Ich sehe wie Vorposter, dass der Thread ins OT abgleitet. Ein paar Gedanken zu dieser Teildebatte habe ich dennoch. Ich verspreche auch, dass die Gedanken - zumindest von meiner Seite her - abschließend sind
1.) Stichwort "Erstsemesterargumente". Ich bin nicht der Ansicht, vom Niveau zu niedrig angesetzt zu haben. Bei so manchem Kommentar fragte ich mich eher, ob das Niveau zu hoch war
2.) BWL vs. VWL. Die Trennung gab es in den USA nie so wie bei uns. Und heute hat sie auch bei uns viel von ihrer Daseinsberechtigung verloren. Der Marketing-Forscher nutzt mikroökonometrische Methoden und bedient sich bei der Verhaltensökonomik. Volkswirtschaftliche Anwendungen bedienen sich beim OR. Das Corporate Finance bezieht sich auf die Marktformenlehre aus der VWL und die Spieltheorie/Principal-Agent-Theorie, die zumindest an der Schnittstelle zwischen VWL und BWL steht. In Finance lässt neben der traditionellen "pricing" Interpretation fast immer zugleich eine VWL-Interpretation (die auf ein Gleichgewicht an "stocks"/Mengen abstellt) geben.
3.) Theorie vs. Praxis. Ist heute weniger weit voneinander entfernt als früher mMn. Der Risk Manager in der Praxis kennt viel mehr als nur VaR. Und der angewandte Wissenschaftler kann nicht nur mit SAS, Tableau, Python oder Bloomberg umgehen, sondern kooperiert durchaus auch mit Unternehmen oder Behörden an Sachen, die später einmal "in production" landen. Ich bestreite nicht, dass manche wirtschaftliche Aktivitäten wie eine Existenzgründung sehr viel Kunst verlangen. Nichtsdestotrotz findet Wissenschaft nicht im Elfenbeimturm statt. Stets ist zu fragen, ob diese Behauptung nicht vorgeschoben wird, um keine Diskussion über neue Ideen und Techniken führen zu müssen.
4.) Shareholder Value vs. Stakeholder value. In ein oder zwei Absätzen werde ich diese jahrzehnte währende Debatte nicht auflösen können. Der Hintergrund ist doch, dass wir im Unternehmen und um es herum massive Interessenkonflikte haben (zwischen Fremd- und Eigenkapitalgebern, zwischen Eigenkapitalgebern und Management, zwischen Management und Angestellten usw.). Und aufgrund von asymmetrischer Information, der Unvollständigkeit von Verträgen usw. lassen sich diese Konflikte nicht leicht lösen.
Ich bin der Ansatz, dass zumindest einige dieser Probleme (gerade der Konflikt zwischen Unternehmenseignern und Unternehmensführung) eher auf Basis des enger gefassten Shareholder Value Ansatzes angegangen werden können als auf Basis des weiteren Stakeholder Value "umbrellas".
Zudem scheint bei Stakeholder Ansatz auch ein wenig "tree hugger" Gutmenschentum mitzuspielen. Wie soll denn etwa ein modernes Unternehmen - das auf hochqualifizierte Mitarbeiter mit spezifischem Humankapital angewiesen ist - profitabel für die Shareholder sein, wenn die MA schlecht behandelt werden und deren retention super-niedrig ist? Kann es im Sinne des Ziels der Maximierung des net worth aus Sicht der Shareholder sein, meine Kunden wiederholt nicht zufrieden zu stellen? Ich denke nicht!
Unbestritten gibt es auch Konflikte, wo eine Handlung den Shareholdern nützt, jedoch einem anderen Stakeholder schadet. Man darf jedoch nicht vergessen, dass die Stakeholder auch andere Wege haben, um Interessenkonflikte einzudämmen. Der Fremdkapitalgeber kann sich durch clevere Vertragsgestaltung, Monitoring- oder Screeningmaßnahmen und durch die etwaige Einschaltung des Rechtsstaats schützen. Dem Arbeitnehmer kann sich auf Arbeitsschutz- und Streikrecht, gesetzliche Fürsorgepflichten, Kündigungsschutzgesetze, Arbeitslosen-, Renten- und Unfallversicherung, den Betriebsrat und vieles mehr stützen.
Und zuletzt habe ich bei den jüngsten Bekenntnissen von Konzernen zum stakeholder value auch den Eindruck, dass es sich um Lippenbekenntnisse hat. Natürlich, Umweltschutz ist unser Unternehmensziel, wer würde heute etwas anderes von sich behaupten? Oder wer würde abstreiten, dass der Kunde im Mittelpunkt steht? "Bleiben Sie uns gewogen" setze ich daher als Schlusswort.