Ach wirklich?
Mit seiner Richtlinienkompetenz zwang der Kanzler 2022 seinen grünen Wirtschaftsminister, drei Atomkraftwerke vorerst am Netz zu lassen. Interne Dokumente, die jetzt ans Licht kommen, legen nahe: Das war abgesprochen, um den Koalitionspartner FDP, aber auch einen Grünen-Parteitag an der Nase...
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m Herbst 2022 stand Deutschland vor einer schweren Energiekrise. Strom und Wärme waren teuer wie nie – und in den kalten, dunklen Monaten bestand sogar die Gefahr von Blackouts. Eine echte Katastrophe drohte, weil Wladimir Putin zur Strafe für die Unterstützung der Ukraine alle Gaslieferungen aus Russland eingestellt hatte. Der Verursacher war der russische Kriegsherr, doch die Ampelregierung drohte die Lage mit einem Eigentor noch zu verschlimmern: mit der Abschaltung von drei Atomkraftwerken, die zum Neujahrstag geplant war.
Der Brief ging in erster Linie an den zuständigen Minister: seinen grünen
Vizekanzler Robert Habeck. Der Obergrüne,
der aktuell als Kanzlerkandidat Wahlkampf macht, hatte sich damals gegen die eigene Partei nicht durchsetzen können. Atomkritiker wie Jürgen Trittin drohten ihm gegen eine Laufzeitverlängerung sogar einen „Sonderparteitag“ an.
Auf einem regulären Parteitag, der genau an den drei Tagen vor Scholz‘ Machtwort stattfand, einigten sich dann Habecks Realos mit dem Trittin-Lager auf die grüne Position: Zwei der drei AKWs dürften in die „Einsatzreserve“, also im Falle absoluter Not wieder ans Netz genommen werden. Die FDP hatte die gegenteilige Position bezogen: Regulärer Weiterbetrieb der AKWs, mindestens bis die Krise abgewendet sei.
Ein Kanzlermanöver, um den liberalen Koalitionspartner auszutricksen
Scholz‘ Richtlinienkompetenz rettete eine damals schon dysfunktionale Koalition, die sich in einer lebenswichtigen Frage nicht einigen konnte, so sah es bisher aus. Aber nun konnte die WELT AM SONNTAG Dokumente einsehen, die ein anderes Licht auf die Angelegenheit werfen: Demnach zog der Kanzler die Richtlinienkompetenz nicht gegen Habeck, sondern in Absprache mit ihm. Das vermeintliche Machtwort wirkt in diesem Licht wie ein Manöver, um den liberalen Koalitionspartner auszutricksen, aber auch die grüne Basis an der Nase herumzuführen.
Eindeutig belegen die Dokumente, wie Scholz mit Habeck an einer Lösung arbeitete und den Frontmann der Liberalen in der Koalition, Christian Lindner, dabei gezielt umging. So schrieb Jörg Kukies, heute Finanzminister, damals Staatssekretär im Kanzleramt und Scholz wichtigster Berater, schon am 8. August 2022 in einer Mail an wichtige Mitarbeiter, der Kanzler würde gerne eine Einschätzung erhalten, ob man im Falle einer Laufzeitverlängerung, die Zusatzerträge der Betreiberunternehmen einer „zusätzlichen Besteuerung“ unterwerfen könne: „Können wir das (diskret und zunächst ohne Einbindung BMF) vorab prüfen?“ BMF steht für Bundesfinanzministerium, also die von Lindner geleitete Behörde, die für Steuerfragen zuständig ist.
Die große Gefahr, nicht über den Winter zu kommen
Auch Habeck selbst sah das so. Er schrieb am 26. September an seine Leitungsabteilung: „Als für die Energiesicherheit verantwortlicher Minister muss ich sagen: wenn diese Entwicklung nicht doch wie durch ein Wunder in ihr Gegenteil verkehrt wird, werden wir ISAR 2 und NKW
(Anm. d. Red.: Neckarwestheim) im ersten Quartal 2023 am Netz lassen.“ Und später: „Heute muss ich sagen, dass die Daten aus Frankreich dafür sprechen, dass wir die Reserve dann auch nutzen werden.“
Tatsächlich verhandelte der Wirtschaftsminister ganz anders. Noch während der grüne Parteitag beriet, schrieb Steffen Meyer, damals „wirtschaftspolitischer Berater“ des Kanzlers und Leiter der zuständigen Abteilung im Kanzleramt, an Scholz‘ Büroleiterin eine Mail, die mit „Bitte dem Bundeskanzler als Ausdruck vorlegen“ überschrieben ist. Darin berichtet Meyer, dass Habecks Staatssekretär Graichen sich bei ihm gemeldet habe und – entgegen dem Parteitagsbeschluss – auch über das dritte Kernkraftwerk verhandeln wolle: „Sollte die Lösung darin bestehen, dass auch das KKW Emsland zeitlich beschränkt in die Reserve einzubeziehen, so würden von Grüner Seite Gegenforderungen erhoben werden müssen“ (Grammatik im Original). Zu diesen „Gegenforderungen“ zähle ein „Energieeffizienzgesetz“, das bereits fertig formuliert vorliege.
Patrick Graichens „Verhandlungschips“
Was sie von Scholz dafür haben wollten, zählte Graichen auf: ein „Sofortmaßnahmenpaket Wind“, „das Energieeffizienzgesetz“, „Eckpunkte für ein Gesetz zur kommunalen Fernwärmeplanung“ und „100 Mrd. zusätzlich für den Energie- und Klimafonds“. Für die Verhandlungen mit dem Kanzler empfiehlt Graichen: „Wenn Ihr Euch bei Atom einigt, dann räumt doch auch gleich die Einsatzbereitschaft ab und geht direkt in den Streckbetrieb.“
Ein Machtwort? Eher ein Deal
Und Scholz? Der lieferte weitgehend, was die Grünen bestellt hatten. In seinem Brief, mit dem er einen Tag nach Graichens Mail die Richtlinienkompetenz ausübt, schreibt Scholz weiter: „Parallel zu dieser Entscheidung werden die folgenden Weichenstellungen vorgenommen: Es wird ein ambitioniertes Gesetz zur Steigerung der Energieeffizienz vorgelegt.“ Außerdem soll der Kohleausstieg im Rheinischen Revier bis 2030 in Gesetzesform gegossen werden.
Die interne Kommunikation liefert also sehr starke Indizien für die These: Das vermeintliche Machtwort von Scholz war in Wahrheit ein Deal mit Habeck.
Vor allem die FDP, die seit dem Bruch der Ampelregierung der Opposition angehört, ist sauer. Der Abgeordnete Frank Schäffler, der dem Untersuchungsausschuss angehört, schimpft: „Scholz und Habeck haben die Öffentlichkeit getäuscht. Nun wird klar: Es gab niemals ein Machtwort des Bundeskanzlers. Stattdessen hat er die Energiesicherheit Deutschlands im Hinterzimmer gegen grüne Sonderwünsche verdealt. Und Habeck hat beim Atomausstieg gleichzeitig noch seinen eigenen Parteitag hinter die Fichte geführt.“
Für den Kanzler könnte die Angelegenheit noch sehr unangenehm werden. Denn er hat damals behauptet, allein entschieden zu haben. Bereits im Oktober 2022 konfrontierte die WELT AM SONNTAG Scholz im Interview mit der Frage:
„War das Machtwort in Wirklichkeit abgesprochen?“
Scholz antwortete: „Nein, weil keine Einigung zustande kam, habe ich als Kanzler entschieden.“ Allerdings fügte er hinzu: „Die Betroffenen haben nicht erst mit dem Brief von meiner Entscheidung erfahren, sondern ich habe sie ihnen vorher angekündigt. Das gehört sich so.“ Am Tag zuvor hatte es noch ein Treffen von Scholz mit Habeck und Lindner im Kanzleramt gegeben. Auf die Nachfrage, ob der Kanzler dort schon sein Machtwort angekündigt habe, antwortete Scholz in dem Interview: „Das habe ich erst später entschieden.“
Sein Sprecher Steffen Hebestreit besteht auch jetzt noch darauf, dass es so war. Der WELT AM SONNTAG sagt er: „Selbstverständlich stimmt die Schilderung des Kanzlers von damals! Er hat die Entscheidung getroffen und sie den Koalitionspartnern lediglich angekündigt.“
Robert Habeck beantwortet die Frage der WELT AM SONNTAG, ob es damals einen Deal gegeben habe, hingegen so: „Im Herbst 2022 wollte ich, dass die Atomkraftwerke im Süden auch im Krisenwinter 2022/2023 laufen können – und damit länger als vom schwarz-gelben Atomausstieg vorgesehen. Das Gesetz, um die Laufzeiten für den Winter zu verlängern, war von meinem Haus geschrieben und lag dem Kabinett vor. Aber die FDP blockierte den pragmatischen längeren Einsatz der Atomkraftwerke, weil sie auf Maximal-Lösungen beharrte. Diese Blockade der FDP wurde dann durch die Richtlinienentscheidung des Kanzlers überwunden.“
Zitat Ende.
passt alles dazu:
Vor 20 Jahren wurde versprochen, die Energiewende sei praktisch für ein Taschengeld pro Haushalt zu haben. Seitdem haben sich die Gesamtaufwendungen wahrscheinlich auf 500 bis 1000 Milliarden Euro summiert. Trotzdem kennt die Regierung die genauen Kosten nicht.
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