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Ich erwarte nicht, dass irgendwas aus dem Ausland 1:1 umgesetzt wird, das widerspricht ja auch dem innerlichen Stolz, den die Leute von Natur aus haben.
Allerdings bin ich schon erstaunt, wie wenig die Verkehrsunternehmen über ihren eigenen Tellerrand schauen. Oder eigentlich nicht, erstaunt sollte man nicht sein.
Da redete ich mal mit einem Chef eines Busunternehmens in Baden-Württemberg über die kontaktlose Kartenzahlung bei TfL. Der meinte, die Briten würden ja immer nur am Buseinstieg den selben Betrag abbuchen ohne Logik dahinter. Überhaupt sei Kartenzahlung Luxus, weil ein nicht kleiner Teil der Bevölkerung keine Kreditwürdigkeit habe, selbst unter den als sparsam geltenden Schwaben.
Der Kenner weiß, dass kontaktlose Prepaidkarten à la Kalixa keine kuriose Attraktion mehr sind (im Grunde funktionieren mpass, Monese usw. auch wie Prepaid-Angebote nur mit etwas mehr dran). Mir kann auch keiner sagen, dass die Münzgeldlogistik preiswert wäre. Aber für Nahverkehrsfahrkarten behalten die Verkehrsunternehmen happige Provisionen von bis zu 20% des Nettowertes ein, das ist natürlich ein lukratives Geschäft. Und man ist so fest im Sattel als städtisches oder stadtnahes Unternehmen, da wird man einen Teufel tun, Änderungen anzustoßen. Der größte Wachstumsmarkt für den ÖPNV ist der "Captive Rider", der kaum Ausweichmöglichkeiten hat. Wer sich darunter nichts vorstellen kann – böse Zungen sprachen früher von den fünf As: Arme, Alte, Arbeitslose, Auszubildende, Ausländer.
Hier müssten aber auch die Zahlungssysteme ihr Marketing in Deutschland verbessern. Priceless Cities ist zwar ganz lustig, aber hilft nicht dabei, die MasterCard als flexibles Zahlungsmittel für den Alltag (vom 5-Euro-Einkauf bei Lidl über ein neues Smartphone bis hin zu Flug und Hotel) zu positionieren.
Absolute Zustimmung. Was in Deutschland bzgl. der Zahlungsarten im ÖPNV aufgeführt wird, ist kurzum eine Qual und wenn man vielleicht Italien ausnimmt, so läuft es überall besser. So konnte ich beispielsweise in Österreich noch jedes Verbundticket an einem Automaten mit Kreditkarte, teilweise auch kontaktlos, bezahlen, in GB, Skandinavien aber auch Frankreich genauso. Gerade im VBB (Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg) ist es schlichtweg eine Katastrophe.
Berliner Automaten nehmen - wenn man Glück hat und es funktioniert - die EC-Karte und Maestro. Der Zahlungsvorgang dauert eine gefühlte Ewigkeit, teilweise muss man die Karte mit Gewalt aus der Maschine reißen, weil der Mechanismus versagt. Die Karte kann erst entnommen werden, wenn der Nadeldrucker mit dem letzten Zettel fertig ist, ein PIEP-Ton kommt nicht: Man sieht oft vergessene Karten in den Automaten. Kommt man aus Berlin raus, dann wird es unmöglich, unbar zu bezahlen. Potsdamer Straßenbahnen haben zwar einen netten Schlitz, doch was passt da rein: Die Geldkarte. Wer nutzt die bitte?
Stattdessen setzt man hier voll auf Barzahlung, mit den ganzen damit verbundenen Risiken. Viele Automaten nehmen wegen Manipulationen keine Scheine mehr, ich stopfte zuletzt auch eine manipulierten Automaten mit Münzen (sämtliche Karte hat er mal wieder abgelehnt), ohne eine Reaktion zu erhalten. Man darf dann anschließend als Bittsteller eine Bearbeitung in die Wege leiten und bekommt einen Gratis-Fahrschein als Entschädigung. Wenn ich alleine daran denke, was dies beidseitig an Aufwand und einseitig auch an Kosten verursacht (Bearbeitung, Ticket, Brief, Automatenentstörung, Anzeige bei der Polizei, Polizeiaktion gegen Automatenmanipulierer, ...) so kommt mir das Grauen! Wer bezahlt es: Nicht zuletzt der ÖPNV-Fahrgast selbst.
In Bussen ist es vollkommen üblich, dass die Kurzstrecke mit einem 20 €-Schein bezahlt wird, die Tageskarte auch gerne mal mit 50 €. Dass dies dann auch mal minutenlang dauert, versteht sich von selbst, aber lieber zahlt man scheinbar die Strafen wegen Verspätung an den Besteller, als die Fahrten pünktlich durchzuführen oder auf Wertkarten/Paypass/Paywave zu setzen.
Für eine Stadt mit einem hohen Anteil an internationalen Besuchern wie Berlin ist es eine Schande, dass weder Verkehrsunternehmen noch der Besteller (Senat, VBB) ansatzweise moderne Zahlungsmethoden einfordert. Schaut man zur Konkurrenz (Privat-PKW, Carsharing, Taxi), so ist man hier auf den Zug aufgesprungen. Die "5 As des ÖPNV" sind leider nicht zu verneinen.