In vielen Punkten stimme ich dir zu und bin eigentlich genau deiner Meinung. Lediglich der Tenor, dass pauschal früher in der gesamten Branche besser gearbeitet wurde und heute niemand mehr etwas auf die Kette bekommt, sehe ich ein wenig differenzierter.
Naja, die Definition von Effizienz ist eigentlich ziemlich unstrittig, und der Quotient aus Resultat und Aufwand oder eben Output und Input...
Ja, aber vereinfacht dargestellt definierst du dir als Output lediglich das ausgelieferte Luftfahrzeug. Natürlich ist der Aufwand, den man heute betreiben muss um ein Luftfahrzeug zuzulassen viel höher als früher und damit nach deiner Rechnung automatisch die Effizienz schlechter - völlig egal wie genial die beteiligten Personen arbeiten würden. Diesen Mehraufwand haben aber nicht die Entwicklungsbetriebe zu verantworten, sondern sind eben Vorgaben, die umzusetzen sind und ohne die es keine Zulassung geben würde. Ich durfte das auch schmerzhaft erfahren, als ich meinen ersten Wechsel von einem Legacy-System mit Zulassungskriterien aus den 90ern hin zu einer kompletten Neuentwicklung vollzogen habe. Aber so wie du es darstellst, wäre jede Branche, die heutzutage zusätzliche Vorgaben erfüllen muss, automatisch ineffizienter als früher.
Daher ist für mich der Output viel mehr als das, was es früher als Output gab. Nämlich jedes einzelne Dokument und jeder einzelne Nachweis, welcher für die Zulassung zu erbringen ist, fließt mit ein. Und da sehe ich eben keine so große Veränderung zu früher, was das Verhältnis von Input und Output betrifft. Natürlich ist der Aufwand höher. Der Output aber eben auch. Ob es diesen Output auch wirklich so immer bräuchte, darüber kann man in vielen Bereichen sicherlich streiten. Das ist aber eben nichts, was in unserer Hand als Entwicklungsbetrieb liegen würde. Und so lange wir diese Vorgaben haben, müssen wir eben entsprechenden Aufwand betreiben.
So manche Abteilungen in Firmen haben in den letzten Jahrzehnten ihr Eigenleben entwickelt, in normalen Firmen ist es das Controlling, bei den Flugzeugherstellern die Musterprüfstelle die ihr eigenes Imperium aufgebaut haben und zu 90% um sich selbst kreisen...
Das ist eine durchaus valide Meinung, die sicherlich auf viele Bereiche zutrifft. Insbesondere ist mir dies öfters bei Auditierungen untergekommen von Unternehmen, die ein zertifiziertes Qualitätsmanagementsystem einführen mussten, nicht weil sie selber die Vorteile erkannt hätten, sondern weil sie sonst Aufträge verlieren würden. Da werden dann beispielsweise irgendwelche Kennzahlen aus dem Boden gestampft, einfach damit man Kennzahlen gemessen hat. Da muss man immer aufpassen, dass nicht "um des Messens Willen gemessen wird". Komischerweise sind es aber meist genau die Betriebe, die gut dastehen, die solche Systeme auch in ihrer Unternehmenskultur leben. Daher geht mir das wieder ein wenig zu pauschal in die Richtung: "Früher gabs keine Musterprüfleitstelle, also war alles besser und schneller".
Ich kann nur für den Personenkreis unserer Musterprüfleitstelle sprechen, mit denen ich Kontakt habe, aber die machen einen super Job. Die wissen genau, wofür sie da sind und fahren ggü. dem Zulasser die pragmatische Devise "so viel wie nötig, so wenig wie möglich". Da unser Zulasser sehr Bedacht auf Sicherheit ist, fährt der hingegen immer die Devise "Alles was möglich ist". Da bin ich schon echt froh um die Expertise der Jungs von der Musterprüfleitstelle, da sie einiges an unnötigen Nachweisen von und abblocken, auch wenn das letzte Wort (glücklicherweise) natürlich immer der Zulasser hat.
Die Änderung der Zulassungsvorschriften und der Aufwand den Entwicklungsbetriebe heute treiben stehen in keinem Verhältnis.
Da stimme ich dir in sehr vielen Punkten zu. In anderen hingegen gehen mir die derzeitigen Vorschriften noch nicht weit genug. Problematisch sehe ich viel mehr, dass Bereiche, die sich in den letzten Jahren im Nachhinein nachgewiesenermaßen unnötig verschärft haben, nicht wieder zurückgeführt werden. Niemand will sich im Safety-Bereich auf die Fahne schreiben, dass man doch ein wenig übers Ziel hinausgeschossen ist mit den Forderungen und diese wieder zurücknehmen.
Das ist aber nichtmal das größte Problem was die Verzögerungen angeht. Es ist sind vor allem die ineffizienten Entscheidungswege. Es wird oben noch an Dingen festgehalten, von denen man unten seit Ewigkeiten weiss, dass es nicht funktionieren wird, und das man garantiert nicht an Änderungen vorbei kommt. Bis man sie dann endlich machen darf, wird erstmal ein Jahr lang versucht das Problem durch Kleinreden und Versetzen der Leute mit der meisten Ahnung zu lösen... Dazu kommt noch dass heute dank der Risksharing und Outsourcing Strategien viele Designdetails sehr früh von sehr wenigen hochrangigen Beteiligten festgelegt werden, und dann unumstößlich sind. Gutes Beispiel war der im Netz wohldokumentierte "Side of Body Joint" der 787, bei der man bereits bei der Verteilung der Arbeitspakete für Mittelrumpf, Mittelflügel und Aussenflügel festgelegt hat "wir machen das wie bei der 777", nur um festzstellen, dass das in CFK nicht funktioniert. Nur wollten nun natürlich 3 Risksharing Partner den Mehraufwand bezahlt haben, alles nochmal neu zu konstruieren... Und natürlich wollte man erstmal mindestens 1 Jahr nicht glauben das es nicht funktioniert, erst als alles gebaut war und der Test schiefgegangen ist, hat der letzte Manager eingesehen, dass wohl geändert werden muss... So gibt es Hunderte von Beispielen bei den letzten Projekten.
Dass bei Boeing überhaupt noch etwas funktioniert, wundert mich sowieso mit jedem Tag mehr.
Früher waren die Entscheidungswege ganz anders, die Hirarchien flacher, die meisten Manager Ingenieure die sich hochgearbeitet und Ahnung von der Materie hatten.
Das ist bei uns glücklicherweise auch heute noch so. Hier hat es sich in den letzten 10 Jahren hingegen eher noch mehr zu dem von dir gezeichnetem "Früher" hin entwickelt. Als ich angefangen habe, waren die Hierarchien und Verantwortlichkeiten noch ganz andere und deutlich konservativer als es das heute ist.