Der Mann bellt den falschen Baum an. Er redet gegen die Zeitumstellung und meint eigentlich zwei (bis drei) andere Punkte:
1.: "Zu weites" (er fordert ja trotz allem nicht UTC +0,5 fuer Deutschland) Vorstellen der Uhr.
2.: Die Zumutungen der industriellen Gesellschaft.
3.: Zu abrupte Sommerzeitumstellungen.
Daran krankt das gesamte Interview; fuer einen Wissenschaftler ist er bemerkenswert unstrukturiert.
Im einzelnen:
Roenneberg meinte:
Russland hat [die Einführung der ganzjährigen Sommerzeit] fast vier Jahre lang versucht. Der Versuch ging nach hinten los: Viele Menschen waren überrascht, dass die Sonne im Winter erst um zehn Uhr aufging, die Leute waren müde und fühlten sich schlecht. Danach entschied man sich, die Sommerzeit wieder abzuschaffen und ist nun zur dauernden Normal- oder Standardzeit übergegangen. Das bisher einzige Experiment auf Bevölkerungsebene zur Einführung der immerwährenden Sommerzeit ist also gescheitert.
Die Russen sind von der permanenten Hochsommerzeit (Uhren das ganze Jahr zwei Stunden vorgestellt) auf die permanente Sommerzeit (Uhren das ganze Jahr eine Stunde vorgestellt) gewechselt.
Roenneberg meinte:
Zu diesen Zeiten [, zu denen es noch keine Elektrizität gab,] lag die Schlafmitte bei den meisten wahrscheinlich etwa um ein Uhr. Wenn sie acht Stunden Schlaf brauchten, sind sie um neun Uhr abends eingeschlafen und um fünf aufgewacht. Mittlerweile hat die industrielle Bevölkerung eine Schlafmitte von vier Uhr - drei Stunden später. Die sozialen Zeiten sind aber nicht drei Stunden mit nach hinten gewandert. Viele müssen immer noch um sechs Uhr aufstehen, um in die Schule oder auf Arbeit zu gehen. Deshalb brauchen die allermeisten einen Wecker. Sobald Sie den zum Aufstehen brauchen, wissen Sie, dass die Körperuhr nicht mehr mit der sozialen Uhr übereinstimmt. Sie leben dann im sozialen Jetlag.
Selbstverstaendlich sind die sozialen Zeiten mit nach hinten gewandert. Wir stehen nicht mehr um sechs auf dem Feld oder in der Fabrikhalle. Sondern sitzen um acht oder neun im Buero.
Roenneberg meinte:
Man sagt immer, die Spanier essen spät. Aber wenn sie im Sommer um zehn Uhr abends essen, ist es nach Sonnen-Zeit eigentlich erst 19.30 Uhr. Der soziale Jetlag steigt innerhalb einer Zeitzone also von Ost nach West. Und das führt zu Problemen. Drei unabhängige Studien haben gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit sämtlicher Krankheiten, die man bisher untersucht hat, von der östlichen zur westlichen Grenze einer Zeitzone größer wird.
Je nun. Wir koennen in der heutigen Gesellschaft nun einmal nicht mehr nach der reinen Sonnenzeit leben. In welchen Schritten wollen wir denn standardisieren, wenn es stundenweise dann nun nicht genehm ist? Halbe Stunde, Viertelstunde? Das ist doch ein "Frueher-war-alles-besser"-Elfenbeinturm.
Gerade die Spanier zeigen, wie man es richtig macht: Indem man eben die soziale Zeit an die Sonnenzeit anpasst und nicht stur danach lebt und vor allem arbeitet, was die Uhr anzeigt. An den Stellen mit erhoehten Krankheitsraten passiert vielleicht das gerade nicht. Das muss man untersuchen, da muss man anpacken.
Und ich bin mir sicher, dass das auch geschieht, und dass das soziale Leben in Brest zu anderer (angezeigter Uhr-)Zeit stattfindet als in Bjelostock.
Roenneberg meinte:
Wenn die [Spanier] um 10 Uhr abends essen gehen, ist es nach Sonnenzeit erst 7:30 Uhr im Sommer. Außerdem gibt es über die Krankheit-Inzidenzen in der EU Zeitzone noch keine Studien. Drittens haben wir mit sehr unterschiedlichen Kulturen zu tun. Die Studien, die uns zeigen, wie sich Krankheitsstatistiken innerhalb von Zeitzonen verhalten, kommen aus Russland und den USA, also relative homogenen Kulturen.
Ach, ja Mensch. Sage ich doch. Der Mann widerlegt sich gerade selbst.
Roenneberg meinte:
Durch die Sommerzeit, im Wechsel oder ganzjährig, klaffen die soziale und die Sonnen-Uhr noch weiter auseinander.
Nein, durch die im Sommer laengeren Tage, die dazu verfuehren, bei gleichbleibendem Arbeitsleben mehr soziales Leben zu haben. Das muss ja offenbar verboten werden:
Roenneberg meinte:
Rauchen macht dem Raucher Spaß, wiegt da die Zufriedenheit die Gesundheit auch auf?
Dann viel Spass bei der Einfuehrung einer verpflichtenden Zubettgehzeit von 22 Uhr.
Roenneberg meinte:
Man muss diese chronischen Folgen von den akuten unterscheiden, die nach Umstellung auf Sommerzeit jedes Jahr auftreten. Die Herzinfarktraten gehen deutlich nach oben und es kommt häufiger zu Schwangerschaftsabgängen. Allein deshalb müsste man die Zeitumstellung abschaffen
Wieso abschaffen? Wenn es im Strassenverkehr einen Unfallschwerpunkt gibt, reisst man doch auch nicht die Strasse ab.
Man, und damit ich meine ich sowohl jeden selbst, als auch diejenigen, die Fahr-, Zeit- und Arbeitsplaene vorgeben, muessen uns halt behutsamer umstellen. Je weiter verbreitet flexible Arbeitszeiten sind, desto einfacher wird es, eben nicht am ersten April-Montag um 0800 MESZ arbeiten zu gehen, nur weil man das am letzten Maerz-Freitag um 0800 MEZ getan hat. Sondern vielleicht am Montag um 0850, am Dienstag um 0840, am Mittwoch um 0830, am Donnerstag um 0820, am Freitag um 0810 und am naechsten Montag um 0800. So mache ich es, und es geht mir dabei gut.
Roenneberg meinte:
Die innere Uhr hat sich über Jahrmillionen zu einem optimalen Dirigenten des Tagesablaufs auf biologischer und auf Verhaltensebene entwickelt.
Eben. Und die innere Uhr passt sich im Jahresverlauf der in unseren Breiten signifikant schwankenden Tageslaenge an. Das bildet die Sommerzeit gut ab. Es ist Irrsinn, waehrend des gesamten Jahres den Tagesablauf identisch zu gestalten.
Roenneberg meinte:
Das [Deutschland hätte aber eine andere Zeitzone als Frankreich und die Benelux-Staaten] macht doch nichts.
Elfenbeinturm. Null Ahnung von Wirtschaft. Doch, auch eine Stunde Zeitunterschied zu den Partnern nervt. Warum ist denn Ostdeutschland das "Land der Fruehaufsteher"? Weil da mehr Lerchen und weniger Eulen leben als im Westen? Nein, weil man sich an die Buerozeiten des grossen Bruders eine oder zwei Zeitzonen angepasst hat.
Off topic: Grosser Spass ist es uebrigens, Produktionsstandorte in Texas und Korea zu haben. Da machst du die erste Telefonkonferenz mit den Koreanern morgens um sieben (dort 15 Uhr) und die letzte mit den Amis abends um sechs (dort 11 Uhr)
Roenneberg meinte:
Wenn man um 17 Uhr noch bei Tageslicht nach Hause kommt, sollte man nicht mehr rausgehen. Denn dadurch stellt sich die innere Uhr immer später
Und hier hat er sich endgueltig desavouiert: Ich denke "die innere Uhr hat sich über Jahrmillionen zu einem optimalen Dirigenten des Tagesablaufs auf biologischer und auf Verhaltensebene entwickelt", und jetzt soll man sie mit Gewalt unterdruecken? Wieso das denn?
Roenneberg meinte:
Das Licht sollte man sich lieber morgens holen. Klar muss man dann eher aufstehen. Aber das macht nichts, denn mit viel Licht am Morgen und kaum Licht am Abend geht man früher ins Bett und wacht früher auf, vielleicht sogar ohne Wecker.
Ach so. Der Mann ist einfach eine Lerche, und will seinen Rhythmus der ganzen Gesellschaft aufoktroyieren.
Anmassend und nicht ernstzunehmen.