Frage: wenn ich mich richtig erinnere, hat LH bereits vor dem Amtsgericht versucht, die Klage unmittelbar vor dem Prozess zurückzunehmen und durfte nicht, weil der Beklagte nicht zugestimmt hat. Warum ging das bei der Berufung, sind die Regeln da anders? Oder habt ihr der Rücknahme der Berufung zugestimmt? (was man auch gut verstehen kann)
Ich erlaube mir mal, die Frage zu beantworten.
Die Rücknahme einer Klage ist nur ohne Zustimmung der Gegenseite bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung möglich, danach nur noch mit Zustimmung (§ 269 Abs. 1 ZPO). Daneben besteht grundsätzlich noch die Möglichkeit eines Verzichts (§ 306 ZPO), der jedoch nur in der mündlichen Verhandlung erklärt werden kann und in praxi im Grunde nicht vorkommt. Das wäre hier (in 1. Instanz) nicht mehr möglich gewesen, weil die mündliche Verhandlung bereits stattgefunden hat und Termin zur Verkündung einer Entscheidung anberaumt war. Der Versuch der LH über die Klagerücknahme war im Hinblick auf die geringen Erfolgsaussichten klug, die Reaktion der Gegenseite (Nichtzustimmung) indes noch klüger.
Die Berufung kann ohne Zustimmung jederzeit, auch in der mündlichen Verhandlung, zurückgenommen werden. Ob die Regelung so sinnvoll ist, lasse ich mal offen. Wir hatten jedenfalls schon Fälle, in denen wir gerne die Berufung entschieden hätten, weil die erste Instanz ein nicht vollstreckungsfähiges Urteil produziert hat, der Berufungskläger dies aber dann erkannt und die Berufung sodann prozesstaktisch zurückgenommen hat. Damals haben wir überlegt, § 269 Abs. 1 ZPO analog anzuwenden, jedoch liegen die Voraussetzungen dafür unserer Ansicht nach nicht vor (ich will das jetzt nicht vertiefen, wer Interesse hat, kann nachfragen). Das erstinstanzliche Urteil ist für den obsiegenden Kläger dann mit nicht vollstreckungsfähigem Inhalt rechtskräftig geworden
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Lange Rede, kurzer Sinn: Das war hier leider nicht mehr zu verhindern. Wobei auch zweierlei zu bedenken gilt:
1. Wenn das LG Berlin die erstinstanzliche Entscheidung für richtig gehalten hätte, warum sind sie dann nicht nach § 522 Abs. 2 ZPO verfahren? Das hätte m.E. wesentlich näher gelegen. (Vllt. kann kexbox dazu noch etwas ausführen, sofern er will und darf?)
2. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob der BGH im Falle einer zugelassenen Revision das nicht mal wieder zugunsten von LH "repariert" hätte mit irgend einer schiefen Begründung. Die bisherigen Entscheidungen zu ähnlichen (wenn auch nicht komplett vergleichbaren) Konstellationen waren ja bislang eher Airline-freundlich...
In der Sache bin ich der Auffassung, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis richtig ist, in der Begründung m.E. aber auch "schief". Ich bin mit dem Kläger der Ansicht, dass bereits die Nachberechnung als solche nicht möglich ist; das Transparenzgebot wäre bei mir nur noch Hilfserwägung gewesen.
Noch kurz ein paar Worte zur Bindungswirkung:
Ein Urteil des BGH schafft in praxi meiner Erfahrung nach Ruhe - oftmals auch in ähnlich gelagerten Sachverhalten, da man oft zwischen den Zeilen auch Hinweise für leicht abweichende Konstellationen findet. Im Grunde ziehen sich sämtliche Gerichte dann darauf zurück, den BGH zu zitieren und sich die Entscheidung leicht zu machen. Eine vergleichbare Wirkung gibt es bei AG- und LG-Urteilen eher nicht. Da geht es hoch und runter und kreuz und quer, ein AG- oder LG-Richter ist im Regelfall nicht bereit, sich von einem anderen Richter in gleicher Position präjudizieren zu lassen. Nur wenn er im Ergebnis gleicher Ansicht ist, kann er sich in den Gründen ein wenig Arbeit sparen.
Ich könnte mir gut vorstellen, dass da nochmal ein Vorstoß bei einem anderen Gericht kommt, das als airlinefreundlich bekannt ist (die Anwälte von LH sollten das ja wissen...). Das Problem dann wird aber sein, dass die Konstellation vllt. nicht mehr ganz so klar ist wie hier mit dem gebuchten Anschlussflug bei derselben Airline. Wie auch immer, ich glaube für meinen Teil, das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen...
edit: Nachtrag:
@DUSfred: Der Kläger hat keine Kosten. Er muss nichts nachzahlen und bekommt die Kosten des Rechtsstreits komplett ersetzt (sofern kexbox nach RVG abgerechnet hat, wovon ich einfach mal ausgehe). Die für LH entstehenden Kosten kannst du in einem Online-Prozesskostenrechner ermitteln; den Streitwert sollte man anhand des Bild-Beitrags in etwa errechnen können: Differenz zwischen Fiktivpreis und Flugpreis, also 2.112 € - 657 € = 1.455 € (falls die Bild nicht mal wieder Unsinn schreibt). Etwa geltend gemachte Zinsen und Anwaltskosten sind Nebenforderungen und werden nicht in den Streitwert eingerechnet.
Meine Güte, ist der Beitrag wieder riesig geworden. Aber das Thema finde ich wirklich spannend