Ist es wirklich eine Rezession in 22/23 wert, um die Inflation runterzukriegen? Denn es bestehen sehr gute Chancen, dass die Inflation bis dahin von selbst zurück geht.
Wiederholt man nun gut seit einem Jahr. Passiert ist genau das Gegenteil und die Inflationsspirale dreht sich immer schneller. Ich sehe auch bei keinem der globalen, preistreibenden Faktoren so schnell eine Besserung in Sicht. Der Krieg wird nicht so schnell enden, der erwartete russische Blitzsieg ist nicht eingetreten, ganz im Gegenteil es bahnt sich so ein richtiger Stellungskrieg an, der durchaus Jahre dauern kann. Covid ist auch noch nicht durch, vor allem in China geht es jetzt erst los mit monatelangen Lockdowns, die sind gedanklich noch da wo Europa und die USA im Jahr 2020 war und im Westen hat das Umdenken 1-2 Jahre gedauert. Für so "schnell" halte ich die Chinesen nicht, zumal die total festgefahren in ihrem No-Covid-Kurs sind. Die globale Lieferkettenproblematik wird also noch länger andauern bzw. sich noch weiter verschärfen. Überhaupt ist die Globalisierung, die lange für stabile bzw. gar sinkende Produktionspreise gesorgt hat, erstmal am Ende der Fahnenstange angekommen. Aus deutscher Sicht ist man erst nach Polen/Tschechien gegangen, dann Rumänien/Bulgarien, zuletzt Westbalkan. Wohin demnächst? Ukraine/Russland, Nahost, Subsahara-Afrika? Fällt logischerweise alles flach, viele Flecken auf der Erde gibt es nicht mehr wo man noch günstig unter politisch stabilen Bedingungen produzieren kann- mal abgesehen davon, dass die Lieferketten dann auch immer länger und anfälliger werden. Und in den vorgenannten osteuropäischen Ländern, wo mittlerweile ein beträchtlicher Teil der deutschen Vorproduktion stattfindet, ist die Inflationsrate schon längst im zweistelligen Bereich angekommen - Tendenz weiter steigend! Auch das wird sich verzögert auf die Endverbraucherpreise hierzulande niederschlagen.
Wie schaut es national aus. Ist hier eine Besserung in Sicht? Auch eher unwahrscheinlich, denn steigende Löhne haben sich bisher noch gar nicht auf die Preise durchgeschlagen. Aber auch hier werden die AN nicht ewig stillhalten und zusehen wie ihre Löhne schmelzen, sondern immer lauter einen Inflationsausgleich fordern. Hinzu kommt das allgemeine Arbeitsmarktproblem, was sich mit dem Wegfall der Boomer noch verschärfen wird. Überhaupt stagniert seit der Finanzkrise die Produktivität in Deutschland, man hat es total verschlafen durch Investitionen günstiger und mehr zu produzieren, sondern hat vor allem auf den Faktor Mensch gesetzt und der Arbeitsmarkt hat alles absorbiert was nicht bei drei auf den Bäumen war. Aber auch hier ist nun mal irgendwann das Ende der Fahnenstange erreicht.
Das Einzige was bisschen Linderung schaffen könnte, ist dass der Corona-Nachholeffekt demnächst wieder rum sein dürfte. Die angehäuften Ersparnisse dürften dann doch wieder schneller ausgeben worden sein als sie aufgebaut wurden. Primär betrifft dieser Nachholeffekt aber Dienstleistungen: Reisen, Gastro, Freizeit, etc., also alles was verboten war und weniger Dinge des täglichen Bedarfs. Folglich werden sich Hotel- und Flugpreise auch wieder einpendeln - auch wenn auf deutlich höheren Niveau als noch vor Covid. Allerdings ist deren Einfluss auf die allgemeine Inflationsrate nun mal überschaubar.
Bleibt dann noch die EZB: Ich persönlich erwarte von ihr gar nichts mehr. Den Grundkonflikt zwischen geringverschuldeten Nordländern mit einer einkommensstarken, aber unvermögenden Bevölkerung, die eine hohe Inflationsrate sofort hart trifft und den hochverschuldeten Südländern mit einkommensschwacher, aber vermögender Bevölkerung, wo eine hohe Inflation prinzipiell sogar nützlich ist, wird man nicht auflösen können. Wahrscheinlich trifft man sich dann irgendwo in der Mitte und fünf Prozent werden die neuen zwei Prozent als Zielwert. Höchstwahrscheinlich werden wir uns also einfach alle an höhere Inflationsraten gewöhnen müssen.