Ein kleines Update von mir, was hier in Vietnam diese Woche los war:
Nach 1 Woche totalem Lockdown sind wir nicht viel schlauer als zuvor. Die Fallzahlen sind ein wenig gestiegen, von 8'000/9'000 auf 11'000/12'000 pro Tag, an einem Tag (glaube Donnerstag) gab es 17'000 Fälle.
Kein Wunder, nach dem was letztes Wochenende hier los war und sich alle in den Läden um das Essen geprügelt haben.
Die Todesraten sind immerhin einigermassen stabil. Ich weiss, es tönt extrem makaber, aber immer noch sterben hier 300-500 Personen pro Tag.
Gesamtzahlen: (Stand 28.08. 18:56 Uhr)
Total Fälle: 418'321, gestern: 12'097
Total Todesfälle: 10'405, gestern: 352
Total Genesese: 210'989, alleine gestern wurden 12'375 Personen entlassen
In den sozialen Netzwerken kursieren Videos, in denen Leichensäcke in Kühlcontainer für die Zwischenlagerung gelegt werden. Zu sehen ist ein ganzer Hof von Containern. Die Krematorien sind hoffnungslos überlastet und kommen nicht hinterher, Nachschub an Särgen gibt es auch nicht, weil keine LKW-Fahrer zur Verfügung stehen, die das umherfahren oder dazu bereit sind.
Die Essenslieferung via Militär klang in der Theorie gut. Man bestellt mit einem vorgedruckten Wisch online (maximal 15 Artikel), das wird einem dann eingekauft, vor die Tür gebracht und man bezahlt per online banking. So weit, so gut.
Nur ist das ganze System jetzt auch hoffnungslos überlastet. Die 10'000 Militärangehörigen, Polizeidienste und Freiwilligen kommen mit den Bestellungen nicht hinterher, jeder ändert dauernd seine Order, dann müssen sie wieder rückfragen, wenn das gewünschte nicht verfügbar ist und so weiter und so fort. Je nach Distrikt wartet man 3-5 Tage auf die Lieferung, sofern sie denn überhaupt akzeptiert wird.
Ein Vietnamese hat Gemüse für 400'000 Dong bestellt und sich liefern lassen, als es gebracht wurde, verweigerte er sowohl die Bezahlung als auch die Ware. Er habe das System nur mal testen wollen.
Die Lokalzeitung hat darüber
sehr kritisch am Freitag berichtet. Normalerweise werden alle News von der Partei zensiert, das heisst wenn sich die kritisch äussern, dann liegt wirklich etwas im argen.
Allerdings hat die Stadtregierung recht schnell reagiert: ab heute steht Grab wieder zur Verfügung in den 8 Hochrisiko-Distrikten (darunter auch unserer), in den restlichen Distrikten durften sie auch letzte Woche liefern.
(Grab ist eine Lieferapp, mit der man sich Essen liefern, ein Taxi/Motorbike Taxi buchen, online einkaufen und noch viel mehr kann. Stammt aus Singapore und operiert mittlerweile in fast ganz Südostasien).
Der Haken: in den Hochrisiko-Gebieten müssen sich alle Fahrer täglich frühmorgens testen lassen (die meisten Lieferfahrer sind mittlerweile prioritär schon geimpft worden). In den Niedrigrisiko-Gebieten ist der Test nur zwei Mal pro Woche verlangt.
Die Ausgangssperre ausser in Notfällen oder zur Impfung bleibt bestehen. Mittlerweile ist unsere Kollegin, die temporär bei uns wohnt, doppelt geimpft mit AZ, ich selber einmal mit AZ und meine Frau hat sich diese Woche den ersten Schuss mit Moderna setzen lassen (Verzögerung wegen einer kürzlichen Schwangerschaft).
Viele sind mittlerweile verunsichert ab der vielen Regeländerungen der Regierung. Vielen kommt es so vor, als ob man Trial-and-error alles versucht, was irgendwie etwas bringen könnte, nur um dann festzustellen, das es nicht funktioniert und dann die Taktik wieder ändert. Momentan gilt der Lockdown bis am 15. September, dann wolle man die Situation unter Kontrolle haben. Für mich ist das noch Wunschdenken, aber ich lasse mich gerne überraschen.
Wenigstens scheint die Situation nur im Süden des Landes ausser Kontrolle zu sein. In Hanoi hat man ein paar Hundert Fälle entdeckt und sofort Lockdowns und Quarantänen verordnert, auch in Da Nang gilt seit 3 Wochen ein strikter Lockdown (ähnlich wie hier).
Die Regierung bezeichnet die Massnahmen übrigens sämtlich als "Social Distancing" - man hat ausdrücklich betont, das es sich dabei
nicht um Lockdowns handelt.
Ich lebe mittlerweile etwas mehr als 2 Jahre hier, aber Ho Chi Minh City und das ganze Land so zu sehen, bricht mir das Herz. Wir haben nicht genug geimpfte und die Leute sterben wie die Fliegen. Ein
guter Artikel, der die Situation mit Europa vergleicht, ist diese Woche in einer schweizer Onlinezeitung erschienen.
Immerhin gehen die Impfungen weiter: in HCMC sind mittlerweile fast 80% der Bevölkerung 1x geimpft. Auf das ganze Land gerechnet, sind wir bei mickrigen 2%, in Zahlen ausgedrückt: 14,5 Millionen (17,4%) mit einer Dosis und 2,3 Mio. mit doppelter.
Gleichzeitig lese ich täglich über die "Ungeimpften-Debatte" in einigen Staaten Europas. Bei Aussagen wie "ich brauche keine Impfung", "der Impfstoff ist nicht genug getestet worden / ist eine Beta-Version" "alles eine Verschwörung" usw. kommt mir das Kotzen, ich werde zornig und kann mich nur mit Mühe beherrschen.
In z.B. Deutschland oder der Schweiz tut die Regierung alles, um den Leuten klar zu machen, das sie sich zum Schutz der Allgemeinheit und ihrer selbst immunisieren lassen sollen. Es wird einem sprichwörtlich in den Hintern geblasen, und trotzdem lamentiert man über so einen an den Haaren herbeigezogenen Mist irgendwelcher hirnloser Covidioten.
Es ist schon klar: die Entscheidung sollte jeder selber treffen, aber muss dann auch mit den Konsequenzen leben und diese akzeptieren. Entweder persönliche Nachteile, oder man hängt im Spital am Sauerstoffgerät und kriegt kaum Luft. Dann hält sich mein Mitleid aber leider in Grenzen.
Tut mir Leid für die teils deutlichen Worte, es soll sich hier niemand angegriffen fühlen, vor allem nicht die, die sich nicht impfen lassen können.
Es ging mir nur darum, die Situation in der wir uns hier befinden, aufzuzeigen. In DACH ist man vergleichsweise "gut" durch die Pandemie gekommen, so etwas wie einen wirlich extremen Notstand gab es dort nie. In z.B. Spanien ist die Impfbereitschaft extrem viel höher, da man teilweise extreme Zustände hatte und das immer noch irgendwo im Hinterkopf herumgeistert.
Anyway, wir hoffen das sich die Situation in den nächsten zwei Wochen wenigstens etwas verbessert. Wir harren der Dinge, die da kommen werden. Ich liebe Vietnam, dessen Leute und Kulturen und die abwechslungsreiche Landschaft in guten Zeiten, da können schlechte Zeiten nicht viel dran ändern.
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