Wenn ich mir den Faden hier durchlese, bin ich erneut über die überbordende Emotionalität verwundert. Warum sind hier einige so wütend? Dass es bei der Lufthansa zu Streiks des Cockpitpersonals kommen könnte, war seit Wochen bekannt. Wer jetzt trotzdem noch dort gebucht hat und jetzt davon betroffen ist...selber Schuld.
Was ich an der Pilotenschaft durchaus bewundernswert finde: Das ist eine der wenigen hochgebildeten Berufsgruppen, die bei den meisten großen europäischen Betrieben eine relativ hohe Organisierungsquote hinbekommen und auch dementsprechend gute Konditionen erhalten.
Was wieder diese ganzen depperten Forderungen bezüglich einer Reformation des Streikrechts hin zu einem libertären Fiebertraum angeht: Das Streikrecht existiert nicht als Geschenk an die Arbeitnehmer. Das Streikrecht existiert, weil dadurch die Umstände im Arbeitskampf weitaus friedvoller sind, als wenn man Lohnstreitigkeiten unreguliert austragen würde. Das würde vielleicht für fünfzig Jahre einen Benefit geben, aber langfristig zu weitaus militanteren Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern führen.
Hier in Houston ist es genauso. LH441 ist heute gestrichen und morgen fliegt sie. Dadurch werden die meist sehr vollen Freitag Rückflüge wie geplant durchgefuerht, die Passagiere der meist leereren Donnerstag Flüge auf UA umgebucht.
Die Ursache dafür sind nicht ausschließlich die vollen Freitagsflüge, sondern der Feed in den Hub. Es bringt relativ wenig, Paxe nach FRA zu fliegen, wenn sie von dort nicht weiterkommen.
Außerdem glaube ich, die "normale Bevölkerung" hat für die absoluten Lohnerhöhungen kein Verständnis. Da draußen sind x Leute, denen geht der Arsch auf Grundeis beim Gedanken, ob sie die Heizung nächsten Winter bezahlen können und jemand streikt für eine winterliche Heizkostenabrechnung als Gehaltserhöhung im Monat.
[...] Aber in einer Zeiten der Krise müssen sich gerade auch die etwas mäßigen, denen es gut geht. Ich habe auch am Jahresende ne sechsstellige Zahl auf der Gehaltsabrechnung, aber ich fände jetzt einen Inflationsausgleich nicht richtig. Am Ende zahlen das auch die Leute mit, die gerade eh Probleme haben.
Das ist zwar auf den ersten Blick gut gebrüllt, aber auf den zweiten Blick ziemlich populistischer Unfug.
Erstens ist die moralische Beurteilung von Streiks völlig irrelevant. Ein Tarifvertrag wird zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern ausgestritten, wie die Öffentlichkeit dazu steht, ist völlig egal. Im Gegenteil, wie viel diese famose Unterstützung aus der Öffentlichkeit bringt, hat man bei den Klatschkonzerten für die Pflegebranche gesehen. Dort kann sich ja jetzt bekanntermaßen jeder Arbeitnehmer goldene Wasserhähne leisten.
Zweitens, inwiefern profitiert die Öffentlichkeit davon, wenn sich die Piloten mäßigen? Kein Krankenpfleger und kein Angestellter in der KiTa hat am Ende des Monats mehr Geld auf dem Konto, nur weil sich die Piloten bei Lufthansa ein wenig zurücknehmen. Und solange der Konzern versucht, für eine dreistellige Millionensumme schon wieder eine konkurrierende Nationalairline zu übernehmen, muss mir auch niemand etwas von Solidarität mit den anderen Arbeitnehmern im Konzern erzählen. Das Geld ist da, man investiert es nur lieber in alle anderen Sachen als in die eigene Belegschaft.
Drittens, inwiefern sollen das die Leute mitzahlen, die gerade Probleme haben? Die Leute, die gerade (und insbesondere im kommenden Winter)
wirklich Probleme bekommen, können sich schon seit Jahren keinen Flug mehr leisten, insbesondere keinen mit der Lufthansa Passage. Hier eine Lohnerhöhung, deren Auswirkungen hauptsächlich absolute Gutverdiener zu spüren bekommen werden, zur Diskriminierung von Armutsbetroffenen heraufzustilisieren, ist argumentativ wirklich die unterste Schublade.