Zum einen gibt es keine rein deutsche Perspektive mehr - wir können schon lange nicht mehr ohne die EU - und zum anderen sind Zinserhöhungen bei 5.5% Inflation und 4% EZB auch hier noch notwendig, um die Inflation zu senken. Faktisch ist der Realzins immer noch negativ.
Das ist aus drei Gründen nicht richtig.
1.) Der Leitzins liegt bei 4.5%, nicht bei 4%. Ich weiß, die wirtschaftlich heutezutage leider oftmals inkompetente FAZ bezeichnet seit kurzem den Einlagesatz als Leitzins. Das ist aber vollkommener Schmu - gleichermaßen willkürlich wäre es, die Spitzenrefinanzierungsfazilität zum Leitzins zu deklarieren. Das Gros der Liquidität wird dem Bankensystem über Hauptrefinanzierungsgeschäfte zur Verfügung gestellt, das suggeriert ja bereits der Name. Wenig überraschend ist der Leitzins die Rate auf Main Refinancing Operations.
Der Einlagesatz (4%) ist der Satz, zu dem Geschäftsbanken über Nacht kurzfristig Reserven in ihrem Konto bei der EZB parken können. Diese Möglichkeit nutzen sie in normalen Zeiten allerdings kaum, da sie auf dem Geldmarkt ja Geld für einen Zins sehr nah am Hauptrefinanzierungssatz an andere Geschäftsbanken verleihen können (also für 4.5%). Denn der Interbankenmarkt stellt für Banken ein nahezu perfektes Substitut für Hauptrefinanzierungsgeschäfte dar. Das ist eben die sachliche Begründung, warum die FAZ in diesem Falle Mist von sich gibt.
2.) Der Realzins, der sich aus der modernen Theorie ergibt (moderne Theorien = solche, die gegenüber der Lucas (1976)-Kritik robust sind), ist numal nicht der Nominalzins minus der heutigen Inflationsrate (=ex post), wie Du behauptest,
@hollaho, sondern der Nominalzins abzüglich der erwarteten (=ex ante) Inflationsrate.
Wenn Du hier als Proxy die EZB-Prognose von 3.2% für's nächste Jahr nimmst, wären wir bei 4.5% - 1.2%, also im positiven Bereich.
3.) Es ist überhaupt nicht entscheidend, ob der Realzins positiv oder negativ ist. Der langfristig gleichgewichtige Realzins - Ökonomen sind da noch etwas präziser, wenn sie dieses oft R-Star genannte Objekt definieren - für DE als auch die EU ist vermutlich negativ, vgl. die von Rachel und Summers (2019) ausgelöste Debatte um "secular stagnation".
Voraussetzung für restriktive Geldpolitik/Inflationspolitik ist nicht, ob der Realzins positiv oder negativ ist. Vielmehr ist entscheidend, dass die Zentralbank, wenn sie Inflation erfolgreich bekämpfen will, den Realzins mehr als eins zu eins mit der Inflationsrate erhöht (d.h., überproportional). Dies nennt man in der Theorie auch das Taylor-Prinzip nach einem Paper von Taylor (1993), welches später von Ökonomen wie Michael Woodford in mikrofundierten Arbeiten umfassend bestätigt wurde. Der Realzins ist denn auch seit 2022 um mehrere Prozent gestiegen. Diese Bewegung genügt den Anforderungen an eine Geldpolitik, die (inflations-)stabilisierend wirkt.
Was man sagen kann ist, daß ohne die Pigs Staaten die EZB wohl deutlich schneller die Inflation hatte beruhigen können, sprich dann hätten wir jetzt schon 5% Zins und deutlich niedrigere Inflation.
Man darf nicht vergessen, daß die letzten 2 Jahre durch die Inflation den größten Realkaufkraftverlust seit langem bewirkt haben. Inflation einfach laufenen lassen ist gefährlicher als jede Rezession. Denn den dadurch eintretenden Vertrauensverlust kann Man nur schwer wieder heilen. Eine Rezession hingegen geht vorbei.
Monetary policy involves long and variable lags. So formulierte es bereits Milton Friedman
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