Die ganze öffentliche Maskenpflicht(aufhebungs)diskussion lässt, im größeren Betrachtungswinkel, für mich leider einige traurige Punkte deutlich werden bzw. der deutschen Gesellschaft und Politik (die auch für andere Themen gelten); und sie macht klar, dass Deutschland diesbezüglich in Mitteleuropa wohl eine Sonderstellung einnimmt:
1. Es ist in Deutschland komplett unüblich, ins Ausland zu schauen und dortige Erfahrungen und Praktiken auch nur zur Kenntnis zu nehmen (und wenn doch, häufig mit negativem Vorzeichen; Deutschland weiß es besser und ist "verantwortungsvoller"). Das gilt erstaunlicherweise aktuell übrigens auch für die allermeisten Leitartikler usw., die das Ende der Maskenpflicht für überfällig halten; praktisch keiner weist auf den eklatanten Umstand hin, dass Deutschland seit Monaten nur von maskenpflichtfreien Ländern umgeben ist. Praktisch nirgendwo taucht dieses Argument in der öffentlichen Diskussion auf. Stattdessen wird jetzt der "Flickenteppich an Regelungen" in Deutschland beklagt.
2. In Deutschland wird in der Politik häufig sehr stark moralisch argumentiert und dabei, im Gegensatz zum vorgetragenen Selbstverständnis, Fakten oder naturwissenschaftliche Zusammenhänge nur insofern berücksichtigt, wie es ins moralische Weltbild passt. Das macht eine Anpassung auf geänderte Umstände sehr schwer, weil man ja bislang nicht tatsächlich auf Grund von Fakten argumentiert hat und somit auch nicht auf geänderte Fakten reagieren kann (und wenn man doch nicht umhin kommt, auf Grund eklatanter äußerer Zwänge, wird es als "Zeitenwende" bezeichnet).
3. Angst wird gezielt als politisches Kommunikationsmittel eingesetzt, was bei Teilen der Bevölkerung auch funktioniert. Ängste ersetzen konkretes Verständnis und damit auch sachliche Risikobetrachtungen; auf Ängste (die auf mangelndem Verständnis von Sachverhalten beruhen) wird von politischer Seite häufig mit einfachen "Erlösungsrezepten"/"Leitsätzen" reagiert; siehe Punkt 2.
4. Deutschland rühmt sich zwar vordergründig, eine sehr liberale Gesellschaft zu sein, ist es aber keineswegs. Es gibt, gerade auf der linken politischen Seite, viele politische Entscheidungsträger, die aus voller Überzeugung den Bürgern in vielen Punkten vorschreiben möchten, was diese zu tun und zu lassen haben, natürlich zum Zwecke von höheren Werten. "Solidarität" bedeutet in diesem Zusammenhang in aller Regel Zwang und Vorschrift.
Gerade beim letzten Punkt fühle ich mich, wenn ich aktuell einige Äußerungen von Politikern und Artikel lese, daran erinnert, wie 1989 Leute die Aufrechterhaltung der Mauer (aka antikommunistischer Schutzwall) und des Ausreiseverbots aus der DDR rechtfertigten, damit die DDR nicht ausblute, damit die Leute sich nicht egoistisch verhielten (und einfach dorthin gingen, wo sie bessere Chancen sahen), damit "die bessere Gesellschaft" eine Chance habe usw.
Klar, die Dimension ist eine andere, aber die Reflexe sind z.T. schon frappierend ähnlich.
Kann man alles nachlesen.