Ihr habt vermutlich eine falsche Vorstellung davon, was ein Rating ist. Das Rating gibt eine Ausfall-Wahrscheinlichkeit an und wie das nun mal mit Wahscheinlichkeiten so ist, kann von 1000 AAA-Schuldnern auch mal einer ausfallen, genauso wie ein C-Schuldner überleben kann. Die transparenten Bewertungskriterien und die Überprüfbarkeit in der Nachschau, zeigen, dass das System der Ratings funktioniert. Ratings sind auch keine Instrumente, auf die man hören oder nicht hören kann, denn ein Rating stellt keine Empfehlung oder Warnung dar, sondern ist lediglich eine Information (die stimmt).
Im Übrigen ist es eine urban legend, dass Lehman AAA hatte. Das Rating von S&P war A+, d.h. es gibt vier Stufen darüber (AAA, AA+, AA, AA-), die besser sind. Ich kenne jetzt die Ausfallwahrscheinlichkeit eines A+-Ratings nicht, würde es aber irgendwo in der Gegend von 1% schätzen, d.h. von 100 A+-Schuldnern fällt einer aus. Lehmann war so ein Fall. Dagegen stehen 99 Schuldner mit A+-Rating, die nicht ausgefallen sind. A+ in Textform bedeutet übrigens: "Die Anlage ist sicher, falls keine unvorhergesehenen Ereignisse die Gesamtwirtschaft oder die Branche beeinträchtigen" und das war ja zweifellos so der Fall.
Vieles davon ist
in etwa richtig, trotzdem muss ich ein wenig präzisieren und anschließend ein wenig Gegenrede halten.
Exkurs Ratings:
- Sie machen nur dann einen Sinn, wenn sie die Asset-Qualität nennen, auf die sie sich beziehen, in diesem Fall "reines" Fremdkapital (Alternativ: diverse hybride Kapitalformen, Eigenkapital).
- Sie sollten einen Zeitraumbezug enthalten, in diesem Fall (und auch recht üblich) ist die 1-Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeit genannt. Ansonsten durchaus betrachtungsüblich sind noch die 3-, 10- und 20-Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeiten. Ich denke, dass sollte man wissen, wenn man über Ratingeinstufungen und deren Schlussfolgerungen auf die Kreditwürdigkeit von zB USAirways (um den Themenbezug herzustellen!) und die Höhe / Ausfallgefährdung der DM-Meilenkonten, die man unterhält, qualifiziert nachdenken will.
- Bei S&P gibt es 10 sog. Investmentgrade-Ratingstufen, 11 sog. Non-Investmentgrade-Ratingstufen sowie die Ratingstufe "D" = Default = eingetretener Zahlungsausfall
- A+ müsste einer 1-Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeit (1 year probability of default = 1 yr pd) von etwa 0,026% entsprechen, wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe.
Ende Exkurs
Lehman hat am Mo 15. September 2008 um etwa 01.30 Uhr Ortszeit New York das Filing nach Chapter 11 vorgenommen (den Scan des Originalantrags habe ich sogar noch irgendwo, war damals öffentlichkeits-freigegeben von Seiten des US-Insolvenzgerichts).
Am Fr 12. September 2008 hat S&P noch das Langfrist-Rating für Fremdkapital mit "A+" bestätigt, was einer Ein-Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeit (1 yr pd) von etwa 0,026% entspricht.
Und hier beginnt die Gegenrede, denn in meinen (und nicht nur meinen!) Augen war es ein absoluter Witz, am 12. September 2008 noch A+ zu bestätigen. Und das sage ich nicht nur heute (wenn man aus dem Rathaus kommt...), das habe ich auch am 12. September abends dokumentiert schon in einer Besprechung mit Mitarbeitern gesagt. Zugegeben, ich habe auch nicht die Geschwindigkeit und das absolute Ereignis so genau gesehen, aber eine 1-yr-pd entsprechend einem A+ war ein absoluter Scherz. Wir haben damals irgendwas von BB bis B geschätzt, was auch zu den CDS-Quotes gepasst hat.
Außerdem halte ich die Verläßlichkeit, Belastbarkeit und Objektivität von Ratings doch für sehr fraglich, wenn ich sehe, dass S&P an einem einzigen Tag im Sommer 2007 etwa 25% von allen ihren Debt-Ratings senkt (etwa 600 von etwa 2.200 Ratings), und zwar um bis zu 12 Notches (ein Notch = Unterschied zwischen zwei benachbarten Ratingstufen) auf einmal! Ist ein Viertel aller beurteilten Schuldner schlagartig (von mir aus in einem Monat) so drastisch schlechter geworden?
Außerdem sollte man wissen, dass eine die Ratingagentur im Regelfall nur auf Bestellung des Schuldners und dessen Bezahlung tätig wird. Unbestellte Ratings sind die absolute Ausnahme, unbestellte Ratings über mehr als ein Jahr hinweg sind mir aktuell nicht bekannt. (Manche vermuten, ein unbestelltes und damit unbezahltes Rating wird gemacht, damit ein Unternehmen bestellt - fast immer fallen die anschließenden bestellten (und bezahlten) Ratings besser aus, was allerdings seitens der Ratingagenturen stets mit der verbesserten Einsicht in die Unternehmensplanung begründet wird.)
In den Einzelfällen, wo ich die Unterlagen kenne, die einer Ratingagentur zur Verfügung gestellt wurden, konnte ich das anschließend vergebene Rating nicht nachvollziehen.
(Und komme mir jetzt keiner mit Analysten-Einschätzungen an, die sind noch wesentlich schlechter - wenn ich herzhaft lachen will, schaue ich mir die Jahresabschlussanalyse eines Analysten von einem IFRS-Abschluss eines großen Unternehmens an, dessen Situation ich einigermaßen kenne...)
Fazit: Es mag oft besser sein, eine Rating-Einstufung zu haben als gar keine Information. Aber Verläßlichkeit, auch in großen Zahlen (statistische Signifikanz), Objektivität oder anderes positives kann ich ihnen keinesfalls zusprechen. Und wenn jemand über die USAir-Bonität nachdenken will, würde ich das eher auf der Basis der 1-yr-CDS-Prämien und der impliziten Ausfallwahrscheinlichkeit machen als auf der Basis von Ratings.
Dem Schufa-Abschnitt stimme ich zu.
P.S.: Dass Enron noch vier Tage nach dem Filing nach Chapter 11 ein Rating im Investment Grade-Bereich besaß (auch so bei S&P auf deren Webseite gezeigt damals), ordnen wir mal unter der Überschrift "administrativer Lapsus" zu - soviel zur Aktualität von Ratings...