8.-11. März - Kaiserschmarrn auf Japanisch
Leicht gequetscht stand ich samt Gepäck dann irgendwann im Zug zur Bahnstation meines ersten Couchsurfing-Hosts. Übrigens ein guter Zeitpunkt, um über das Gepäck zu sprechen: Ich wusste, dass nur Handgepäckkoffer + Rucksack zu wenig wird, um später z.B. Schallplatten und andere Mitbringsel transportieren zu können. Gleichzeitig wollte ich bei Gastgebern aber auch nicht mit einem XXL-Touri-Schrank-Koffer in die Tür fallen, üblicherweise wird Couchsurfing eher mit leichtem Gepäck betrieben. Meine Zwischenlösung war schließlich ein Handgepäckkoffer + ein North Face Duffel Bag der Größe S (später noch zu sehen). Anders ausgedrückt: das Volumen zweier Handgepäckkoffer. Leider musste ich diesen Duffel Bag (da formähnlich einer Reisetasche) auf dem Rücken tragen, was in quetschigen Tokyoter Zügen schon leicht unbequem werden kann. Den anderen Fahrgästen habe ich damit auch keinen Gefallen getan, werde das zum nächsten Besuch wohl definitiv überdenken müssen.
Wie dem auch sei - die Familie hat in Ikebukuro gewohnt, direkt neben einer Bahnstation, die nur ca. 10min von Shinjuku & Shibuya (den beiden größten Bahnhöfen der Welt nach Passagieren) entfernt ist. Mega! Nicht so mega war mein Handyakku, der dank eSIM und ständiger Fotos die Prozente schneller runter ist als ich meine Gastgeber finden konnte. Hab also noch schnell geschrieben, dass ich an der Bahnstation warte und eine große gelbe Tasche auf dem Rücken habe. Nachdem ich ca. 5 Minuten mein Leben überdacht und jedem Japaner kritisch in die Augen geblickt habe (um zu erkennen, ob das die vom Couchsurfing-Profil sind), kam endlich die Erlösung in Form von 3 Menschen (~30, ~30, 8) und einer Powerbank. Nach den ersten Worten auf dem Heimweg (
ja, tokyo war toll bisher - nein, ich bin erst gestern gelandet - ja, wir haben wirklich kein generelles tempolimit - ja, sonntags sind wirklich alle läden zu) wurde ich langsam warm mit der Sprache (Englisch war ja nicht).
Kurz darauf durfte ich mein Gepäck in meinem Zimmer für die nächsten Tage abstellen. Richtig gehört, Zimmer: Obwohl japanische Wohnung tendenziell eher (zu) klein sind und Couchsurfing nunmal nicht Roomsurfing oder Airbnb heißt, habe ich ein eigenes (wenn auch überschaubares) Zimmer mit Tisch, einem viel zu bequemen Bett und genug Platz für meine Tasche bekommen. Als Mitbringsel aus Deutschland hatte ich verschiedenste Sorten dieser Hitschies Drachenzungen dabei. Das sind so saure Gummitier-Streifen mit irgendwelchen Fantasiegeschmäckern. Die Tochter (8 Jahre) hat sich riiiessig darüber gefreut, glücklicherweise hatte ich vorher (von vorherigen Couchsurfing-Gästen bei derselben Familie) den Tipp bekommen. Direkt danach gab es Abendbrot. Fun fact: Abendbrot heißt auf Japanisch u.a. 晩ご飯 (bangohan), wörtlich übersetzt Abendreis
Es gab Sukiyaki, eine Art Tisch-Hotpot mit Wagyu (oder wahlweise eben anderem Fleisch). Ich habe mich mit Fotos eher noch zurückgehalten, daher muss es eins aus dem Internet tun. Nach diesem wirklich grandios leckerem Abendessen und ein wenig Austausch über Leben, Arbeit, Studium, Zukunft und co. wurden mir vom Nachwuchs stolz die Spielesammlung präsentiert - darunter auch eingejapanischte Klassiker von HABA und AMIGO. Vor allem aber durfte ich mich im großen Jengaturnier mit der ganzen Familie messen (ich hab verloren). Ich wurde auch gefragt, was ich den konkret in Japan vorhatte. Die Wahrheit war: keine Ahnung, bisschen erkunden halt, die Leute werden schon Interessant genug sein. Das kann man natürlich nicht so sagen, glücklicherweise hatte ich aber für den Fall unerträglicher Langeweile eine lange To-Do-Liste an Tatigkeiten geschrieben, die ich mir auch Solo vornehmen könne. Die wollten sie natürlich prompt sehen und durch ChatGPT (als Übersetzer) jagen - und waren... begeistert?
Bis hierhin war meine Reise echt toll - und auch, wenn ich keine 48h im Land war, hat es sich so angefühlt, als wären es schon 3-4 Tage gewesen.
Am nächsten Tag (ein Sonntag) ging es gegen 8 Uhr morgens los nach Hajioji - ein Ort am Rande von Tokio, der international für fast gar nichts bekannt ist (und teilweise auch so aussah). Uns sollte dabei ein religiöses Feuerfest erwarten, sowas wie ein japanisches Osterfeuer. Auf die Frage, ob sie denn gläubig sein, wurde mit einem Lächeln abgewunken, das Feuerfest hätte aber online cool ausgesehen (hat es wirklich).
Bevor das passiert ist, ging es aber auf eine überschaubare Bergwanderung von ca. 2 Kilometern, die wir in stolzen 70min geschafft hatten (haha). Der Ausblick von oben war sogar so schön, dass ich auch hier wieder vergessen habe, Fotos zu machen. Das große Feuerfest war allerdings schon bald, daher mussten wir ein wenig schneller runterkommen, als wir hoch sind. Kein Problem: Irgendjemand hat an diesen Hügel einen Doppelmayr-Frankenstein-Economy-Sessellift konstruiert, der uns für 5€ und ohne Sicherheitsbügel in wackeligen 3 Minuten ins Tal zum Feuerfest befördert hat. Dieses Feuerfest lies dann allerdings doch etwas auf sich warten - und nachdem uns bewusst wurde, dass dem ganzen eine Gebet von 1-2h Vorauseilt, wurde sich schleunigst meiner To-Do-Liste gewidmet. (
Halloooo, Leute, das war nur für Notfälle, bitte fühlt euch jetzt nicht verpflichtet meinen Scheiß mitzumachen)
Ein Punkt auf meiner Liste war Sushiro - eine Kette für günstiges Fließbandsushi mit genug Filialen, dass die nächste nur ca. 20min entfernt war. Das war auch super lecker und so, aber in mir hat sich schon etwas die Sorge breitgemacht, dass sich die drei jetzt irgendwie verpflichtet fühlen, mir meine Wunschliste zu erfüllen. Da hatte ich eine andere Idee: Ich koche etwas. Etwas, was bei uns regelmäßig als Hauptspeise & Dessert gegessen wird:
Kaiserschmarrn. Begeisterung. (Habe ich noch nie gekocht, aber das schien wie ein solider Kompromiss aus Zutatenmangel und geschmacklicher Kompatibilität). Nachdem wir uns also auf eine erstaunlich lange Suche nach Puderzucker und Rosinen gemacht hatten, ging es Zuhause ans Werk. Ich hab die Hoheit über die Küche übertragen bekommen, die Tochter wollte natürlich mithelfen. Das war soweit auch kein Problem, aber die Tochter spricht nunmal Japanisch. Das Rezept, was ich offen hatte, war Deutsch. Und ich hab gleichzeitig eben zum ersten mal Kaiserschmarrn gekocht.
Als wir die Eier getrennt und verrührt hatten, kam als nächstes der Zucker rein. Nachdem sie stolz die befohlenen 190g in die Schüssel gekippt hat (die Eltern haben aus dem Wohnzimmer leicht verwirrt und gespannt in die Wohnküche geblickt), musste ich stocken: "Oh nein". Die 190g bezogen sich natürlich auf das Mehl, nicht auf den Zucker - hatte ich aber falsch übersetzt (und auf den identisch aussehenden Zucker/Mehl Packungen auch nicht weiter erkannt). Nachdem ich meine innerliche Krise (und Peinlichkeit) überwunden hatte, ging es für mich nochmal zum Supermarkt. 6 Eier. Packung Zucker. Diesmal richtig. Eier trennen. Schlagen. Alles reingeben und mischen. Uuuuund in die Pfanne!
Juhuu! Jetzt kann ja nichts mehr schief gehen - dachte ich.
Habt ihr schonmal Eier in einer Eisenpfanne ohne Beschichtung gekocht? Ich war komplett an meine schöne beschichtete Fissler-Pfanne gewöhnt und habe einige Augenblicke gebraucht um zu realisieren, dass ich gerade einen Ei-Teig in einer Eisenpfanne brate. Joa, long story short, das wurde natürlich nichts, das Ei ist unten trotz reichlich Öl die ganze Zeit angebrannt und oben flüssig geblieben. Am Ende kam etwas heraus, was eher an ein schlechtes Rührei erinnert: (Ja, da ist Puderzucker drauf)
Ich habe gebetet, dass diese Familie noch nie echten Kaiserschmarrn gesehen hat. Ich konnte mit der Demütigung meiner Kochkünste zwar leben, viel mehr beschäftigt hat mich aber, dass ich dieser großzügigen und super lieben Familie etwas serviert habe, was so selbst die Lufthansa Economy unterboten hat. ABER! Aber aber aber! Es hat erstaunlich gut geschmeckt. Die Zutaten waren am Ende immerhin die gleichen und ein wenig Kruste hatte es dank der Pfanne geschmacklich auch noch. Ein Teil davon wurde der Tochter als Schulsnack für den nächsten Tag eingepackt (die arme).
Nachddem die Tochter irgendwann baden und ins Bett ist, wurde mit "Kirin Grapefruit" aus der Dose angestoßen. Das ist tatsächlich ein Getränk, was ich schon länger mal probieren wollte. Ist wie Schöfferhofer Grapefruit, nur mit mehr Brause, weniger Grapefruit und deutlich mehr Alkohol. Daran, dass man sich dort beim Anstoßen nicht in die Augen schaut, muss ich mich echt noch gewöhnen. Auch daran, dass ich die nächsten 2,5 Wochen wesentlich mehr Alkohol als sonst trinken würde - normalerweise stoße ich 4-5 mal im Jahr auf etwas Besonderes an, nicht 4-5 pro Abend.
Montag, 9 Uhr, Sonnenschein, ich bin super ausgeschlafen und glücklich. Der Hausherr ist auf Arbeit (auf der er dann auch erstaunlich lange blieb), die Tochter in der Schule und die Frau hat Homeoffice gemacht. Ich habe mich - bevor es nach Shimo-Kitazawa ging - daneben gesetzt und eine Bewerbung für ein Sommerpraktikum in Hong Kong geschrieben (die zu meinem Glück inzwischen auch durchging, Flugbuchung steht dann auch bald an). Sie hatte mir nebenbei von ihrer anstehenden Europareise erzählt: Sie und die Tochter wollen nach Barcelona, Venedig, Frankreich - und: Berlin! Na Mensch, was für ein Zufall. Da sie Frankfurt->Berlin noch keinen Zug und Berlin->Venedig noch keinen Flug gebucht hatten, habe ich mich als selbsternannter Flugzeugliebhaber natürlich direkt zum Dienst gemeldet und die Europaneulinge beraten. Was den Flug betrifft: Am Ende wurde es Ryanair, weil das die einzige Direktverbindung zwischen Berlin und Venedig ist. Ja, ich habe sie vorgewarnt - die Freude über den günstigen Preis trotz Kind und großem Rimowa-Aufgabegepäck hat aber deutlich überwogen. Wir haben uns dann noch eine Weile über Lebensziele etc. unterhalten, bevor es für mich los ging nach:
Shimo-Kitazawa. Die Second-Hand und Schallplattenhochburg im Raum Tokyo. Und der Ort, an dem ich mir erhofft habe Trance-Schallplatten (Trance = eine bestimmte Musikrichtung elektronischer Musik) zu finden. Das ist in Läden in DE gefühlt unmöglich, dort wird man lediglich von Jazz und den Beatles erschlagen. Mit großer Hoffnung bin ich also in einen Laden nach dem anderen und hab wie ein Roboter die Regale gescannt. Und Tatsache: "Disk Union" hatte Trance-Schallplatten. Eine beachtliche Auswahl sogar. Der Haken: Ich werde ja noch 2,5 Wochen durch Japan reisen, da will ich ja nicht jetzt schon 10 Stück mitnehmen. Also habe ich erstmal eine mitgenommen und mich wie ein kleines Kind gefreut. (Habe die inzwischen übrigens auch gehört und bin nicht enttäuscht)
Nachdem ich mich noch in Hardwareshops nach günstigen Wiis (Nintendo Wii, diese Konsole aus den 2000ern mit Bewegungssteuerung) umgeschaut hatte, ging es zurück zur neuen Heimatbasis in Ikebukuro. Auf dem Heimweg habe ich dann noch einen Zwischenstopp im Supermarkt gemacht, um mehr Getränke zu kaufen, ich habe mich am Vortrag schließlich auch bei denen bedient. Das ganze hin- und hergefahre hat erstaunlich viel Zeit gefressen, so war es draußen schon langsam dunkel geworden und die Tochter war aus der Schule zurück. Nachdem mir stolz die Spiele auf der Nintendo Switch präsentiert wurden, gemeinsam Abendbrot gekocht / gegessen wurde und ich ein paar Bilder aus Deutschland gezeigt habe, ging es auch schon ins Bett. Also für die Tochter. Die Gastgeberin und ich haben uns mit einem weiteren Grapefruit-Sprudelalkoholgetränk auf die Couch gesetzt und über unsere liebsten japanischen Youtube-Kanäle ausgetauscht (da gab es tatsächlich eine Schnittmenge). Nachdem wir uns eine Weile über Gott und die Welt unterhalten hatten, saß ich da auf der Couch, mit der dritten oder vierten Dose in der Hand. Und ich hab nachgedacht. Vor allem darüber, wie gut mein Japanisch denn nun eigentlich ist. Scheinbar ja gar nicht so übel; ich bin hier unter Japanern und kommuniziere seit 3 Tagen nur auf Japanisch und bisher komplett ohne Google Translate. Natürlich verstehe ich viele gesprochenen Wörter überhaupt nicht; und natürlich sind manche Umschreibungen komisch (ich musste z.B. aus Miete dann "Haus-Bezahlung" machen, als es um Mietpreise in Tokyo und Berlin ging), aber irgendwie hat es ja halbwegs geklappt. Das war ein tolles Gefühl. Hatte ich so zum ersten mal und werde ich nicht so schnell vergessen. Mit steigendem Alkoholpegel sind mir dann auch Wörter und Sätze rausgerutscht, bei denen ich erst nach dem Aussprechen verstanden habe, was ich gesagt habe (und dass das gar nicht so schlechte Antworten waren). (Das war dann schon etwas verwirrend).
Irgendwann kam dann der Mann auch nach Hause (japanische Arbeitskultur und so, war schon Mitternacht durch) und nach einem weiteren Highball (Longdrink) hab ich mich an meine Couchsurfing Anfragen erinnert. Da ich noch nicht für alle Tage Gastgeber hatte (genau genommen für keinen einzigen der kommenden Tage), hatte ich am Morgen ein paar Anfragen an potenzielle Gastgeber verschickt. Als ich gerade mein Handy rausholen wollte, wurde ich gefragt, wo ich denn später in Tokyo bin, also ob ich ein Hotel gebucht habe oder wie das läuft. (Kontext: ich fahre am nächsten Tag zwar nach Osaka, verbringe die letzte Woche aber auch nochmal in Tokyo). Ja, antworte ich, ich habe tatsächlich für ein paar Tage Hotels gebucht, aber nur als Backup. Eigentlich steht Couchsurfing auf dem Plan, da warte ich noch auf Antworten.
Sie: キャンセルできる? (Kannst du [die Hotels] noch stornieren?)
ich: そう (Ja, schon)
Er: キャンセルして!(Dann mach!) (mit einem Grinsen)
Ich hab in dem Moment natürlich schon verstanden, dass sie mir gerade anbieten, einfach nochmal vorbeizukommen, aber ich war mir irgendwie nicht 100% sicher. Also hab ich kurz überlegt, wie ich das weiter formuliere... und hab gefragt, wie sie das meinen. Sinngemäß:
"Ja, wenn du eh in Tokyo bist und noch keine Verabredung mit einem anderen Host hast, dann komm doch einfach wieder vorbei!". Ich hab mich in dem Moment riiessig gefreut. Das ist auf so einem kurzen Reiseberichtstext gar nicht so leicht rüber zu bringen (vieles lasse ich ja auch aus), aber die 3-4 Tage bei denen waren echt mega schön. Dann auch noch angeboten zu bekommen, später nochmal eine Woche vorbeizuschauen, war mega. Wie kann das alles so gut laufen? Ich hätte auch 3 Wochen alleine in irgendeinem Hotel hocken können.
Am nächsten Morgen ging es dann aber erstmal (zum ersten mal) nach Osaka. Oh, und mir ging langsam die saubere Wäsche aus. Mehr dazu im nächsten Abschnitt
