Fortsetzung 55
Und weiter, nichts ist so spannend wie das Leben.
Ich bin 51 Jahre alt, es ist der 11. Mai 2002. Wieder ein Sonnabend, wieder bin nach New York unterwegs, einziger Zweck der Reise ist der Flug mit der Concorde. Was soll ich schon in New York? Offenbar hat sich meine Leidenschaft für das Supersonic Erlebnis verselbständigt und ich bin zum
Concorde Junkie geworden. Doch es gibt schlimmeres. Ich stehe dazu. Fünf Mal ein
Once-in-a-lifetime, das ist doch was! Ich möchte auf keine Sekunde verzichten.
Vor allem wenn ich mein persönliches Preis-Erlebnis -Verhältnis betrachte. Es ist mein fünfter Überschallflug, mein viertes Meilenticket für die Concorde (!!!), nur ein einziges mal habe ich dafür etwas gezahlt, weniger als 50 € Gebühren, sonst nichts, that’s all.
![Big grin :D :D](data:image/gif;base64,R0lGODlhAQABAIAAAAAAAP///yH5BAEAAAAALAAAAAABAAEAAAIBRAA7)
Nun mag jeder mit dem Älterwerden umgehen, wie er will und kann, meine persönliche Ansicht ist, dass ich heute froh bin, meine Concorde Flüge und manch anderes in meinem Leben so konsequent mitgenommen zu haben. Nimm es solange du kannst.
![Thumbs up (y) (y)](data:image/gif;base64,R0lGODlhAQABAIAAAAAAAP///yH5BAEAAAAALAAAAAABAAEAAAIBRAA7)
Älterwerden bedeutet, dass sich Türen schließen und Optionen weniger werden. Ich fühle mich wie immer und stecke im Körper eines alten Mannes. Es gibt schöneres.
Den 11. Mai 2002 erinnere ich als einen freundlichen Frühlingsmorgen. Wie immer stehe ich um 5 Uhr morgens - Hamburg Zeit – auf, um 9:30 - New York Zeit - werde ich in Amerika sein. Mit meinem alten SAAB geht es ins Parkhaus am Flughafen. Ich bin hundemüde weil ich kaum geschlafen habe. Im Job habe ich gerade jede Menge schwierige Situationen: der zentrale Kooperationspartner des mittelständischen Unternehmens für das ich verantwortlich bin, betreibt schon seit längeren etwas, dass ich wohlwollend als Insolvenzverschleppung erlebe, um die höfliche Beschreibung zu wählen.
Gier schlägt Hirn. Am Vorabend der Reise gab es lange Krisensitzungen mit meinen Gesellschaftern, die bis in die Nacht dauert. Da sie wenig Ahnung haben, war mit Hilfe unseres Anwalts viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Betrügerische Geschäftsmodell haben ja bekanntlich immer eine hohe Anziehungskraft auf gut-bürgerliche Kreise.
![Smile :) :)](data:image/gif;base64,R0lGODlhAQABAIAAAAAAAP///yH5BAEAAAAALAAAAAABAAEAAAIBRAA7)
Manchmal kann man geradezu wie in Zeitlupe sehen, wie Gier und
Dazu-gehören-wollen den Verstand zerfressen. Man denke nur daran, wie der verurteilte Wirtschaftskriminelle Jürgen Harksen die feine Hamburger Gesellschaft ausgenommen hat.
Es gelingt mir Beschlüsse zu fassen, die verhindern, dass wir hineingezogen werden. Einige Jahre später wird das Ganze zu einem der größeren Wirtschaftsprozesse der Bundesrepublik. Glücklicherweise bin ich dann nur noch als Zeuge und nicht auf der Täterseite dabei. Um mich nicht zu outen, verzichte ich auf die vielen lehrreichen Details. Schöner Stoff für einen Wirtschaftskrimi.
Je schöner die Erfolgsstory (wie bei VW oder Boeing, Zumwinkel oder Hoeneß, Kohl oder Strache), desto mehr Dreck liegt manchmal hinter der Tür.
Ich habe keine 4 Stunden geschlafen. So bin ich in einer höchst seltsamen Stimmung als ich nach New York aufbreche, müde und ausgebrannt, aber auch euphorisch und froh über die Ablenkung durch diese zwei Tage. Wie immer bin ich mit meinem Pilotenkoffer unterwegs, trage einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd. Auf den Schlips habe ich verzichtet,
die Zeiten haben sich schon geändert. Glücklicherweise ist es schon hell als es losgeht. Diesmal habe ich bei BA ausdrücklich ein vegetarisches Meal vorbestellt, während ich mich sonst immer auf das Angebot an Bord verlassen habe. Auf dem A 320 von HAM nach LHR kann ich sogar zu einem riesigen Obstteller wechseln, was ich tue. Es ist entspannt, nur zwei Passagiere sitzen in der Business Class. Mir gelingt es, noch ein wenig Schlaf nachzuholen.
In London wandere ich wieder langsam und entspannt, ein wenig kontemplativ, durch die langen Wege und Winkel von Heathrow zum
Concorde Room und begehre Einlass. Ich habe Glück, einer der tollen Liegesitze am Fenster ist frei, so mit kann ich auf die Concorde gucken, die schon am Finger bereit steht. Hinter dem Cockpitfenster sehe ich die Piloten bei den Vorbereitungen. Neben mir sitzt ein freundlicher, sichtbar aufgeregter Mann. Er trägt einen Anzug von Marks & Spencer, dazu ein Schlips, der dem Union Jack entspricht, also die Fahne des UK darstellt. Marks & Spencer ist so etwas wie früher in der alten Bundesrepublik KEPA oder C&A waren. Bei seiner Gründung galt der ins Auge fallenden Werbeslogan:
Don't ask the price – it's a penny.
Also sicherlich keiner der Wohlhabenden der englischen Gesellschaft. Seit meinen Forschungsaufenthalten als junger Wissenschaftler Anfang der 1980er im GLC, dem Greater London Council,
long time ago, habe ich einen Blick dafür. Wir kommen ins Gespräch. Er ist ein netter Kerl, der mir erzählt, dass er mehre Jahre für diesen Flug gespart hat. Ein wahres Once-in-a-lifetime. Er ist aufgeregt und begeistert wie ein kleiner Junge, wenn der Weihnachtsmann klingelt. Sein Körper platzt fast vor Adrenalin. Mehr noch als in Frankreich ist im UK die Concorde ein nationales Monument und Symbol britischer Identität so wie Winston Churchill, Lady Di, das Empire, die Queen, das Nicht-besiegt-werden im Zweiten Weltkrieg, die Beatles.
Wir liegen da beide mit Blick auf die Concorde, unterhalten uns lange und die
Rosen Englands (ja die gibt es) fragen uns nach unseren Wünschen. Dazu bringen sie uns Champagner und edle Häppchen mit Lachs und Kaviar. Ich kann mich bis heute nicht so richtig entscheiden, ob ich mich bei diesem Erinnerungsbild für die Dekadenz schämen soll oder ob es toll war.
![Roll eyes :rolleyes: :rolleyes:](data:image/gif;base64,R0lGODlhAQABAIAAAAAAAP///yH5BAEAAAAALAAAAAABAAEAAAIBRAA7)
Ich meine, da herum zu liegen und sich von den Schönheiten Englands bedienen zu lassen. In jedem Fall aber hat mich dieser Typ in seiner kindlichen Begeisterung für seine Concorde Reise sehr berührt.
Dann sehen wir, das unsere Maschine vom Finger weggezogen wird. Doch es erfolgt keine Ansage mit Informationen. Nach einigen Minuten steht eine neue Concorde dort und mit nur geringer Verspätung dürfen wir an Bord. Diesmal bin ich mit der BOAC unterwegs.
Nie wieder in meinem Leben sollte ich den Concorde-Room betreten, aber dass ich mir zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst.
In dem nachfolgen den Video sieht man eine Concorde einige Wochen später im Juni 2002 am Golden Jubilee Weekend, den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Thronbesteigung von Elisabeth II, Queens Golden Jubilee, im Tiefflug mit knapp 15.000 feet (gut 4 km) über London und Buckingham Palace an der Spitze eines Vorbeiflugs von Kriegsflugzeugen zu Ehren der Queen, während die Massen jubeln und feiern. Einem legendären Ereignis in der Concorde Geschichte. Leider ist es öffentlich nur noch in dokumentarischer Qualität erhalten.
Spannend am Schluss des kurzen Videos die Steigungsrate der Concorde.
Wie immer, stay tuned, Fortsetzung folgt