Wieso sollte ein "normales Reisebüro" nicht mitten in der Nacht groteske Probleme per Telefon lösen können? Insbesondere wenn zur Unterscheidung zwischen "normal" und "unnormal" offenbar nur Größe und Mitarbeiterzahl herangezogen werden? Das würde ja umgekehrt auch bedeuten, dass kleinere Mittelständler gar keine Großunternehmen beliefern könnten, weil diesen Mittelständlern das für "Buchhaltung und Abrechnung, Kostenstellenverwaltung, Verrechnung etc" notwendige "abgestimmte Getriebe von Services" fehlen würde.
Ich bin kein Experte, aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass Großunternehmen ausschließlich von anderen Großunternehmen beliefert werden. Eher scheint mir vielerorts das Gegenteil der Fall zu sein. Insofern sehe ich in der schieren Größe eines Dienstleisters keinen bedeutsamen Qualitätsfaktor. Qualität konstituiert sich vielmehr aus dem gelieferten Produkt, das etwas taugen muss, und zwar zu einem guten Preis. Großunternehmen achten bei ihren Lieferanten also auf ein gutes Preisleistungsverhältnis. Nur bei Reisedienstleistungen scheinen viele dieses Paradigma aus den Augen zu verlieren, da achtet man auf einmal nur noch darauf, dass der Lieferant groß ist – Preis und Produktqualität Nebensache?
Ich vermute eher, dass das strukturelle Gründe hat, nämlich dass man sich hier schwertut, sich von althergebrachten Strukturen zu lösen, schließlich hat sich die Reisebranche in den letzten 20 Jahren extrem gewandelt. In den Großunternehmen hat sich dagegen oft wenig geändert, da gibt es nach wie vor die "Reisestellen", die man entweder selbst betreibt oder betreiben lässt, so wie man vielleicht auch die eigene Werkskantine von einem externen Dienstleister bewirtschaften lässt, ohne die Details zu hinterfragen. Weil es eben nicht zum Kerngeschäft gehört.
Und genau hier liegt doch das eigentliche Problem: Beim Kerngeschäft wird jeder Cent dreimal umgedreht, da wird gespart bis es nicht mehr geht, bei den Nebensachen (wie den Reisekosten) dagegen, von denen man nicht wirklich selber was versteht, verlässt man sich auf einen vermeintlich kompetenten Experten von draußen, der das Blaue vom Himmel verspricht ("Wir sind die Größten, die haben die größten Kunden, an uns kommt keiner vorbei"), jedoch nichts davon hält. So wie auch die Lufthansa nach wie vor von einem Bonus profitiert, den sie sich vor vielen Jahrzehnten erarbeitet hat, so profitieren möglicherweise auch große Reisebürokonzerne von einem einst erarbeiteten Ruf, der seine Berechtigung schon längst verloren hat.
Man kennt das auch aus anderen Bereichen, so kauften viele Unternehmen noch lange Zeit weiterhin maßlos überteuerte Großrechner und mittlere Datentechnik von IBM und Co., obwohl man die meisten Aufgaben mit PCs erheblich günstiger und besser hätte lösen können – aber die IT-Abteilungen der Konzerne kannten halt nur Großrechner, mit denen waren sie aufgewachsen, die verstanden sie, sie wollten nicht umlernen, und natürlich pflegte man beste Beziehungen zum Lieferanten, eine Hand wäscht die andere. Also fand man immer wieder Gründe, die Geschäftsleitung davon zu überzeugen, weiterhin den aberwitzig teuren Elektronikschrott zu kaufen, etwa Gründe wie "nur IBM bietet mit ihrer Datentechnik die abgestimmten Services, die zur Aufrechterhaltung unseres Geschäftsbetriebs benötigen".
Diese reine Behauptung jedoch ist kein Beweis. Und der fehlt mir auch hier. Wieso sollte ein mittelständisches Reisebüro mit 5, 10 oder 15 Mitarbeitern bitte nicht in der Lage sein, einen 24/7-Service zu bieten, und wieso sollte es nicht in der Lage sein, mit SAP, Airplus etc. zu operieren? Ich habe in den letzten Jahren unter anderem bei jreichel und rcs gebucht, die sind noch kleiner, aber selbst dort hatte ich stets einen 24/7 Service mit Handynummer.
Es ist ja schon heute so, dass globale Konzerne längst nicht mehr bei einem globalen RB buchen, vielmehr suchten nationale oder regionale Niederlassungen oft nach eigenen Lösungen. Insofern sehe ich keine grundsätzlichen Gründe, wieso etwa die deutsche Niederlassung von Toyota oder wieso Siemens Niederlande nicht bei einem regionalen, kompetenten RB buchen sollten, wenn klar ist, dass man dadurch Kosten spart und bessere Qualität erhält. Großkonzerne kaufen ihren Strom, ihr Wasser, ihre Telekommunikation und zahlreiche andere an einem Standort benötigte Dienstleistungen ja auch in der Regel nicht weltweit ein, sondern lokal. Und gerne kocht auch jede Tochterfirma ihr eigenes Süppchen, siehe auch LH und LX, da kommunizieren nicht einmal die Reservierungssysteme sauber miteinander. Gerade LH macht es doch vor, hier betreibt man die eine Station selbst, die andere gibt man an GlobeGround, wieder woanders nimmt man einen anderen Vertragspartner – bei LH kommt doch auch niemand auf die Idee, das weltweite Ground-Handling global von einem einzigen Großunternehmen durchführen zu lassen. Ganz im Gegenteil, jeder lokale Standort wird einzeln betrachtet und offenbar auch einzeln ausgeschrieben. Ich sehe wirklich keinen Grund, wieso smarte Unternehmen dies für ihre Reisedienstleistungen nicht genauso machen sollten. Und einige machen es wohl auch schon.