Aus meiner Sicht muss man aber genau da wieder hin.
Die Bürokratisierung des Infektionsschutzes in Form von sogenannten "Hygienekonzepten" (für mich definitiv das Unwort des Jahres) ist ja wohl mehr als krachend gescheitert. Entweder basieren diese Konzepte auf wissenschaftlich unhaltbaren Annahmen (z.B. Aerosolübertragung nur im 1,5m Radius um eine Person), werden durch Convenience-Ausnahmen (z.B. Plexiglasscheiben statt Maskenpflicht) ad absurdum geführt oder von den Betroffenen aus Pandemiemüdigkeit erst gar nicht gelebt (wer lüftet denn in der Praxis bei Minusgraden wirklich alle 10-15min das Büro durch?).
Bei den geschilderten halbherzigen Hygiene-Konzepten und deren inkonsequenter Umsetzung wundere ich mich nicht, dass man einen Totallockdown mit Home Office Pflicht benötigt. Ich habe aus Familien- und Kollegenkreisen ähnliche Schilderungen zur inkonsequenten Pandemie-Sicherheit in deutschen Büros vernommen.
Bei meinem Arbeitgeber (führende US-Krebsklinik/Krebsforschungszentrum in Houston) gibt es seit der Wiederaufnahme des weitgehenden Vollbetriebs Mitte 2020 keine Hinweise auf innerbetriebliche Infektionscluster. Dafür wird aber auch einiges getan. Alle Arbeitsbereiche, Büros, Konferenzräume, Labore etc. sind kapazitätslimitiert nach Fläche und mit entsprechenden Beschilderungen versehen. Mobiliar wurde entsprechend auf Abstand neu gruppiert und wo nötig Trennwände, Plexiglas etc. installiert. Lüften ist wegen entsprechender Air Condition nicht nötig (und in den meisten Bereichen auch gar nicht möglich). Maskenpflicht herrscht auf dem ganzen Campus - abgestimmt nach Risikoprofil der Tätigkeit, mindestens aber chirurgische Masken (auch in Bereichen ohne Patientenkontakt). Falls es nicht möglich ist, einen 6-Fuß-Abstand einzuhalten (z. B. beim Training neuer Mitarbeiter) muss zusätzlich zur Maske ein Face Shield getragen werden. Gebäude sind mit Barrikaden und strukturierter Wegeführung in Risikozonen gegliedert und es gibt nur minimalste Crossover-Punkte zwischen den Risikozonen. Alle Zugänge sind mit Screening-Stationen versehen inkl. Deckenkamera zur schnellen Temperaturmessung (auch in Labor- und Verwaltungsgebäuden). Es gibt eine Safety Hotline um Hygiene-Verstöße zu melden, zudem werden regelmäßig unangekündigt Begehungen und Audits aller Bereiche getätigt und detektierte Verstöße nach Abteilungen gruppiert ausgewertet und veröffentlicht. Jede Woche gibt es ein allgemeines und ein Bereichs-spezifisches COVID-Briefing per Videokonferenz, wo eine lange Liste an Frühwarnindikatoren durchgegangen wird. Jeder Mitarbeiter (egal ob Patientenkontakt oder nicht) hat Anspruch auf kostenlose PCR-Tests alle 10 Tage "for any reason". Nach Privatreisen (die gemeldet werden müssen, aber nicht restringiert werden) Home Office für 2 Tage und 2 Post-Travel Tests (kostenlos für die Mitarbeiter). Zwei Drittel der Belegschaft haben bereits mindestens eine Impfdosis erhalten. Pandemiemüdigkeit gibt es kaum. Die heutige Statistik der letztwöchigen Verstöße zeigte 0 in allen Abteilungen und 100% Masken-Compliance.
Ich bin mir sicher, dass man mit diesen Maßnahmen jedes Büro, jedes Pflegeheim und jede Kultureinrichtung in Deutschland Pandemie-sicher machen könnte und ein Großteil des Lockdown-Zirkus nicht nötig wäre.
Houston hat nun nach Juli 2020 zum zweiten Mal einen Peak (in der Spitze über 500 "Inzidenzwert" nach deutscher Zählung) ohne Lockdown, Bewegungs- oder Reisebeschränkungen (außer den allseits bekannten US-Einreisebeschränkungen) oder Quarantänepflicht und nur mit geringen Kapazitätsrestriktionen eingedämmt bekommen. Restaurants (inkl. Dine-In), Museen, Gyms, Frisör - alles geöffnet (nur Bars nicht). Die Maskendisziplin im öffentlichen Raum ist zumindest im Medical Center-Viertel (außerhalb bewege ich mich kaum, außer zu den Flughäfen) sehr hoch, auch ohne signifikanten staatlichen Kontrolldruck.