Fortsetzung 20
Bilder von Studentendemonstrationen, Straßenkämpfen gegen Wasserwerfer, russischen Panzern in Prag oder amerikanischen Flugzeugen, die Napalm auf Kinder versprühen, und von Kriegsprotesten kennzeichnen die Erinnerungen an die späten 1960er. Für mich und meine Generation war San Francisco ein magischer geschichtsbesetzter Ort.
Doch von weitaus größerer revolutionärer Wirkung als jede politische Aktivität auf der Straße war der unsichtbare Teil der Gesellschaftsveränderung, der Wertewandel, die Infragestellung von Autoritäten, die wachsende Freiheit in den Köpfen und die zunehmenden Freiräume von Menschen, über die Ausgestaltung ihrer Leben selbst zu bestimmen, im Guten wie im Schlechten. Schon Mitte des Jahrzehnts, noch vor Beginn der politischen Revolte der späten Sechziger, begannen sich die sozialen Bindungen und die Kommunikation zwischen Erwachsenen und ihren Kindern zu verringern. Wir wollen doch nicht so werden wie ihr. Kein Satz kennzeichnete den stetig wachsenden Graben zwischen den Generationen besser als diese Worte, gerichtet an die Älteren.
Als ich in der 10. Klasse war, war San Francisco wochenlang ein Nummer Eins Hit in den Charts. Unübersehbar verweigerten sich die Hippies mit ihrer Botschaft von Love and Peace. Das Wort Hippie war eine unscharfe Beschreibung derjenigen, die sich dem American und westlichen way of living entzogen. Im engeren Sinne bezeichnet es die ideali-stische Lebensweise der Blumenkinder in der Bay Area von San Francisco im Sommer 1967 und deren alternative Existenz aus freier Liebe und Friedfertigkeit. Hippies bildeten die Flower-Power-Bewegung, eine Bezeichnung, die auf eine Metapher von Bob Dylans Dichterfreund Allen Ginsberg aus dem Jahr 1965 zurückgeht.
Das Dasein als Hippie war gleichermaßen Lebensmodell, Ideologie und Philosophie, indem es das sinnentleerte Wohlstandsdenken und die Lebensweise der amerikanischen Mittelschicht infrage stellte. Es war der Versuch, die Träume einer freundlichen, sozialen und solidarischen Welt ohne Zwänge und Tabus zu verwirklichen. Dazu gehörten tolerante und friedliche Umgangsformen und das, was im Internetzeitalter als Shared Economy am Auferstehen ist. Hippies lebten mehr ein verbindendes Gefühl als ein konkretes gesellschaftspolitisches Konzept. Immer zahlreicher verließen Jugendliche ihre Herkunft und Familien, um ein Leben nach eigenen Vorstellungen zu führen.
Schnell verbreitete sich die Bezeichnung Hippie um die Welt, als Scott McKenzie 1967 seinen Megahit San Francisco (be sure to wear flowers in your hair) herausbrachte, der ursprünglich nur als ein Werbesong für das Monterey Festival mit Jimi Hendrix, The Who, Simon & Garfunkel, The Mamas and the Papas und weiteren Künstlern gedacht war. Wochenlang stand San Francisco auf Platz eins der Hitparaden. Der Song besang das Hippieleben und verbreitete die Aufforderung, dorthin zu kommen um bei Love and Peace mitzumachen. Nach Schätzungen sind damals mehrere hunderttausende Jugendliche nach Kalifornien gegangen, um außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft zu leben. For those who come to San Francisco. Summertime will be a love-in there. In the streets of San Francisco. Gentle people with flowers in their hair. (Lyrics: Scott McKenzie)
Natürlich hatte das Hippie-Leben mit der Concorde zu tun. Beides stand für den Glauben an Fortschritt.