Zitat aus der FAZ.de:
"Die Atomkraft wird zum zweiten Mal in Deutschland einem kurzsichtigen taktischen Interesse geopfert. Das erste Mal, vor zwölf Jahren, ging es um die Landtagswahl in Baden-Württemberg im Zeichen der Fukushima-Katastrophe, vor der sich die
CDU (vergeblich) in Sicherheit bringen wollte.
Die Laufzeitbegrenzung, nur ein Jahr nachdem der rot-grüne Ausstieg aus guten Gründen rückgängig gemacht worden war, war eine der größten Fehlentscheidungen der Merkel-Jahre.
Dieses Mal geht es um das Gleichgewicht in der
Ampelkoalition. Der Kanzler muss sich auf die Seite der Grünen schlagen, nachdem er sie in der Energiekrise zur Ordnung gerufen und einen „Streckbetrieb“ durchgesetzt hatte. Auch dieser Ausstieg ist eine Fehlentscheidung.
Falsch ist er aus einem einfachen Grund: Warum auf die Reste einer klimafreundlichen Technik verzichten, wenn gleichzeitig klimaschädliche Energieträger wie Stein- und Braunkohle reaktiviert werden müssen? Das ist ein Widerspruch, an dem die Grünen und die Klimabewegung noch lange zu tragen haben. Sie werden niemandem mehr weismachen können, dass sie alles täten, um den Klimawandel aufzuhalten. Sie werden außerdem niemandem mehr erzählen können, dass sie alles täten, um fossile Energieträger zu ersetzen.
Symptome eines Sonderwegs
Das Ende der Verbrennung von
Kohle und Gas hätte vor dem Ausstieg aus der Kernkraft kommen müssen. Die Stilllegung der drei letzten Atomkraftwerke, die jetzt vollzogen wird, bedeutet: Wenn schon ein großer Fehler, dann richtig.
Die Gegner der
Kernkraft fahren dafür noch einmal ihre alten Geschütze auf. Zu teuer sei sie, zu unsicher, der Müll zu dreckig. Niemand wolle in die Technik noch investieren. Niemand? Frankreich, Belgien, Spanien, Schweden, Finnland, Estland, Polen, Ungarn, Slowenien, die Niederlande, die Slowakei, Rumänien, Bulgarien, Großbritannien sprechen eine andere Sprache. In all diesen Ländern (um nur die europäischen zu nennen) rechnet die Politik mit dem Weiterbetrieb von Kernkraftwerken bis weit in das nächste Jahrzehnt, werden eine Weiterentwicklung oder der Neubau wenigstens erwogen. Die Kosten und Risiken scheinen dort ganz anders bewertet zu werden als hierzulande.
Das liegt daran, dass Deutschland eines der wenigen Länder ist, in denen die Klimaziele, die sich die EU gesteckt hat, auch dann als erreichbar angesehen werden, wenn sie allein mit erneuerbaren Energien erfüllt werden sollen.
Robert Habeck, der Kernkraftwerke (die „Dinger“) in der Ukraine für völlig richtig, zu Hause aber für völlig falsch hält, hat das noch einmal wiederholt. In nur sieben Jahren soll ein Mehrfaches dessen an erneuerbaren Energien aufgebaut werden, was bislang in zwei Jahrzehnten mit Müh und Not erreicht wurde.
Nur noch ein fossiles Sicherheitsnetz
Selbst wenn dieses Kunststück gelingen sollte, ist nicht sicher, ob Deutschland seinen Bedarf an Energie, Strom und Speichern, die es dann braucht, um sich weiter Industrienation zu nennen, richtig berechnet hat. Die deutsche Politik hat sich schon einmal krass verrechnet, was das angeht. Der Ausstieg aus der Kernkraft zeigt nun ein Maß an Irrationalität, das nicht unbedingt das Vertrauen darin stärkt, solche Illusionen und Fehlkalkulationen könnten sich nicht noch mehrmals wiederholen.
Das Sicherheitsnetz besteht derzeit nur darin, immer mehr Strom und
Wasserstoff zu importieren – auch aus Ländern, versteht sich, mit Kernkraft. Eine halbwegs saubere Brückentechnologie, die zunächst noch, bis zum Fukushima-Ausstieg, die Kernkraft sein sollte, dann aber durch russisches Erdgas ersetzt wurde, gibt es nicht mehr. Nicht dass der Weiterbetrieb von nur drei Kernkraftwerken daran fundamental etwas ändern könnte. Doch die Ampelkoalition hätte damit zeigen können, dass sie Zweifel am Turbo der „großen Transformation“ ernst nimmt und die deutsche Wirtschaft gegen unvorhersehbare Turbulenzen, wie sie Europa derzeit erlebt, so gut wie möglich absichern will.
Warum sie das nicht tut, liegt daran, dass diese „Transformation“ nie nur Klimapolitik meinte, sondern auch Gesellschafts- und Kapitalismuskritik.
Grüne, SPD und Linke eint in ihrer Anti-Atompolitik die traditionelle Aversion gegen „die Konzerne“, „die Atom-Lobby“ (wo ist die?) und gegen eine Industrie, die nicht von Bürgerwindparks, sondern von Großbetrieben am Laufen gehalten wird. Der Riss durch die Ampel verläuft genau an dieser Stelle, zwischen „kapitalistischen“ Liberalen und kapitalismuskritischen Rot-Grünen.
Das Ende der Atomkraft hat insofern sehr wenig mit Energie- und schon gar nichts mit Klimapolitik zu tun. Was hier durchgezogen wird, brachten grüne Politiker unfreiwillig autoritär auf den Punkt, indem sie ausriefen: Ich lasse mir doch mein Lebenswerk nicht kaputtmachen! Der deutsche Ausstieg aus der Kernkraft ist eine Opfergabe an die alten grünen Männer.
Jasper von Altenbockum