Aus einer Fluglage außerhalb des Flight Envelope braucht ein Flugzeug nicht in 100% aller Fälle herauskommen zu können. Sonst müssten wir alle Flugzeuge grounden.
Wo willst Du die Grenze ziehen? Wenn eine gestresste Flight Crew die Maschine immer weiter beschleunigen lässt, streikt nicht nur die Trimmung, sondern irgendwann fallen auch Teile ab. Flugzeuge sind halt so gebaut, dass sie nicht jede durch die Triebwerksleistung erreichbare Geschwindigkeit auch vertragen können.
Du hast die Grenze beschrieben: Wenn es zu Beschädigungen der Struktur kommt, akzeptiert man eine eingeschränkte Bedienbarkeit der Steuerelemente. Vorher nicht. Denn es ist bei jedem Flugzeug technisch völlig problemlos möglich, diese konstruktiv sicherzustellen, das ist mithin "Stand der Technik".
Autovergleich: Wenn beim (zu) schnellen Fahren durch die Kurve der Reifen platzt und das Fahrzeug rausfliegt, ist das ok. Wenn aber oberhalb einer gewissen Kurvengeschwindigkeit das Lenkrad nicht mehr vernünftig bedienbar ist, wird dies nicht akzeptiert, da jederzeit bedienbare Lenkräder bei unbeschädigtem Fahrzeug eben "Stand der Technik" sind.
Natürlich gibt's auch den Airbus-Ansatz zur Entmachtung des Piloten, um solche Pilotenfehler auszuschließen. Aber die jahrzehntelange Praxis hat bisher gezeigt, dass dieser Ansatz weder deutlich besser, noch deutlich schlechter ist, denn von der Absturzrate her sind moderne Boeing- und Airbus-Flugzeuge ziemlich ähnlich. Also gibt's jetzt keinen Grund, aufgrund eines zwar dummen und kostspieligen, aber einzelnen Fehlers die ganze Philosophie umzudenken.
Zwei Dinge dazu:
a) Der Airbus Ansatz hat jetzt in zwei Fällen (Hudson River, Moskau) ganz wesentlich dazu beigetragen, dass die Fluggäste weitgehend unbeschadet davongekommen sind. Ich halte den A320 für das
deutlich sicherere Flugzeug gegenüber der 737 Serie, das ist wie Auto mit und ohne ESP.
b) Wenn Boeing schon den Ansatz geht, einen elektronischen Eingriff im Sinne eines Fly by Wire in der 737MAX vorzunehmen, weil sie ihn zur Stallvermeidung auch wirklich brauchen, dann haben sie sich auch an die dafür geltenden Regeln und den dafür geltenden Stand der Technik zu halten.
Und der ist nunmal drei AoA-Sensoren, oder jedenfalls eine Einbeziehung der INS-Daten als virtueller dritter "Sensor", wenn man kein drittes Loch bohren will, eine dafür taugliche Dreifach-Rechnerkonstellation, damit wenigstens die eine Mehrheitsentscheidung treffen können, und redundante Aktoren mit redundanter Stromversorgung.
Es gibt keinen, und zwar keinen einzigen Grund, Boeing weiterhin mit der bisherigen aufwandsreduzierten Konstruktion durchkommen zu lassen, die nachweislich viele Menschenleben gekostet hat, und schon gar nicht den Grund, dass sie es vorher (unerlaubterweise unter Austricksen des Zertifizierers FAA) auch schon so gemacht haben. Aus einem Unrecht erwachsen keine (Großvater-) Rechte und, wie die Juristen so schön sagen, es gibt auch keine Gleichheit im Unrecht.
P.s: Und wenn man Boeing schon seitens z.B. der EASA mit dem dritten Sensor entgegenkommt, was nicht selbstverständlich ist, da Boeing darauf keinen Anspruch hat, dann sollen sie wenigstens die Rechner und Aktuatoren in Ordnung bringen, statt weiter irgendwelche Management-Überredungsstrategien anzuwenden.