Und auf den dritten Blick dann doch wieder, denn es lässt sich eben nicht verallgemeinern, was der Fluggast will. Das einzig Verallgemeinerungsfähige ist die Nichtbeförderung zu den vereinbarten Bedingungen, und es sollte selbstverständlich sein im Sinne des leierkastenmäßig beschworenen hohen Schutzniveaus, dass der Fluggast wählen kann, ob er nach dem geplanten Abflug mit möglichst wenig Ankunftverspätung fliegen will oder oder ob er früher abfliegen mag, um (über)pünktlich anzukommen.
Gute Gesetzgebung macht sich erst einmal ein Bild von den möglichen Situationen, aber die VO denkt nur wenig über die Streichung oder einfache Verspätung am Flughafen hinaus. Deshalb musste ja auch fast jede Rechtsfrage, die bei nahezu jeder Unregelmäßigkeit auftritt, erst bis vor den EuGH getrieben werden - angefangen bei der Farce, was denn überhaupt ein "Flug" ist: 13 Definitionen am Anfang der VO, manche davon nahezu unverständlich (lit. h Hs. 2), aber der zentrale Begriff fehlt. Ich weiß, Du siehst das anders, und ich gönne Dir jeden Groschen, den Du damit verdienst, aber in meinen Augen ist die VO von der systematischen Durchdringung des Regelungsgegenstandes her sowie in der rechtstechnischen Umsetzung ein stümperhaftes Werk.
Dass man damit Geld verdient, liegt allerdings nicht an den vermeintlichen Fehlern oder Unklarheiten (sehe ich in der Tat anders) der VO, sondern daran, dass sich die Fluggesellschaften auch dann nicht in der Pflicht fühlen, wenn die Rechtslage eindeutig ist. Und das ist in neun von zehn Fällen so.
Was den Begriff des "Fluges" anbelangt, bedurfte der ja nur deswegen der Auslegung, weil sich deutsche Gerichte international nicht zuständig fühlen wollten. War also eigentlich gar keine Frage DIESER VO, sondern eher die der EuGVVO. Inzidenter ging es um den "Flug"-Begriff. Hätte man mit demselben Ergebnis auch anders lösen können.
Dass relativ viele Fälle vorm EuGH landen, halte ich ehrlich gesagt eher für ein deutsches Problem. Man muss sich ja nur ansehen, wie groß der Anteil jener EuGH-Entscheidungen ist, bei denen die Vorlage entweder vom BGH oder von anderen deutschen Gerichten gekommen ist. Denkt man sich die "deutschen Fälle" aus der Rechtsprechung des EuGH zur EU-VO weg, könnte man den Eindruck haben, dass der Verordnungsgeber hier eine ziemlich solide Arbeit abgeliefert hat.
Kurz: Ich halte die EU-VO gelungen, nicht aber die Fähigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit, mit dieser umzugehen. Das ist ein riesiges Missverständnis: Hierzulande geht es immer um Verschulden, die teleologische Auslegung ist nur eine von mehreren Methoden - und meiner Meinung nach nicht die entscheidende. Europa denkt eher pragmatisch. Die Frage, was will die VO erreichen, überragt die grammatikalische, die systematische und die historische Auslegung bei weitem.
Was ich mir allerdings wünsche (das wiederhole nun wiederum ich gebetsmühlenartig), ist eine dramatisch stärkere Sanktionierung von Verstößen durch die nationale Aufsichtsbehörde. Die Kontrolle versagt meiner Meinung nach vollständig. Echte Strafen für Fluggesellschaften, die ihren fluggastrechtlichen Pflichten (bei eindeutiger Rechtslage) nicht nachkommen, würden Anwälte in diesem Rechtsbereich weitgehend arbeitslos machen.
Um zum Thema zurückzukommen. Ich hätte keine Probleme damit, die VO dahin zu erweitern, Fluggästen zumindest nach Verfügbarkeit zu ermöglichen, auch auf einen Flug zeitlich vor dem geplanten umzubuchen. Ist aber meiner Meinung nach überhaupt kein Zankapfel, weil im Zweifel jede Fluggesellschaft das ja gerne macht, wenn die Alternative wäre, auf Fremdunternehmen umzubuchen oder Flugscheinkosten zu erstatten. Und wie gesagt: Wenn gar nichts angeboten wird oder nur eine unzumutbare Ersatzbeförderung, bestehen zumindest meiner Meinung nach keine Bedenken, auch jenen Schaden zu ersetzen, der nur deswegen entsteht, weil der Pax sich einen Flug vor dem geplanten Termin bucht. Leider sieht das LG Potsdam (und damit das AG Königs Wusterhausen) das etwas anders. Aber im Rest der Republik sollte das kein größeres Problem sein.