14.-18. März - Catan, Kyoto und ein Holzmeister im Wald
Auf dem Weg nach Kyoto wollten wir einen Zwischenstopp in Nara machen. Haben wir auch gemacht, Rehe gesehen, Klassiker, fand ich jetzt nicht so spannend. In Kyoto selber war ich schonmal und fand es echt erstaunlich uninteressant. Trotzdem war ich gewillt dem ganzen eine zweite Chance zu geben, also kamen wir gegen 17 Uhr in unserer Bleibe für die nächsten zwei Nächte an. Ein "Guesthouse", also im Grunde einfach ein Airbnb mit geteiltem Badezimmer. Beim Einchecken sagte man uns, unser Zimmer wäre im ersten Obergeschoss - damit wir unser Gepäck allerdings nicht hochschleppen müssen, könne sie das auch einfach mit dem Mitarbeiterfahrstuhl hochfahren. Also haben wir unser Gepäck überreicht und haben uns erwartungsvoll vor unsere Zimmertür gestellt - nur um dann keinen Fahrstuhl zu sehen. Was sie uns nicht gesagt hat: Der Fahrstuhl hält nur im Erdgeschoss und im dritten Obergeschoss. Wir durften also ganz nach oben, um unser (ich betone: ) - Handgepäck - 2 Etagen runter zu tragen, anstatt es einfach gleich die eine hochzutragen. Na Mensch, das hat sich ja richtig gelohnt. Das Zimmer war aber eigentlich ganz nett: So ein klassischer Tatami-Boden, gute Ausstattung und super Lage.
Inzwischen war es langsam an der Zeit, sich über den weiteren Tagesverlauf Gedanken zu machen. Hunger haben wir nicht wirklich, aber wir waren immerhin in einer Millionenstadt, irgendwas wird es hier ja geben?
Und das gab es: Online haben wir ein Brettspielcafé gefunden, dass genau heute ein offenes Treffen veranstaltet. Man konnte also einfach hingehen und mitmachen. Das klingt doch super: neue Leute, neue Locals, eine Beschäftigung... Moment nur 1 eingetragener Teilnehmer? Ach, das passt schon.
Schließlich war es nicht ein, sondern 7 Teilnehmer, inklusive des Betreibers: Nate. Der Betreiber war ein Amerikaner (der seit 20 Jahren in Japan lebt), wir haben uns an einen Tisch mit noch mehr (2) Amerikanern gesetzt und die Siedler von Catan gelernt. Vom Namen kannte ich dieses Brettspiel schon ewig, nicht aber die genauen Regeln und den Spielablauf. Nachdem die restliche Besucherschaft dieses Etablissements sich langsam ausgedünnt hat, kam Nate irgendwann an unseren Tisch rüber und hat uns für unsere schlechten Züge und Deals ausgelacht. Später ist er dann eingestiegen - und obwohl das Café eigentlich um 23:00 Uhr schließt, haben wir bis 4:00 Uhr morgens Wolle, Holz und Lehm gehandelt;
Nate: "Oooh you're from Germany?"
Wir: "Yesss"
Nate: "Ooohh, so you probably know the Spihl dé Jaars?" (scharfes S bei Spihl)
Wir schauen verwirrt
Nate: "Spihl dé Jaars!!! That famous german award!"
Wir schauen nochmal verwirrt - am Ende kramt er eine der Boxen raus, zeigt uns das Subjekt der Verwunderung und schaut uns mit offenem Mund erwartungsvoll an:
Wir: "OooooohhhhhhhhhhhhhhhhhhHH"
Nate: "So you know it?" (schaut dabei noch erwartungsvoller)
Wir: "No."
Direkt auf die Erkenntnis unserer Mächtigkeit der deutschen Sprache folgte ein Wettbewerb, welcher der Amerikaner denn am besten "Die Quacksalber von Quedlinburg" aussprechen könne. Wir durften Jury spielen.
Ich habe mir stark vorgenommen, an meinen Vorurteilen gegenüber Amerikanern zu arbeiten; ehrlicherweise machen die es mir manchmal aber nicht leicht. Eine alte Interaktion, die ich bis heute nicht aus dem Kopf bekomme:
New York City, 2023 - Ich sitze mit 3 ehemaligen Klassenkameraden und einem amerikanischen Bekannten unseren Alters in einer Burgerbude in Manhattan. Wir unterhalten uns über Träume, Ziele, und berufliche Ausrichtung. Wir sind gerade in dem Alter gewesen, in dem man für gewöhnlich langsam aus der Probezeit vom Autoführerschein rauskommt; unser amerikanischer Kumpel hatte den aber noch nicht gemacht. Fragt er: (sinngemäß ins Deutsche übersetzt)
Er: "Oh mein Gott, ich möchte unbedingt [wenn ich meinen Führerschein mache] stick driving lernen. Also Schalten mit Knüppel. Kennt ihr das? Wahrscheinlich nicht oder? So Schalterautos habt ihr ja vermutlich nicht in Deutschland oder?"
Wir schauen ihn verwirrt an und überlegen uns, wie wir vermitteln, dass jeder einzelne von uns seit Jahren einen Schalterführerschein hat -
Er: "Oh schauts, da kommt unser Wasser. Das ist New Yorker Leitungswasser, das ist richtig gut. Kann man bei euch Leitungswasser überhaupt trinken eigentlich?"
Natürlich sind lange nicht alle so, genau deswegen möchte ich an diesen Vorurteilen arbeiten. Aber wie gesagt; das macht sich manchmal halt echt schwer; so hat der einer der amerikanischen Catan-Fans dann mehrfach gefragt, warum er denn nicht direkt ohne weiteres nach Japan ziehen könne, er habe doch die amerikanische Staatsbürgerschaft. Das wurde dann nur noch übertroffen vom gemeinsamen Rätselraten, ob Großbritannien denn nun in Europa liegen würde oder nicht, schließlich sind sie ja nicht mehr in der EU.
Gegen einen kleinen Obulus konnte man sich auch mit wahlweise Smoothies oder Alkohol aus dem Tetrapack betrinken. Da es der gesamten Truppe dann aber doch nach einer vollwertigeren Mahlzeit gelüstet hat, sind wir nach einem Abschiedsfoto zum einzigen noch geöffneten Ramen-Laden weit und breit:
Ichiran. Hab ich bis dahin auch noch nie gehört, scheint eine Kette mit 24h Budget-Ramen zu sein, war aber eigentlich ziemlich gut:
Am Folgetag sind wir erst gegen 14 Uhr aufgestanden, wir waren ja auch extrem spät ins Bett. Was macht man also, wenn der halbe Tag weg ist? Richtigg, man geht was Essen und wieder zum gleichen Brettspielcafé:
Fairerweise hatten wir uns vorgenommen, dieses mal früher nach Hause zu gehen, um vom nächsten Tag auch was zu haben. Da die Suche nach weiteren Couchsurfing Hosts obsolet wurde - ich würde ja einfach wieder zur selben Familie zurückkehren - musste ich irgendetwas mit meinen deutschen Mitbringseln anstellen. Das waren insbesondere mehrere 100ml-Fläschchen Berliner Luft und noch ein Stapel Hitschies Drachzungen (diese sauren Gummibärstreifen). Die sieht man da auch rechts im Bild liegen; die Amerikaner waren begeistert. Wir waren an dem Abend nur noch zu viert - Nate (der Betreiber), ein Freund von ihm und wir. Nachdem ich langsam besser in diesem Brettspiel wurde, ging es dieses mal aber wirklich früher ins Bett.
Damit wir am nächsten Tag was machen können? Genau, Klassiker, irgendwelche Tempel und Schreine anschauen. Zu unserem Glück hat es auch kräftig geregnet, sodass kaum Touris weit und breit waren. Ein Traum.
Nachdem wir brav unsere Fotos gemacht hatten, hat sich langsam der Bauch zu Wort gemeldet. Die japanischen Mikroportionen hatten für gerade einmal 3 Stunden gesättigt. Also Google Maps rausgeholt, ein nahegelegenes Lokal gesucht und losmarschiert. Auf dem Weg dorthin sind wir - in einer sehr leblosen Wohnsiedlung - an einem Haus vorbeigekommen, an dem eine dicke, fette, deutsche Fahne hing. Sieh an, was ist denn das?
"German Bakery". Na das wollen wir doch mal sehen. Nachdem wir unser neues Mittagessen gefunden hatten, sind wir grinsenden Schrittes hinein und haben in zwei Gängen Donauwelle, Frankfurter Kranz und Sachertorte begutachtet.
Als wir dabei waren, uns wie Bolle über die Abwechslung zum Reis und Nudelalltag zu freuen, hat immer mal der Bäckermeister aus seiner Kammer hervorgegrinst; der war nämlich tatsächlich Deutscher. Als wir fertig waren haben wir dann noch ein paar Worte gewechselt und schließlich ein Erinnerungsfoto geschossen (Erinnerung für uns, dem Bäcker dürfte das herzlich egal sein, wahrscheinlich kommen solche wie wir fast jede Woche dort rein).
Langsam war es auch Zeit, in das neue Hotel einzuchecken. Das vorherige hatten wir nur für 2 Nächte gebucht, verlängern wäre absurd teuer geworden. Also haben wir noch eine Nacht in ein anderes eingebucht - in der Erwartung, dass das dann auch die letzte nacht in Kyoto werden würde.
Nachdem wir das Hotel dann gefunden hatten (das war schwieriger als erwartet, weil es zwei der selben Kette gab, die exakt gleich hießen, aber in unterschiedlichen Straßen waren - wir waren zuerst beim Falschen) und das Gepäck abgeladen hatten, wurde es erstmal Zeit für ein Geschäft. Auf dem Klo.
Ich habe mich bisher nicht ausgiebig mit japanischen Toiletten beschäftigt, vor allem nicht mit den diversen Sprüh und Saugfunktionen. Der Sitz ist beheizt - dss ist nach Umgewöhnung ganz angenehm - und die Spülung spült halt. Sollte sie. Leider hat die Spülkraft nicht ausgereicht. Und so stand ich ratlos dort, ungewillt, dem Hotelpersonal diese Sonderaufgabe zu überreichen. Der Kollege aus dem Nebenzimmer warf ein, ich solle den Spülknopf doch einmal besonders lange drücken. Nichts tat sich. Die nächste Idee war dann, den Duschkopf als Spülung zu verwenden, da ist sicherlich mehr Druck hinter. Nichts tat sich.
Also wurde es Zeit für einen letzten Versuch. Er hat sich an die Wand zur Toilettentür gestellt, die Hand durch die spaltweit geöffnete Tür, in Bereitschaft am Spülknopf. Ich habe in meiner linken Hand den Duschkopf (in Richtung Unfallstelle gerichtet), in meiner rechten Hand die Armatur. Wir machen uns bereit, alles, was dieses Bad an Wasserspülkraft aufbringen kann, gleichzeitig zu mobilisieren.
DREI!! - wenn das nicht klappt.. keine Ahnung
ZWEI!! - es fühlt sich almählich so an, als würden wir eine neue Rakete ins All schicken.
EINS!! - okay okay komm schoooon -
NULL!!!!!
es spült
und es spült
Wassermassen werden hinuntergeschossen
...
Erfolg!!!
Ich entschuldige mich der unangenehmen Anekdote, aber im Ernst: Warum haben die Toiletten manchmal so super wenig Spülkraft?
Nachdem sich das erledigt hatte, ging es weiter in die Stadt. Inzwischen war es langsam schon abends, entsprechend die Atmosphäre:
Nachdem wir in einem weiteren Nudelsuppenspeisenladen halt gemacht haben, ging es zeitig ins Bett - wir wollten morgen sehr früh nochmal eine Touristenattraktion sehen (Fushimi Inari, ein Schrein in einem Wald), aber ohne Touristen. Tatsächlich war die Sorge wieder relativ unbegründet, wir haben uns im großen Schrein-Wald nämlich so arg verlaufen, dass wir ca. eine Stunde lang keinen einzigen Touristen gesehen haben.
Dafür war irgendwann eine erstaunlich lebendig wirkende Holzhütte zu sehen; in der scheinbar auch jemand saß. Je näher wir kamen, desto mehr Holzkunstwerke konnten wir auf der Terasse erkennen. Das hatte alles schon fast etwas mystisches - der leere Wald, diese geheimnissvolle Hütte.. zumindest so lange, bis wir ein Schild sahen, auf dem Stand, dass hier auch Holzbearbeitungskurse angeboten werden, man könne sogar mit Visa bezahlen. Der Hüter der Hütte hat uns irgendwann hineingewunken und Hausschuhe hingestellt. Auf ein "Wir wollen nur schauen, keinen Kurs belegen

" folgte ein "Heute gibt es auch keinen Kurs

". Und so saßen wir schließlich ca. eine Stunde beim Holzmeister und haben über seine Werke, sein Leben und unsere Leben geredet. Auf die Frage, woher er denn so fließend Englisch spreche, entgegnete er, er höre gerne Radio. Aha. Tatsächlich aber hat seine Redensart manchmal der eines Nachrichtensprechers geähnelt, das war dann doch ganz amüsant.
Der Mann auf der Erdkugel ist beispielsweise Donald Trump, das Werk gibt es im Original in X-facher Größe irgendwo im Ausland und ist Kritik an der Politik ums Pariser Klimaabkommen. Ich habe ehrlicherweise einen Augenblick gebraucht, um Trump zu erkennen, aber ganz allgemein waren seine Werke wirklich beeindruckend. Vor allem die Details. Er verkaufe seine Werke in einem Laden oben an der Bergspitze, aber hier bietet er leider erst wieder in ein paar Wochen einen Kurs an, sagt er.
Als wir den Fuß wieder raussetzen, müssen wir erstmal tief durchatmen. Das war unerwartet. Und unerwartet intensiv. Deswegen reist man ja aber, oder?
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Am Abend ging es wieder wohin? Genauuu, ins Brettspielcafé. Genauer gesagt zu den beiden Amis, mit noch mehr blauen Drachenzungen und Berliner Luft. Mir hat der ständige Regen etwas zugesetzt, entsprechend fragte ich, ob es denn auch Tee gäbe. Es gäbe Tee, wird entgegnet, aber weder Topf noch Wasserkocher. Man könne den ja aber auch in der Mikrowelle erheizen. Und so genoss ich meinen Mikrowellen-Kamilletee an meinem letzten Brettspielcafebesuch in Kyoto.
Der Abend war dann aber tatsächlich ziemlich kurz, so sind wir sehr früh ins Bett, um den nächsten Tag noch einmal zu nutzen. Wir sind vor allem Kyoto rauf und runter gelaufen, haben nochmal alle zentral gelegenen öffentlichen Kulturanlagen aufgesucht und sind auch in ein Museum, was die Ausstellungsstücke einfach verkauft? Also da war dann einfach so ein Preisschild an den Sachen dran - interessant. Mahlzeiten des Tages waren zum Frühstück testhalber eine französische Bäckerei und später Curry-Udon (weiteres Nudel-Suppen-Erzeugnis).
An dem Punkt waren schon über 1,5 Wochen vorbei, trotzdem stand noch über eine Woche Tokyo bevor. Also war es an der Zeit, mir über eine neue To-Do Liste Gedanken zu machen..