Typisch kleinkariert deutsches Mindset. Gerade im Urlaub immer wieder zu beobachten. Viele tausend Euro für den Urlaub bezahlen, dann aber kein Kleingeld über haben (wollen), um Trinkgeld für Dienstleistungen zu geben, bzw. die Art und Weise wie diese erbracht wurde, zu honorieren. Genau das Mindset, weswegen ich Urlaubsziele mit deutschen meide bzw. ihnen aus dem Weg gehe. Selbst im höherpreisigen Bereich oft die unangenehmsten Mitreisenden ggü. Einheimischen und Dienstleistern.
Äpfel und Birnen Vergleich, da man hier bei AG-AN Verhältnis oder dem Einkauf im Supermarkt kaum vom klassischen Dienstleistungsbereich sprechen kann. Aber wenn du es so haben willst: Ich bekomme vom Arbeitgeber sogar deutlich mehr als vertraglich vereinbart. Je nach Zielerreichung bis zu 30% eines Jahresgehalts. Gute Leistung wird also ebenfalls honoriert. Und wenn ich eine Dienstleistung in Anspruch nehme und mir die Lebensmittel aus dem Supermarkt liefern lasse, dann bekommt auch der Lieferant natürlich ein Trinkgeld.
Kann man so sehen und diesen Ansatz kann ich auch verstehen. Dann brauche ich mich aber nicht einerseits permanent über die Servicewüste Deutschlands zu beklagen und dann als Kunde schlechten und guten Service gleichermaßen (also gar nicht) honorieren. Trinkgeld hat für mich z.B. nichts direkt mit der Leistung zu tun, sondern eher mit der Art und Weise wie diese erbracht wurde. Daher gebe ich auch in Deutschland gerne Trinkgeld, wenn ich eine Dienstleistung in Anspruch genommen habe und mir der Service gut gefallen hat. Das ist nichts, wozu ich mich (außer kulturelle Umstände verlangen es) je verpflichtet sähe. Vielmehr sehe ich es als Honorierung eines guten Services, was ich gerne fördere. Genauso in den USA. Bei schlechtem Service gibt es dann entsprechend nur das Minimum an Trinkgeld. Bei gutem Service gerne deutlich und spürbar mehr.Gefällt mir die Tipping Kultur? Nein. Halte ich mich dennoch daran? Natürlich. Will ich mich nicht an die regionalen Gepflogenheiten halten, fahre ich erst garnicht in das Land.
Wenn dein Arbeitgeber dir (ohne dass das irgendwo vertraglich vorgesehen wäre) tatsächlich regelmäßig 30% deines Jahresgehalts noch obendrauf schenkt (und damit sicherlich eine fünfstellige Summe), Gratulation. Macht aber garantiert kaum einer.
Falls es sich um Erfolgsboni, Gewinnanteile usw. handelt, sind die allerdings normalerweise schon vertraglich vorgesehen und dienen dazu, zu besserer Arbeit zu motivieren (allerdings wärest du auch ohne Boni i.d.R. vertraglich verpflichtet, angemessen zu Arbeiten). Das ist aber was ganz anderes Trinkgeld, weil es vorher bekannt ist (und bisweilen auch ein wichtiges Argument bei der Arbeitsplatzwahl ist) und es sich nicht um ein Geschenk des Kunden handelt.
"Honorierung guten Services" durch Trinkgeld halte ich generell für abwegig, da man in der Regel für den Service bezahlt und dann auch Anspruch darauf hat, eine vertragsgemäße Gegenleistung zu erhalten. Trinkgeld ist insofern wesensmäßig näher an Schutzgelderpressung als an Vernunft, weil es (vor allem bei solchen Auswüchsen in den USA) dazu führen kann, dass vertragsgemäße Gegenleistungen vorenthalten werden, wenn kein Trinkgeld gezahlt wird - ist also eher Schutzgeld, wie bei einer Erpressung.
Tatsächlich über die geschuldete Leistung hinausgehende Leistungen rechtfertigen an sich auch erstmal kein Trinkgeld, weil dann sinnvollerweise für die zusätzliche Leistung auch ein zusätzliches Entgelt vereinbart werden sollte. Denn es gibt sicherlich auch einige Leute, die gar keine Leistung wünschen, die über das hinausgeht, was sie bezahlt haben (und vor allem nicht dafür bezahlen wollen). Das wäre in etwa so, als würde die Telekom deine Internetgeschwindigkeit einseitig erhöhen und dir direkt eine entsprechend höhere Rechnung schicken, ohne dich je gefragt zu haben, ob du das überhaupt willst. Denn möglicherweise brauchst du gar keine 5 Gbit/s, weil dir 1 Gbit/s reicht, und willst deswegen auch nicht nur 5 Euro im Monat dafür bezahlen, dass du eine "fünfmal bessere" Leistung erhältst.