Aus der Welt und Südeutschen:
"Überschüssiger Ökostrom aus Deutschland soll in Norwegens Stauseen gespeichert werden – um bei Strommangel wieder zurückzufließen. Doch dort wächst der Widerstand gegen die zugedachte Rolle. Eine Abkopplung von den teuren europäischen Strompreisen hätte für Deutschland direkte Folgen.
Kunden des
schwedischen Einrichtungshauses Ikea sollten sich nicht wundern, falls ihnen zur Standleuchte „Kinnahult“ oder zur Hängelampe „Högvind“ bald noch ein passender Liefervertrag für „Strøm“ dazugelegt wird: Original skandinavischer Ökostrom für den preis- und umweltbewussten Lampenkäufer.
Jedenfalls baut der führende Ikea-Vertrieb Ingka-Group jetzt gemeinsam mit Partnern den ersten Meereswindpark Sørlige Nordsjø II vor der norwegischen Küste. Das Milliardenprojekt ist der erste Schritt Norwegens hin zu den geplanten 30 Gigawatt Offshore-Leistung, mit denen sich das Land weiter elektrifizieren will.
Ob die grünen Kilowattstunden norwegischer „Elektricitet“ auch an Kunden in Deutschland fließen, ist zuletzt allerdings wieder unsicher geworden. Denn die Norweger sehen Stromexporte inzwischen zunehmend kritisch.
„Über diese Kabel exportieren wir unseren Strom nach Europa – und importieren die hohen Preise“, gab der norwegische Strompreisaktivist Olav Sylte unter anderem
dem „Spiegel“ zu Protokoll. Das einträgliche Geschäft mit den Stromexporten sorgt auf einmal für heftige Debatten im Parlament. Im 5,5-Millionen-Volk rumort es, die Regierung in Oslo ist alarmiert.
Auch die Bundesregierung sollte alarmiert sein. Denn lange Jahre wurde Norwegen von deutschen Energiewendeplanern als „Batterie der Energiewende“ betrachtet. Überschüssige Wind- und Solarenergie aus Deutschland sollte als
Pumpenstrom nach Skandinavien geleitet werden, um Stauseen zu befüllen. Bei Strommangel in Deutschland sollte die in den Pumpspeichern geparkte Energie dann wieder zurückfließen.
Zu diesem Zweck wurde das nordische Königreich direkt mit Dithmarschen in Schleswig-Holstein verbunden: Das 620 Kilometer lange Stromkabel „
Nordlink“ nimmt jedoch bislang kaum deutschen Ökostrom auf,
wie jüngst auch der „NDR“ berichtete.
Norwegen als Fixpunkt in der Energiepolitik
Weil Elektrizität in Deutschland teuer bezahlt wird, exportieren die Norweger viermal mehr Strom, als sie über das Handelskabel importieren. Was für die norwegischen Exporteure ein gutes Geschäft ist, treibt freilich die inländischen Knappheiten und damit die Strompreise nach oben. Die Nachfahren der Wikinger werden darüber ungehalten.
Weitere Kabelprojekte wurden deshalb abgesagt. Die Pläne für „Northconnect“, ein ebenfalls mehr als 600 Kilometer langes Kabel zwischen Norwegen und Schottland wurden von Oslo endgültig ad acta gelegt. Auch der Offshore-Windpark Sørlige Nordsjø II wurde einst als Hybrid-Kraftwerk geplant, das sowohl mit Norwegen als auch mit Deutschland verknüpft ist. Doch die Deutschland-Trasse wurde storniert, die Windräder auf hoher See liefern künftig nur nach Norwegen. Wenn überhaupt wird es „Strøm“ also vorerst nur für skandinavische Ikea-Kunden geben.
So wie Deutschland gegenüber China eine Strategie der Abkopplung betreibt, „De-Risking“ genannt, betreibt Norwegen eine Strategie der Risikominimierung gegenüber der Hochpreis-Region EU. Auf Deutschland, den unmittelbaren „elektrischen Nachbarn“, hat das direkte Auswirkungen. Jüngst hat Oslo einen Kontrollmechanismus etabliert, der Stromexporte über „Nordlink“ im Notfall einschränken kann.
Norwegen war für Deutschland zuletzt der neue Fixpunkt in der Energiepolitik geworden. Das rohstoffreiche Land ist zum einen fest eingeplant als Lieferant für Öl und Gas, erst recht seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Und tatsächlich sind die Liefermengen fossiler Brennstoffe aus Norwegen in den vergangenen beiden Jahren deutlich gestiegen.
Zum anderen gilt das Königreich aber auch als Möglichmacher der Energiewende hierzulande. Denn 98 Prozent des produzierten Stroms in Norwegen stammen nach Regierungsangaben aus erneuerbaren Energien, allen voran aus
Wasserkraft. Schon seit Jahrzehnten wird damit deutlich mehr Strom produziert als von der eigenen Bevölkerung ge- und verbraucht wird. So war es jedenfalls bislang.
Weiterhin haben beide Länder eine strategische Partnerschaft über den Bau einer Pipeline für die Lieferung von Wasserstoff geschlossen, mit dem in Deutschland die Dekarbonisierung der eigenen Industrie vorangetrieben werden soll. Und als Abnehmer von CO₂ bietet sich Norwegen ebenfalls an. Das klimaschädliche Gas soll in norwegischen Küstengewässern per sogenannter CCS-Technologie unter dem Meeresboden verpresst werden.
„Strom ist zum Tagesgespräch geworden in Norwegen“
Doch was sich grundsätzlich nach einer idealen Partnerschaft anhört, ist längst nicht mehr kritiklos. In Norwegen jedenfalls regt sich Widerstand. „Billiger Strom wird hier als öffentliches Gut gesehen, das praktisch nichts kosten darf“, weiß Michael Kern, der Geschäftsführer der Deutsch-Norwegischen Handelskammer (AHK) in Oslo. Zuletzt aber sei der Strom auch in Norwegen nicht mehr so billig gewesen wie gewohnt.
„Insbesondere im Süden, wo die großen Seekabel liegen, sind die Preise deutlich gestiegen“, berichtet Kern am Rande einer Delegationsreise anlässlich der weltgrößten Industrieschau
Hannover Messe. Die Rede ist von zeitweise dem Fünffachen im ersten Jahr des Ukraine-Krieges. „Strom ist deswegen zum Tagesgespräch geworden in Norwegen.“
Zwar sind die Preise mittlerweile wieder gesunken, das alte Niveau haben sie laut AHK-Vertreter Kern aber nicht wieder erreicht. Und das dürfte auch so bleiben. Zumal die Überdeckung bei der Stromproduktion in Norwegen dahinschmilzt angesichts der voranschreitenden Elektrifizierung von Wirtschaft und Verkehr.
Schon 80 Prozent aller neu zugelassenen Pkw in Norwegen sind E-Autos. Dazu gibt es strenge CO₂-Vorgaben für den Schiffs- und Fährverkehr in den vielen Fjorden. Und auch die Unternehmen sollen möglichst schnell emissionsfrei produzieren, selbst die Ölplattformen sollen absehbar elektrifiziert sein.
„Wir müssen wegkommen von den fossilen Energien – und das schnell“, sagt Jan Christian Vestre, bislang Wirtschaftsminister und nach einer Kabinettsumbildung künftig zuständig für das Ressort Gesundheit. Denn das Geschäft sei nicht nachhaltig. Und Europa habe schon genügend Jahre verloren.
Zweifel an zuverlässiger Wasserkraft
Laut einer Marktanalyse des staatlichen norwegischen Netzbetreibers Statnett steigt der Strombedarf in Norwegen dadurch derart stark und schnell, konkret von 140 auf 164 Terawattstunden, dass sich der bisherige Angebotsüberschuss ab 2027 zu einer Unterdeckung umkehrt, das Land also auf Nettoimporte angewiesen sein wird.
Ohnehin schwant manchem, dass Wasserkraft nicht mehr lange eine zuverlässige Energiequelle sein wird, falls sich der Klimawandel so beschleunigt wie von einigen befürchtet. Mehren sich die Dürresommer auch in Norwegen, wird der 90-Prozentanteil Wasserkraft zur Belastung.
Kein Wunder, dass selbst in dem Ökostrom-Paradies Forderungen der Industrie laut werden, auch auf die neue Generation kleiner Atomkraftwerke zu setzen, die derzeit unter dem Namen „Small Modular Reactors“ (SMR) in vielen Ländern entwickelt werden.
„Die Nachfrage nach grünem Strom ist um ein Vielfaches größer als die Menge, die wir produzieren können“, sagt Vestre. Die Regierung wolle dem Mangel allerdings zuerst mit dem Ausbau der Windkraft begegnen, kündigt Vestre an: „Wir wollen die Kapazitäten daher in den nächsten beiden Dekaden verdoppeln.“
Geplant sind neue Kapazitäten von mindestens 30 Gigawatt. Dafür sollen rund 1500
schwimmende Windkraftanlagen auf der Nordsee installiert werden. Die aktuelle Regierung – ein Minderheitskabinett aus der sozialdemokratischen Arbeiterpartei und der Zentrumspartei – hebt sich damit von der Vorgängerregierung ab, die Windräder an Land aufstellen wollte, schnell und zahleich.
„Die Menschen sind wahnsinnig geworden und wollten das nicht in unserer wunderbaren Natur haben“, beschreibt Vestre. Die Energiewende – der Minister nennt das deutsche Wort, während er ansonsten Englisch spricht – könne nur mit Akzeptanz funktionieren. „Wir müssen den Menschen zuhören und sie mitnehmen“, lautet Vestres Botschaft.
Angeschoben wird die Transformation und den Ausbau der Windenergie mit Mitteln aus dem Verkauf von Öl und Gas, der Norwegen ohnehin reich gemacht hat. Auf rund 1,5 Billionen Euro wird der norwegische Staatsfonds geschätzt, der zuletzt eine Rendite von rund 200 Milliarden Euro eingefahren hat.
Dass die Ökowende durch den Verkauf fossiler Energien erst möglich wird, erscheint paradox. Doch der Minister Vestre sieht keinen anderen Weg: „Der Umbau funktioniert nicht über Nacht.“