Von Abschied und indischen Terrorkids
Um 5:30 wache ich von selbst auf. Viel zu früh. Ich drehe mich einige male herum, kann aber nicht mehr schlafen. Ich erinnere mich an einen Schlafstörungsratgeber, leichte Tätigkeiten nicht krampfhaft im Bett bleiben. Ich stehe also auf, nur was tun? Ich surfe etwas durchs Web, checke ein paar Dinge. Ich trage mich mit dem Gedanken schon jetzt zupacken. Ich versuche mir Ausreden auszudenken. Ich gebe schließlich der Vernunft nach, stehe auf und packe meinen Koffer. Den Mantel kann ich getrost daheim lassen, Kalifornien meldet konstant über 20 Grad Celsius. Ich bemerke mit erschrecken, das eine Art Routineprogramm für das Packen in meinem Kopf abläuft. Das ganze passiert mechanisch.
In der Küche merke ich, dass das kein 5 Sterne Hotel mehr ist. Ich bin ganz alleine, niemand fragt nach meiner Zimmernummern, keiner fragt nach ob ich Kaffe oder Tee möchte, kein frisch gepresster O-Saft. Ist Reisen eigentlich echt? Ich meine ist das eine reale Welt in der man dauerhaft leben kann?
Ich toaste ein paar Scheiben Toast ohne die Küche in brand zusetzen. Esse kurz im stehen. Meine Koffer sind gepackt ich warte auf meine Abholung. Dies Mal kommt Sie zu spät. Über 20 Minuten. Genug Zeit habe ich eingeplant. Ich fahre. Kaum 5km gefahren stehe ich im Stau. Das geht so weiter bis hinters Offenbacher Kreuz. Die Zeit verrinnt es wird langsam knapp. Ab jetzt reise ich alleine, der Trip wird mehr Business als Spaß. Die Sonne strahlt vom blauen Himmel, das Radio spielt, passend wie die Faust aufs Auge, Red Hot Chilli Peppers und Califonication. Ich drehe lauter und lasse es rollen. Im selben Moment realisiere ich den nahen Abschied. Meine Stimmung verändert sich. Wir verabschieden uns, umarmen uns, reden uns die Zeit kurz. Ich hasse Abschiede von Ihr. Ich gehe los, ich versuche schnellst möglich meinen „professionellen“ Reisemodus zu aktivieren. Mir will es nicht so recht gelingen. Am Check In, ich muss noch Gepäck aufgeben, bekomme ich nichts so richtig auf die Reihe. Dinge gehen durch einander die Dame braucht heute viel Geduld und umso mehr Nachfragen. Am Ende entschuldige ich mich: „Nicht mein Tag“. Sie lächelt und sagt: „Sie habe Ihr bestes gegeben und so werden es Ihre Kollegen auch tun, damit sich das noch ändert. Guten Flug“. Sah ich wirklich so bemitleidenswert aus? Scheinbar, oder Sie hat es einfach nur nett gemeint. Ich entscheide mich für letztes.
Vor der Sicherheitskontrolle kommt langsam mein „Reisemodus“ in Betrieb. Ich muss noch schnell zur Post. checke vorher routiniert die Schlangen an der Sicherheitskontrolle. Lange Schlangen. Ich trödel also.
Als ich zurück zur Sicherheitskontrolle komme, ist kein Mensch mehr dort. Ich bin tierisch verblüfft. Koffer auf das Band, Jackett mit Telefon und anderen Dingen in der Tasche in die Schale, Laptop raus. Die Flughafenroutine und Abgestumpftheit hat mich wieder. Ich unterhalte mich kurz mit den freundlichen (!) Sicherheitsleuten, frage wo die ganzen Leute hin seien. Sie grinsen und erwidern: „Wir sind gut“. Koffer vom Band, Laptop zurück in die Tasche, Sakko an, Teleskopstange ausfahren - los. Wieder habe ich den Jackpot geknackt. A63. Das ist wieder das zweit weiteste Gate... Die LH scheint sehr besorgt um meine Fitness. Ich überlege kurz ob ich noch in die Lounge soll.
Ich tue es und erlebe wieder großartiges Tennis. In den Hauptrollen diesmal eine indische Großfamilie. Ich hoffe, Sie ist nicht auf meinem Flug gebucht. Die Kinder schreien wie blöd, fahren mit dem Kinderwagen immer und immer wieder gegen die Möbel und das Buffet. Das Personal schaut ratlos drein. Die Lounge ist wieder proppe voll. Ich mag die Lounge eigentlich aber vor US Abflügen ist Sie grauenhaft voll. Eine weitere Hauptrolle hat wieder mal ein Businesskasper inne. Ein Rempler eines Busses an seinem Firmenfahrzeug, jawohl FIRMENFAHRZEUG, ist der Anlass für eine Orgie von Telefonanrufen. Es ist grotesk immer dieselben Worte, dieselben Sätze, nur der Zuhörer am anderen Ende ist ein anderer. Ich versuche irgendwo einen anderen Platz zusuchen, kein Glück für mich. Ich bin dem gequatsche ausgeliefert.
Just in diesem Moment, indische Familie zweiter Akt. Das mittlere der Kinder greif im Buffet ordentlich zu. Ein Yoghurt mit Früchten gefiel dem Jungen besonders. So gut das er augenblicklich damit begann diesen auf den Fussboden der Lounge zuleeren. Die Eltern von dem Vorgang wenig beeindruckt guckten zu. Schnell noch mal mit dem leeren Kinderwagen drüber, einpaar Scheiben Brot zum abdecken - perfekt. Der kleine Racker gab sich zudem alle Mühe das ganze noch akustisch zu untermalen. Innerlich bitte ich darum, dass diese Familie nicht den Flieger nach SFO besteigen wird. Da alle der Sippe in der Lounge sind, schließe ich daraus, dass Sie in Business gebucht sind. Das Loungepersonal beginnt mit den Aufräumarbeiten. Die Chefin erkundigt sich nach den Flugdaten und geleitet die Familie aus der Lounge. Einzelne klatschen Beifall - verstehen kann man es.
Kurz drauf gehe auch ich zurück zu A63. Alle sind schon eingestiegen nur eine Gruppe aus 5 Leuten die noch zusammen sitzen wollen, stehen noch am Gate. Ich lasse meinen BP scannen und gehe an Board. Die systematische Freundlichkeit und Fürsorge für das leibliche Wohl beginnt sofort. Ich richte mich ein in meinem Sitz. Wir müssen warten, Frachtcontainer fehlen noch. Die Crew erzählt uns allerhand Dinge ich merke wie müde ich eigentlich bin. Mein Sitznachbar ist auch Student. Um 5 hat er eine Prüfung in SF. Wurde gebumbt von einem US Flug. Mein lieber Mann, er hat echt Nerven. Respekt. Wir unterhalten uns kurz, frage ihn ob er mir das Essen fotografieren kann für meine geschätzten Leser
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. Ich überziehe meinen Sitz, lege mich hin und schlafe sofort ein. Ich erwache erst über den USA. Neuer Schlafrekord 9,5h. Alle Mahlzeiten habe ich verschlafen. Die aufmerksame FB, bietet mir sofort eine Mahlzeit nach Wunsch an. Ich bin erstaunt. Nett. Ich wähle das erste Menü. Die Anderen um mich staunen nicht schlecht. Wieso serviert man nicht sowieso das große Essen kurz vor der Landung als Mittagessen. Ich mag diese Idee. Die FB würden mich wohl erschlagen.
Während ich friedlich Esse, schlage ich mich mit dem IFE herum. Das tue ich eigentlich nur um Gesprächen aus dem Weg zugehen. Eigentlich nicht nett. Um mich herum gebinnen die Vorbereitungen zur Landung während ich ein Schokotörtchen esse. Ich frage mich warum dieses Szechuan-Schokotörtchen heißt. Was ein Blödsinn, schmeckt es doch genauso wie eins aus Paris, Mainz oder Wuppertal. Vielleicht musste der Name den drei Sternen angepasst werden. Vermutlich war Schokotörtchen einfach nicht „sexy“ genug.
Wir haben einen redseligen FO, seit fast 10 Minuten quatsch er munter drauf los. Allerlei Interessantes weiß der gute Mann zu berichten. Innerlich hege ich doch eine gehörige Abneigung gegen Ihn. Er und seine Kumpanen wollen genau über meinen Rückflug wieder streiken. Da entscheide ich mich schon mal für den Kranich und dann so etwas. Mein Fachmann für diese Fragen (na ihr werdet es nie erraten wer das ist) beruhigte mich aber vor Abflug bereits.
Gerade beginnt der Sinkflug. Ich sortiere meine sieben Sachen, alles kommt wieder an seinen Platz.