Fortsetzung 46
Nach einem Flug mit dem schmutzigen Iren gestern ist es schon etwas sehr speziell, mich wieder an meinen Reisebericht zur Concorde zu setzten. Mit riesigem Erstaunen habe ich gerade nachgelesen, dass man 1991 an Bord der Concorde noch rauchen durfte. Kann das sein? In meiner subjektiven Erinnerung ist das Rauchverbot in Flugzeugen doch schon viel länger her.
Um die Kontinuität zu wahren stelle ich unter Verwendung von Post 44 und 45 nun
die ganze Reise von Sommer 1998 ein, auch wenn einiges damit doppelt erzählt ist. Allerdings umfassend überarbeitet, da mir der vorherige Text nicht gefiel und sich auch einige Fehler und Unschärfen eingeschlichen hatten.
Zur Erinnerung, das über Meilen gebuchte Routing war:
31.8.1998
HAM - LHR BA 963 Airbus A 320 07:05 - 07:45
(1 Stunde Zeitunterschied)
31.8.1998
LHR - JFK BA 001 Concorde 10:30 – 09.20
(5 Stunden Zeitunterschied)
01.09.1998
JFK – LHR BA 002 Concorde 09:30 – 18.10
(5 Stunden Zeitunterschied)
01.09.1998
LHR – HAM BA 972 Airbus A320 19:20 – 22.00
(1 Stunde Zeitunterschied)
Montag, 31.8.1998
Nach der langen Krankheit wollte ich mir den Traum erfüllen, der mir während des unendlichen Krankenhausaufenthalts gekommen war, noch einmal mit einer Concorde fliegen. Diesmal sollte ich also die legendäre BA 001 nehmen und in die richtige Richtung fliegen, nach Westen um, die Zeit zu überholen.
Hin nach London ging es mit dem üblichen Frühflug ab Hamburg in einem Airbus 320 in der Businessklasse, eine First hat es auf diesem Leg anders als bei Lufthansa bei British Airways nie gegeben. Wie immer war der Abflug um 7:05, um dann um 7:45 in London anzukommen, bei einer Stunde Zeitunterschied. Schon seitdem ich denken kann, gibt es diesen Flug, zu diesen Zeiten, unter dieser Flugnummer. Bereits in Hamburg beim Check In gab es die besondere Concorde Bordkarte und besondere Gepäcklabels für Aufgabe- und Handgepäck. Ab jetzt war man etwas ganz besonderes und wurde groß angeguckt. Auch diesmal war ich nur mit meinem Pilotenkoffer als Handgepäck unterwegs. Er passte immer so gerade noch in die Gepäck Bins.
Zwar hatte ich gelegentlich auch mal davon gelesen, dass es in London einen Fahrdienst Service für Concorde Passagiere geben sollte, mir allerdings wurde er nie angeboten und ich habe nicht danach gefragt. Ich fand es auch schöner, zunächst die übliche Unübersehbarkeit in Heathrow zwischen den Terminals zu erleben und entspannt in Ruhe zu Fuß zum Concorde Room zu wandern und Einlass zu begehren. Wenn ich richtig erinnere, öffnete man eine Tür und ging dann vielleicht fünfzehn Meter auf den Tresen zu. Es muss für die Ladies, die heute so respektlos Lounge Drachen genannt werden, ein Begriff, den es 1998 noch nicht gab, herrlich gewesen sein, diese besondere Reiseklientel auf sich zugehend zu erleben. Zum Empfang standen immer mehrere BA Mitarbeiter bereits, damit ja niemand etwa einen Moment warten musste.
Anders als heute, war der Concorde Room damals eine Lounge ausschließlich für Überschall-Passagiere. Von ihr führte ein direkter Finger zum Flugzeug, der nach meiner Erinnerung nur für die Concorde genutzt wurde. Durch die Fenster konnte man auf die bereitgestellte Maschine sehen und sah auch die Piloten, die im Cockpit ihre Vorbereitungen machten. Für die Jacken stand wieder der rollbare Kleiderständer bereit. Im Concorde Room herrschte eine freundliche und entspannte Atmosphäre, von Respekt und Rücksichtnahme gekennzeichnet. Die Rosen Englands huschten umher und brachten Champagner, Drinks und edle Häppchen.
Weiter nach New York ging es dann um 10:20 London time, wenn alle Zubringer da waren, denn es gab so etwas wie einen Concorde Knoten, um auch die Passagiere einzusammeln, die nicht aus London stammten. Ankunft in New York war dann planmäßig 9:30 NY time. Ideal, wenn man arbeiten musste oder zu einem Meeting wollte: Man war ab London knapp vier Stunden unterwegs und hatte in New York den ganzen Arbeitstag vor sich. Und man erlebte die Concorde als eine fliegende Zeitmaschine, denn vereinfacht gesagt, man kam zeitlich an, bevor man abgeflogen war. Man überholte also die
Uhrzeit des selben Tags, wenn man so sagen will. Dass man durch einen Überschallflug, so wie Albert Einstein vorausgesagt hat, einige google-milli-nano Sekunden jünger wird, konnte ich nicht feststellen. Aber es ist mir auch nie gelungen, seine Theorien auch nur annährend zu verstehen.
Auf dieser Reise war ich genauso aufgeregt und genauso begeistert wie bei meinem ersten Flug mit der Concorde. Wieder erlebte ich etwas, dass sonst nur Testpiloten mit Helm und Sauerstoffversorgung vorbehalten war. Ab diesem Flug gewöhnte ich mir an, in edlen Anzügen in der Concorde unterwegs zu sein. Weil eine Reise in der Concorde etwas ganz Besonderes war, aus Respekt vor dem Wundervogel, passend zur Atmosphäre und zur Concorde Werbung
travelling in style Nach dem Marketing von British Airways erfolgte der Service an Bord in der Buchungsklasse R, supersonic oder SSC genannt, die es nur in der kleinen Concorde Flotte gab, beworben als
a class of it’s own, well above first.
Montag, der 31.8.1998: wir durften an Bord von BA 001. Die Maschine war etwa zu 70 % gefüllt, vielleicht 75 Passagiere. Doch ich hatte erneut das Glück eines freien Nebensitzes. Die älteren freundlichen Ladies der BA begrüßten uns und verteilten Champagner. Wiederum saß ich im hinteren Teil der Kabine, steckte die bereitgelegten Geschenke in meinen Pilotenkoffer, mit dem ich unterwegs war und freute mich. Entweder gab es auf den Hinflug die silbernen Cross Kugelschreiber mit dem Concorde Logo oder die große Schreibmappe mit Logo, ich bin mir nicht mehr sicher? Das vorbestellte vegetarische Essen war gut und ich probierte mich durch die Weinkarte.
Der in England so beliebte Portwein wird aber nie mein Ding sein.
Wiederum guckte ich gebannt auf den Machmeter beim durchschreiten von Mach 1 und 2. Diesmal hatte ich meinen für das Jahr 1998 schon uralten Walkman mit und hörte Leonard Cohen und Bob Dylan vom Mixtape. Die Mitreisenden bestanden vermutlich aus älteren hochrangigen Managern und offenbar positionierte auch ein Scheich seinen Harem. Prominente, die mir bekannt waren, erinnere ich nicht. Aber ich gehörte ja nicht zu der Elite der regelmäßigen Concorde Reisenden, deren dargestellte oder tatsächliche Wichtigkeit man oftmals schon an der Körpersprache erkennen konnte. Als Sozialwissenschaftler achte ich auf derartiges und habe einen Blick dafür. Man lernt immer dazu.
In dieser so ganz besonderen Umgebung war ich nur der "kleine Michael", der aus einem Armutsstadtteil Hamburgs stammte, der sich mittels eines Meilentickets dort hineingeschlichen hatte.
Die Atmosphäre an Bord war wieder freundlich und respektvoll. Auch diesmal wieder bekam ich die Erlaubnis einen längeren Blick ins Cockpit zu werfen.
Wiederum etwas Small Talk mit einigen technischen Erläuterungen, faszinierend wie beim ersten Mal. Seit dem Verlassen meiner Wohnung in Hamburg muss ich mich ich völlig high gefühlt haben, dieses Gefühl sollte erst enden als ich am nächsten Tag wieder in Heathrow landete.
Die beiden Concorde Flüge dieser Reise von 1998 erinnere ich wie einen bewusstseinserweiternden Trip, wie etwas Spirituelles. Ich dachte über den überwundenen beinahe Verlust meines Auges nach, über mich und mein Leben, über die Welt, über die Nähe zum Weltraum da oben, über die Menschheit und über Glück. Über Schönheit. Ich starrte hinaus in den dunklen Weltraum. Es war wie ein tiefes Gefühl von Klarheit, Verstehen und Transzendenz. Vielleicht drücke ich mich ungeschickt und zu empathisch aus, aber ich war wieder bewegt durch den Flug mit diesem technischen Wundervogel. Sicherlich auch beflügelt durch den Wein on Bord.
Ich war 47 Jahre alt und freute mich unterwegs aufgeregt wie ein aufgeregtes Kind zu Weihnachten.
Vor längerer Zeit habe ich einmal darüber gelesen, wie viele Menschen in einer Concorde unterwegs waren und eine Schätzung darüber, wie viele von ihnen heute im Jahr 2019 noch leben. Wenn ich recht erinnere schon merklich weniger als 30 %. Die Gesamtheit derjenigen Passagiere, die eine Concorde genutzt haben, entsprachen ja nicht einer statistischen Normalverteilung der Flugreisen, sondern hatten einen starken Bias hinsichtlich der Merkmale Alter und sozialer Status, im Sinne von
älter,
wichtig und
wohlhabend. Auch sind viele der regelmäßigen Concorde Passagiere aus dem Bereich der Wirtschaft bei dem islamischen Angriff 2001 auf die Twin Towers im World Trade Center gestorben. Die Erklärungen zum Rückgang der Concorde Passagiere nach dem Absturz von Paris werde ich später noch separat ansprechen.
Vielleicht ja wird British Airways eines Tages den letzten lebenden Menschen ehren, der in einer Concorde unterwegs war, so wie eines Tages der letzte Astronaut gestorben ist, der im vorherigen Jahrhundert auf dem Mond war oder die oder der letzte, der die erste Mondlandung 1969 oder die Beatles live (!) erlebt hat. Ich würde es durchaus als angemessen empfinden.
Aber weiter im Jahr 1998. Zwar hatte ich mich in New York mit einem beruflichen Bekannten verabredet, aber es war nur ein kurzes Treffen. So wanderte ich etwas in Manhatten umher, um dann, als ich am späten Nachmittag müde wurde, wieder nach JFK hinauszufahren. Der Shuttlebus brachte mich zum Marriott am Flughafen, wo ich einige Stunden schlief. Als ich aufwachte war es für meine innere Uhr später Morgen, für NY Zeit noch Nacht. Vor dem TV verbrachte ich die Zeit bis zum Frühstück. Gestern war ich mit der Concorde nach JFK geflogen, heute sollte es zurückgehen. Zwei Stunden vor Abflug checkte ich wieder ein.
Dienstag, 1.9.1998: An Bord von BA 002 begrüßte mich diejenige Crew, die mich am Vortag hingeflogen hatte. Sie wussten sogar noch meinen Namen.
Welcome back. Wow. Nun erntete ich das tiefe Lächeln des Mitwissenden. Ich war in den erlauchten Kreis der Concorde User aufgenommen. Es war wie ein Ritterschlag.
Alles verlief wie auf dem Hinflug, aber ich war nicht weniger begeistert und aufgeregt. Die Außentemperatur betrug etwa minus 60 Grad. An der Außenhaut des Rumpfes soll die Temperatur durch die Reibungshitze bei der enormen Geschwindigkeit etwa plus 120 Grad betragen haben. Wenn ich am Rumpf anfasste, konnte ich Wärme spüren, an den Fenstern waren es sicher gefühlte plus 30 Grad.
Lange habe ich in das dunkle Blau des Alls und auf die Erdkrümmung geguckt. In wenigen Jahren würde ich meinen fünfzigsten Geburtstag feiern, wer bin ich geworden, was würde mich im Rest meines Lebens erwarten? Zu diesen Gedanken habe ich mich durch die Weinkarte probiert und hörte dazu die Mixtapes mit den Beatles und Rolling Stones gehört,
Sticky Fingers,
Let it bleed und
Exile on Main Street werden für alle Zeiten großartige Alben bleiben. Vielleicht hat keine Musik es den Menschen so gut besorgt wie die der Rolling Stones.
Leider tat mir Mick Jagger, der zu den häufigen und regelmäßigen Concorde Gästen gehörte, nicht den Gefallen, an Bord zu sein.
Es war wohl auch das letzte Mal, dass ich mit einem Walkman unterwegs war. Nur drei Jahre später sollte, die wieder aufsteigende Firma APPLE den ersten iPod auf den Markt bringen. Wiederum war es ein begeisternder Flug, wie ein Trip, um das Wortspiel zu nutzen. Auf dem Rückflug war der britische Schauspieler Bob Hoskins an Bord, den ich kurz vorher in den Filmen
Mona Lisa und dann in
Nixon gesehen hatte, letzterer über den Watergate-Verbrecher und notorischen Lügner, der sich als Präsident ins Weiße Haus geschlichen hatte. Auch erinnere ich mich, die Schauspielerin
Sigourney Weaver, bekannt geworden mit den Alien-Filmen, auf einem Concorde-Flug gesehen zu haben. Aber ich bin unsicher, ob es auf diesem Flug war. Mir hat sie besonders in
Half Moon Street gefallen.
Irgendwann landeten wieder in Heathrow und ich war wieder sterblich. Der Weiterflug nach Hamburg war dann so, wie solche Flüge eben sind, desillusionierend, wenn man vorher supersonic unterwegs war.
Mit diesem Wochenendausflug hatte ich es nun auf insgesamt drei Concorde-Flüge in meinem Leben gebracht.
More than enough Concorde adventure for one lifetime, um den grossartigen Film
The Martian zu zitieren. Damit sollte eigentlich das Supersonic-Projekt in meinem Leben beendet gewesen sein.
Wie immer, Fortsetzung folgt