Die Vereinigung Cockpit hat den Flugbetrieb der Eurowings Deutschland überraschend zu einem eintägigen Streik am Donnerstag, 06.10.2022, aufgerufen.
In einem offenen Brief wenden sich die Geschäftsführer Kai Duve und Edi Wolfensberger an die Pilotinnen und Piloten von Eurowings Deutschland. Lest das Schreiben hier:
- Offerte ans Cockpit-Personal sieht 136 freie Tage im Jahr vor (zehn mehr als bisher!) – und 33 Off-Tage in jedem Quartal
- Gewünschte Proceedings in erster Klasse der Deutschen Bahn werden ermöglicht
- Verkürzung der maximalen Dienstzeiten im 7-, 28- und 365-Tageszeitraum angeboten
- Einschränkung der Dienstplanung vor/nach Off-Tagen zugestimmt
- Dennoch öffentliche Streikankündigung der VC
Liebe Pilotinnen und Piloten der EW Deutschland,
die längste Krise des Weltluftverkehrs liegt hinter uns. Hinterlassen hat sie Milliardenverluste quer durch die ganze Industrie – und viele hundert Millionen Euro Schulden allein bei Eurowings. Noch immer plagen uns Folgeprobleme, die wir alle jeden Tag am eigenen Leib spüren: Energie- und Kerosinpreis-Schocks, ausgelöst durch den Ukraine-Krieg, eine Inflation nahezu aller Kostenpositionen sowie die akute Gefahr einer bevorstehenden Rezession, um nur einige zu nennen.
In dieser fragilen Situation hat die Vereinigung Cockpit ihre Mitglieder heute tatsächlich zu einem Streik im Flugbetrieb der Eurowings Deutschland aufgerufen. Während sich Millionen Menschen in Deutschland vor einem kalten Winter und der nächsten Heizkosten-Rechnung fürchten, lässt die VC öffentlich darüber diskutieren, ob 14 zusätzliche freie Tage im Jahr und fünf Stunden weniger Wochenarbeitszeit über Streiks durchsetzbar sind. Dies alles bei zwei anstehenden Gehaltserhöhungen für unser Cockpit-Personal in den nächsten vier Monaten. Ist sehr gut nicht gut genug?
Die Antwort zehntausender Eurowings Gäste, die in den nächsten Tagen auf gepackten Koffern sitzen bleiben sollen, kennen wir. Die Antwort unseres Personals – Stichwort Empowerment – steht noch aus. Es ist müßig darüber zu diskutieren, wann ein offener Arbeitskampf (einst als „ultima ratio“ erfunden) gerechtfertigt ist und wann er nur der Machtdemonstration einer Gewerkschaft dient. Die einen sagen so, die anderen so.
Unbestritten ist hingegen, dass ein Streik, so er denn Wirkung entfaltet, in dieser schwierigen Zeit nur Scherben und Verlierer hinterlassen würde: auf Unternehmensseite, auf Seiten unserer Gäste, auf Seiten unserer Beschäftigten.
Vor der Frage, ob man für die Tarifkommission in den Streik ziehen will oder nicht, sollten alle Vertreter des Cockpit-Personals zunächst die Faktenlage zum MTV kennen. Sie sieht so aus:
- Unser Angebot von 136 freien Tagen im Jahr (zehn mehr als bisher!) und 33 Off-Tagen in jedem Quartal steht. Ein derartiges Angebot ist in ganz Europa selten, im hart umkämpften Point-to-Point Verkehr vermutlich einzigartig.
- Wir werden auch die gewünschten Proceedings in der ersten Klasse der Deutschen Bahn ermöglichen, um bei An- und Abreisen weitere Entlastungen zu schaffen und Eure Arbeitsbedingungen entsprechend angenehmer zu gestalten.
- Selbst einer Einschränkung der Dienstplanung vor und nach Off-Tagen, den Spät- und Frühwechseln, haben wir zugestimmt, obwohl uns dadurch weitere Wettbewerbsnachteile entstehen, die wir anderweitig kompensieren müssen.
- Wir akzeptieren darüber hinaus die gewünschte Verkürzung der höchstmöglichen Dienstzeiten binnen 28 und 365 Tagen. Für eine Dienstbegrenzung binnen sieben Tagen wurde ein guter, ebenfalls entlastender Kompromissvorschlag unterbreitet.
Unterm Strich sind wir auf einen ganzen Strauß an Forderungen der Tarifkommission eingegangen – wohlwissend, dass wir bei Umsetzung all dieser Aspekte an vielen anderen Stellen werden kompensieren müssen (u.a. über höhere Ticketpreise, Kostensenkungen etc.). Die Reaktion der VC auf unsere Kompromissbereitschaft habt Ihr gesehen. Die Tarifkommission hat sich weiteren Gesprächen verwehrt, obwohl zu einem Großteil der Forderungen und Wünsche bereits Einigung erzielt bzw. weitreichende Kompromissvorschläge von unserer Seite unterbreitet wurden.
Dabei wurde allen Beteiligten fair und transparent dargelegt, dass EW Deutschland noch tiefer gehende Einschnitte in die eigene Produktivität nicht verkraften könnte. Eine Geschäftsleitung ist verpflichtet dafür Sorge zu tragen, dass bei gravierenden Veränderungen am MTV nicht die Zukunft der Firma gefährdet wird. Das sind wir nicht nur unseren Pilot:innen, sondern auch allen anderen Teamkolleg:innen der EW Deutschland schuldig. So gibt es bei dem Wunsch nach einer Verkürzung auch der maximalen täglichen Dienstzeit schlicht keine Lösung, die unser Geschäftsmodell nicht ernsthaft in Frage stellen würde.
Apropos Wünsche und Forderungen: Wenn auch wir mal einen Wunsch äußern dürften, dann wäre es der folgende: Lasst uns fliegen, nicht streiten! – Fühlt Euch also „empowered“ mit Eurer Tarifkommission zu sprechen und für einen Weg einzustehen, der nicht neuen Streit sät und Euch selbst am Ende noch benachteiligt.
Keiner Pilotin und keinem Piloten wäre geholfen, wenn wir feststellen, dass ein neuer MTV zur sofortigen Abmeldung von Flugprogramm führt, zur Schrumpfung des deutschen Flugbetriebs und damit zur Einschränkung von Karriereperspektiven für upgrade-fähige Kolleg:innen.
Unser Angebot steht – also lasst uns fliegen!
Herzlichen Dank für Euren Support und beste Grüße,
Kai Duve Edi Wolfensberger