Ehrlich gesagt, glaube ich, dass ich regelmäßig alle Normen einhalte, wenn ich autofahre. In jedem Fall übertrete ich sie nicht wissentlich und schon gar nicht vorsätzlich.
Auch auf die Gefahr hin, dass es Dir bekannt ist:
Die Regelsätze des Bußgeldkatalogs gelten für
fahrlässige Begehensweise (§ 1 Abs. 2 BKatV). Der Verordnungsgeber legt seine Regelsanktion also genau für den Verkehrsteilnehmer fest, der fahrlässig handelt. Bei Vorsatz wird i.d.R. der Bußgeldsatz verdoppelt.
Es ist bemerkenswert, aus dem bekannt überkomplizierten deutschen Steuerrecht abzuleiten, dass StVO-Übertretungen gerechtfertigt werden können, "weil es ja ohnehin zu viele Gesetze gibt".
Kirchhof verdeutlicht an mehreren Stellen, dass diese Thesen auf das gesamte Rechtssystem bezogen sind (vgl. schon die Allgemeinheit der letzten Sätze).
Verstehst du, warum mich deine Einstellung nervt?
Zunächst zu den Zahlen, die kenne ich, die lege ich meinen Erwägungen auch zugrunde.
Natürlich verstehe ich die Position. Ich halte sie auch grundlegend für richtig, nur nicht im Detail.
Ich musste vor etwa 3 Jahren im Rahmen einer groß angelegten Überprüfung von Limits in Hessen auch die Verkehrsunfallzahlen beleuchten. Dabei kam Interessantes zu Tage:
Es ist beileibe nicht so, wie propagiert, dass Geschwindigkeitsüberschreitungen Unfallursache Nr. 1 sind. Im Gegenteil, in der Mehrzahl der Fälle mit Verkehrstoten hielt der Unfallverursacher die Höchstgeschwindigkeit ein. Der Fall wird dennoch als "zu schnelles Fahren" aufgenommen, da man auch innerhalb des geltenden Tempolimits zu schnell (situationsunangemessen) fahren kann, vgl. § 3 Abs. 1 StVO.
Es fehlt, das bemängele ich seit Jahr und Tag, eine Trennung zwischen "überhöhter Geschwindigkeit" und "Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit". Eine solche Trennung täte jedoch Not.
Wer oft durch Hessen fährt, wird bemerkt haben, dass mehrere Autobahnteilstücke kürzlich wieder freigegeben wurden, weil die Limits Überprüfungen nicht Stand gehalten haben.
Es ist ein Trugschluss, dass mit Geschwindigkeitsbeschränkungen die Zahl der Verkehrstoten signifikant reduziert werden könnte. Der Rückgang in den vergangenen Jahrzehnten ist Untersuchungen zufolge auf bessere Sicherheits- und Fahrerassistenzsysteme zurückzuführen, nicht auf niedrigere gefahrene Geschwindigkeiten (im Gegenteil: die gefahrenen Geschwindigkeiten sind sogar gestiegen).
Ich gebe Dir jedoch insoweit Recht, dass die Einhaltung der Grundregeln elementar ist für verkehrliche Sicherheit. Jedoch ein schöner Beispielsfall:
Ewig galt auf einer "gelben Autobahn" durch die Pfalz (zweispurig, autobahnähnlicher Ausbau) Tempo 100. Es wurde beständig kontrolliert, die Überschreitungsquote lag um die 5%. Dann setzte die Stadt Tempo 70 (!!!) durch. Die Überschreitungsquote stieg drastisch an.
Der Fahrer, der früher mit 115 dort fuhr und ein Verwarnungsgeld von 20 € bekam (keine Punkte, kein Fahrverbot), der bekommt nun für die gleiche Geschwindigkeit 160 € + 23,50 € Gebühren + 3 Punkte + 1 Monat. Für genau die gleiche Verhaltensweise.
Kurze Zeit später hat das zuständige Verwaltungsgericht auf die Eilanträge das Limit aufgehoben wegen evidenten Rechtsfehlern.
Der Bürger mit 115 km/h müsste trotzdem laufen. Obwohl das Limit vom VG für offensichtlich rechtswidrig erklärt wurde. Das ist nicht einzusehen.
Nur am Rande sei erwähnt, dass diese Blamage glücklicherweise vom zuständigen Amtsgericht durch eine Verfahrenseinstellung getilgt wurde.