Das Vorprogramm ist abgespult, ich weiß jetzt, wie der Hase läuft bzw. der Zug fährt. Es wird also ernst, der landschaftlich schönste Teil der Strecke steht bevor, in 33 Stunden werde ich den Zug in Emeryville wieder verlassen. Hoch motiviert, aber auch mit der gebotenen Ernsthaftigkeit, stehe ich um kurz vor 7 Uhr morgens in der Denver Union Station.
Vor einem verschlossenen Gepäckschalter.
Am Ticketschalter erklärt mir eine Mitarbeiterin nach einem kritischen Blick auf mein Ticket, dass ich doch gar kein Gepäck einchecken könne, weil es in San Francisco kein Checked Baggage Service gäbe. Von mir aus. (Später werde ich in Emeryville Mitreisende sehen, die ihr Gepäck in Empfang nehmen und zum Bus nach SF tragen. Hätte also schon funktionieren können...). Also organisiere ich mir vollbepackt erst einmal ein kleines Frühstück mit einem großen Kaffee, bevor ich um überpünktlich zum Boarding - hier direkt am Bahnsteig - erscheine.
Der Zug ist gerade erst angekommen, und es läuft noch das selbe Spektakel wie am Vortag - ein zusätzlicher Coach-Wagen wird angekuppelt, was insgesamt um die 15 Minuten in Anspruch nimmt. Warum man nicht zumindest die ankommenden Gäste zuerst mal aussteigen lässt, entzieht sich meiner Kenntnis.
Die Schlange der Coach-Passagiere wächst minütlich an, und ich stehe einsam und verloren in meiner vermeintlichen Priority-Schlange herum. Dann taucht ein Conductor auf und erklärt das weitere Prozedere: die Coach-Passagiere müssen ihr Ticket scannen lassen und erhalten ein Kärtchen mit ihrem Ziel, das sie dann über dem Sitz anbringen müssen, um diesen als belegt zu markieren - und um dem Personal zu signalisieren, wer vor dem Ausstieg geweckt werden muss. Schon geht es für die Coach-Passagiere schon an Bord, während ich noch ein paar Minuten meinen Ehrenplatz am Bahnsteig genieße.
Dann ist es auch für mich soweit. "Meine" Sleeping Car Attendant empfängt mich an der Tür. Sie hat den ganzen Wagen mit Plastikblumen dekoriert - nicht ganz meins, aber den persönlichen Touch finde ich nett.
Ich bespreche kurz mit ihr, dass ich mich gleich in das Observation Car begeben werde und sie übernimmt mein Ticket, um es dem Conductor zu zeigen, falls er vorbeikommt. Dazu gibt es noch den Hinweis, dass ich auch noch im Diner das inkludierte Frühstück einnehmen könnte.
Im Observation Car bekomme ich noch einen Platz auf rechten Seite - perfekt für den Anstieg in die Rocky Mountains. Meine Bitte nach Kaffee im Dining Car wird zurückgewiesen - entweder ganz frühstücken oder gar nicht. Also noch Kaffee aus dem Sleeper geholt, und mit einer halben Stunde Verspätung geht es dann los. Schnell verlassen wir Denver und beginnen den Anstieg in die Berge. Dazu gibt es die gewohnten Durchsagen von Conductor, Diner und Cafe. Lag gestern der Schwerpunkt noch auf der Pflicht, Schuhe zu anhaben, geht es heute vor allem um das Rauchverbot an Bord verbunden mit der Drohung, den Zug an einem unwirtlichen Ort verlassen zu müssen.
Immer wieder geht es durch kürzere Tunnel, und erst vor dem 10 Kilometer langen Moffat Tunnel vernehme ich den Hinweis, dass während der Tunneldurchfahrten nicht zwischen den Wagen wechseln darf. 90er-Style bei den Zugübergängen verbunden mit Dieselloks würden sonst für schlechte Luft sorgen. Nach dem Tunnel folgt der erste Fresh Air Stop des Tages in Fraser - Winter Park und ich bekomme endlich mal mehr als nur ein paar Flocken Schnee zu sehen.
Nun trifft der Zug auf einen treuen Begleiter für die nächsten Stunden - der Colorado River stellt sich vor, ist allerdings stellenweise zugefroren.
Für diesen Teil der Strecke ist das Observation Car fast schon verpflichtend. Ich habe kein Problem einen Platz zu finden und auch mal zu wechseln. Bei starkem Andrang kann - so hab ich gelesen - das Zugpersonal schon mal drum ersuchen, Plätze nach einiger Zeit auch wieder freizugeben.
Ein Teil des Observation Cars (in meinem Fall: der vordere) ist mit Tischen und Zweierbänken ausgestattet, dann folgen die dem Fenster zugewandten Aussichtssessel und -bänke. Unter dem Fenster gibt es eine Ablage für Kaffee, Kamera o.ä. mit ausreichend Steckdosen. Es ist so gemütlich, dass ich nun den Großteil der Fahrt hier verbringe.
In der Mitte befindet sich eine kleine Bar, die während meiner Fahrt nicht geöffnet ist und grundsätzlich eher verloren wirkt (Sidestep: kurz gegooglet und
die Bar ist wohl schon länger nicht mehr im Einsatz. Aber man kann an Bord eines Zuges beim Conductor heiraten.) Neben der Bar gibt es einen unverbauten Bereich mit einem großen Mistkübel - ich positioniere mich auf der anderen Seite und kann so ungestört auf beiden Seiten rausschauen und bei Bedarf schnell zum Fotografieren hinüberspringen.