Das ist eine Diskussion auf den Ebenen von Geeignetheit und Erforderlichkeit. Die bringt nichts. Denn natürlich sind Masken geeignet und erforderlich, um die Mitglieder der vulnerablen Gruppen zu schützen, die sich eben nicht (24/7) mit Masken selbst schützen können, z.B. Pflegefälle. Diskutieren kann man nur die Angemessenheit: Ist es angemessen, der gesamten Bevölkerung eine Maskenpflicht aufzuerlegen, um einige wenige Infektionen und vereinzelte Todesfälle zu verhindern?
Wäre das die Argumentation, würde sie es nicht durch das BVerfG schaffen. Es kommt viel zu selten vor, dass sich Mitglieder vulnerabler Gruppen, die keine Maske tragen können und die nicht geimpft sind, sich an Orten außerhalb ihres Pflegeheims neben anderen Personen lange und nah genug aufhalten, um sich anstecken zu können.
Man sieht auch an dem Verzicht auf die Testnachweispflicht für frisch Geimpfte, dass es das neue IfSG - erneut - nicht wirklich ernst mit dem Schutz vulnerabler Gruppen meint. Obwohl die Bewohner von Pflegeheimen bei den Coronatoten extrem überrepräsentiert sind. In manchen Statistiken geht das über 70% (z.B. Hessen, Januar 2021, von den 1.447 Coronatoten in Hessen insgesamt lebten 1.055 in Pflegeheimen: 73%).
Entscheidender als der Schutz vulnerabler Gruppen ist bei der Maskenpflicht die Gefahr für Jeden, Long Covid zu bekommen, also der Schutz der gesamten Bevölkerung. Ob das verhältnismäßig ist, kann man derzeit nicht sagen, weil die Daten dafür fehlen.
(Sonst wird das die selbe Nonsense-Argumentation wie beim Tempolimit, bei der die Position, ein Tempolimit steigere nicht die Verkehrssicherheit, ebenso unvertretbar ist.)
Es ist durchaus vertretbar, dass ein Tempolimit nicht die Verkehrssicherheit steigert. Vor allem, wenn bzw. weil es nicht eingehalten wird. Und das ist keine Spitzfindigkeit, sondern in vielen Staaten mit Tempolimit ein konkretes Problem. Es hat seine Gründe, warum Deutschland bei Verkehrstoten pro 100k-Einwohner im internationalen Vergleich sehr niedrige Zahlen ausweist, obwohl es der einzige Staat ist, wo es kein generelles Tempolimit gibt.
Es ist auch die These zulässig, dass bei uns die Fahrzeuge sicherer konstruiert und überwacht sind, weil sich beides an den höheren Anforderungen eines fehlenden generellen Tempolimits orientieren.
Im internationalen Vergleich lässt sich anhand der Daten jedenfalls nicht ablesen, dass ein generelles Tempolimit die Verkehrssicherheit erhöht. 10 Staaten der Welt mit generellem Tempolimit haben weniger Verkehrstote pro 100k Einwohner als wir, 161 Staaten mit generellem Tempolimit haben mehr Verkehrstote als wir.
Nun kann man argumentieren, dass man auch die Einhaltung von Gesetzen und Verordnungen sicherstellen kann. Das ist jedoch eine eigene “Maßnahme”. Hielte sich im Straßenverkehr in Deutschland jeder an die Gesetze und Verordnungen, dann würde die Verkehrssicherheit extrem steigen.
Es ist übrigens ein gutes Beispiel in diesem Kontext, weil es zeigt, dass “gesunder Menschenverstand” nicht in der Lage ist, Dynamiken, Risiken und menschliches Verhalten vorherzusagen.
Das ist wie das bekannte Beispiel mit dem Kindergarten und der Strafgebühr für Eltern, die ihre Kinder zu spät abholen. Ein Kindergarten möchte, dass die Kinder pünktlicher abgeholt werden. Deshalb führt er Strafgebühren für Eltern ein, die ihre Kinder zu spät abholen. EUR 5,- pro angefangene 15 Minuten. Dass das funktioniert, sagt ja der gesunde Menschenverstand. Tatsächlich holten ab Einführung der Strafgebühr mehr Eltern ihre Kinder zu spät ab und die Eltern, die ihre Kinder ohnehin schon zu spät abholten, kamen noch später. Grund war, dass die EUR 5,- pro 15 Minuten keine abschreckende Strafe waren, sondern ein angemessener Preis, um sich vom schlechten Gewissen freizukaufen, dass man seine Kinder zu spät abholt. Zu spätes Abholen war zum Zusatzservice geworden, für den man ja bezahlt.
Und wenn man schon das Falsche tut, dann sollte man entsprechend der Standardvorgehensweise Plan-Do-Check-Act die Wirkung von Maßnahmen überprüfen und die Maßnahmen entsprechen anpassen. So lernt man draus und falsche Maßnahmen werden schnell wieder abgeschafft. Dann können Fehler sogar hilfreich sein.