. Wir verbringen den ganzen Nachmittag damit, jeden Pool mindestens einmal auszuprobieren. Bei Wassertemperaturen bis zu 42 °C stört es auch nicht, wenn von oben kalter Regen danieder prasselt.
Baden macht hungrig. Leider hat in Hanmer Springs kein Restaurant geöffnet, sodass wir mit knurrenden Mägen nach Christchurch zurückkehren. In gewohnter Manier besuchen wir heute mal keinen Inder, sondern einen Perser. Bei mir wird's Kebab mit Reis, ein Mix aus Hühnchen und Lamm. Natürlich darf auch der Besuch im Starbucks nicht fehlen, denn ohne ausreichend Kaffee ist später an Schlaf gar nicht zu denken. Verdammte Sucht.
Zurück im Hotel besuchen wir wie jeden Abend noch kurz die Bar, um unseren Vorrat an Vouchern abzubauen. Cocktail des Abends ist immer noch Espresso Martini und im TV läuft wie immer Rugby. Die geneigte Leserin mag womöglich an Punxsutawney denken, aber in dieser Geschichte geht es um Pinguine und nicht um Murmeltiere. Basta. Und wieder geht ein schöner Tag zu Ende. Gute Nacht.