EU Fluggastrechte / Annullierung

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Airsicknessbag

Megaposter
11.01.2010
21.445
15.086
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Ich finde die Entscheidung richtig, die Aussage, dass es keine vertragliche Beziehung zwischen den verschiedenen ausführenden Airlines gegeben habe, aber falsch. Deswegen befürchte ich, dass Entscheidungen folgen werden, in denen ein Anspruch bejaht wird, wenn tatsächlich keine Beziehung besteht, also bei getrennten Tickets. Und diese hielte ich dann für falsch. Siehe kexbox, der sich auf das Urteil bei vom Reisebüro veranlassten Stückelungen beruft. Das halte ich für falsch - aber wohl erfolgversprechend.
 

doc7austin2

Erfahrenes Mitglied
10.03.2021
4.200
2.183
Ich finde die Entscheidung richtig, die Aussage, dass es keine vertragliche Beziehung zwischen den verschiedenen ausführenden Airlines gegeben habe, aber falsch. Deswegen befürchte ich, dass Entscheidungen folgen werden, in denen ein Anspruch bejaht wird, wenn tatsächlich keine Beziehung besteht, also bei getrennten Tickets. Und diese hielte ich dann für falsch. Siehe kexbox, der sich auf das Urteil bei vom Reisebüro veranlassten Stückelungen beruft. Das halte ich für falsch - aber wohl erfolgversprechend.
Also ich habe das Urteil auch noch nicht richtig durchdrungen.

Bei OTA-Buchungen (wo mehrere gestückelte Tickets hintereinander verkauft werden) durchgehend die EU-Fluggastrechte gelten, dann entsteht ein großes Mißbrauchsportenzial.
Ein Fluggast könnte auf die Idee kommen, eben bei einem OTA die folgende Verbindung zu buchen:
EU->IST (Ticket A bei Airline X)
IST->Welt (Ticket B bei Airline Y)

Jetzt geht Y pleite, stellt den Flugbetrieb, streicht die Flüge, "downgraded" oder baut eine riesige Verspätung auf. Dann müsste X fluggastrechtlich gegenüber dem Fluggast haften.
 

Airsicknessbag

Megaposter
11.01.2010
21.445
15.086
Umgekehrt genauso. Irgendeine arme, kleine Zubringer-Airline, die völlig störungsfrei Point to Point auf der Kurzstrecke fliegt, haftet auf einmal für eine Langstreckenverspätung, für die sie nichts kann, und die nicht in ihrem Geschäftsmodell berücksichtigt ist.

So liest sich das Urteil, ja. Und das fände ich durchaus problematisch, wenn es so wäre. Man wird den Airlines raten müssen, ihren Reisebüro-Vertriebspartnern ein Stückeln explizit und unter Androhung von Schadensersatz vertraglich zu verbieten.
 
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doc7austin2

Erfahrenes Mitglied
10.03.2021
4.200
2.183
Umgekehrt genauso. Irgendeine arme, kleine Zubringer-Airline, die völlig störungsfrei Point to Point auf der Kurzstrecke fliegt, haftet auf einmal für eine Langstreckenverspätung, für die sie nichts kann, und die nicht in ihrem Geschäftsmodell berücksichtigt ist.

So liest sich das Urteil, ja. Und das fände ich durchaus problematisch, wenn es so wäre. Man wird den Airlines raten müssen, ihren Reisebüro-Vertriebspartnern ein Stückeln explizit und unter Androhung von Schadensersatz vertraglich zu verbieten.
Wie soll eine Airline einen solchen Schadensersatz gegen ein OTA in Malta, Zypern, Türkei, Cayman Islands etc. erfolgreich geltend machen?

Letztendlich wird der Schaden übersichtlich bleiben. Die betroffenen Airlines werden die EU261 Forderungen schlichtweg ablehnen oder ignorieren. In weniger als 1% der Fälle kommt es zu Klagen. Und faktisch sind in einer Mehrheit der EU-Staaten die Fluggastrechte praktisch gerichtlich nicht durchsetzbar.
 

thbe

Erfahrenes Mitglied
27.06.2013
9.445
9.872
Haftung für Flugbuchungen ohne jegliche Art von Verschulden wäre in Deutschland verfassungswidrig und müsste vom BVerfG einkassiert werden.

Stark uneinheitliche Umsetzung von EU261 innerhalb der EU261 wäre in Deutschland verfassungswidrig und müsste ebenfalls vom BVerfG einkassiert werden.

Die immer “kundenfreundlicheren“ Urteile des EuGH erfreuen viele Kunden aus egoistischen Motiven. Tatsächlich könnten sie zu einer Abschaffung, mindestens Einschränkung der sich aus EU261 ergebenen Rechte führen.
 
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spocky83

Erfahrenes Mitglied
21.12.2014
3.806
1.234
MUC, BSL
Wie soll eine Airline einen solchen Schadensersatz gegen ein OTA in Malta, Zypern, Türkei, Cayman Islands etc. erfolgreich geltend machen?

Letztendlich wird der Schaden übersichtlich bleiben. Die betroffenen Airlines werden die EU261 Forderungen schlichtweg ablehnen oder ignorieren. In weniger als 1% der Fälle kommt es zu Klagen. Und faktisch sind in einer Mehrheit der EU-Staaten die Fluggastrechte praktisch gerichtlich nicht durchsetzbar.
Das sollte sich über die hinterlegte Sicherheitsleistung bei der IATA durchaus realisieren lassen.
 

schlepper

Erfahrenes Mitglied
31.08.2016
3.982
3.952
FRA
Es widerspricht doch jedweder vernünftiger Logik (und vor allem dem Rechtsgefühl!), dass ein Anbieter wie KiWi ohne das Wissen und Wollen der Airlines A und B deren Tickets irgendwie gemeinsam verkauft und dann A oder B für jeweils den anderen haften sollen.
Ich gehe einen Schritt weiter und frage, warum ich dafür Kiwi benötigen soll. Die erforderlichen Einzeltickets bekomme ich auch selber gebucht.
 

kexbox

Erfahrenes Mitglied
04.02.2010
6.446
3.153
Neuss
www.drboese.de
Ich gehe einen Schritt weiter und frage, warum ich dafür Kiwi benötigen soll. Die erforderlichen Einzeltickets bekomme ich auch selber gebucht.
Der EuGH hat durch diverse Entscheidungen, besonders durch das Urteil vom 21.12.2021 - C-146/20, den Weg vorgezeichnet:

Hohes Passagierschutzniveau bedeutet, dass auf die Sicht des Passagiers abzustellen ist.

Die ganzen Hintergrundproblemchen müssen den Verbraucher kein bisschen interessieren. Ob also im Hintergrund Codeshare, Interlining oder eine SOS-Kinderdorf-Patenschaft bestehen, ist völlig egal.

Kiwi (oder hier das Reisebüro) erweckt nach außen den Eindruck, dass eine Buchung vorliegt. Ich habe tatsächlich diverse Mandanten, die auf die Kiwi-Nummer reingefallen sind, das ist also keine akademische Fingerübung, sondern die harte Realität da draußen.

Zu der Ausgangsfrage: Diesen Schutz verdient nicht der Passagier, der ganz genau weiß, dass es keine einheitliche Buchung ist.
 
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Berlin_Lawyer

Erfahrenes Mitglied
10.10.2017
810
99
Berlin
Der EuGH hat durch diverse Entscheidungen, besonders durch das Urteil vom 21.12.2021 - C-146/20, den Weg vorgezeichnet:

Hohes Passagierschutzniveau bedeutet, dass auf die Sicht des Passagiers abzustellen ist.

Die ganzen Hintergrundproblemchen müssen den Verbraucher kein bisschen interessieren. Ob also im Hintergrund Codeshare, Interlining oder eine SOS-Kinderdorf-Patenschaft bestehen, ist völlig egal.

Kiwi (oder hier das Reisebüro) erweckt nach außen den Eindruck, dass eine Buchung vorliegt. Ich habe tatsächlich diverse Mandanten, die auf die Kiwi-Nummer reingefallen sind, das ist also keine akademische Fingerübung, sondern die harte Realität da draußen.

Zu der Ausgangsfrage: Diesen Schutz verdient nicht der Passagier, der ganz genau weiß, dass es keine einheitliche Buchung ist.
Gegenrede:

Mit dem oft zitierten „hohen Passagierschutz“ kann ich praktisch alles begründen - und der EuGH wird ja auch nicht müde, genau das zu tun, wenn ihm mal wieder sonst nichts einfällt.

Im Übrigen ist es gerade nicht egal, was „im
Hintergrund“ der Airline Industry läuft, siehe nur die BGH Sichtweise zum Wet Leasing. Hier soll sich der Pax - anders als zB beim Code Sharing - plötzlich nicht mehr an das Metall wenden müssen, das vor ihm steht. Warum nicht? Weil ein Rechtsverhältnis zwischen Leasinggeber und -nehmer besteht.

last but not least: Du sagst es ja selbst, dass Kiwi den Eindruck einer einheitlichen Buchung erweckt. Aber halt nur einen „Eindruck“. Wieso ist der Airline zuzurechnen? Es gibt auch unter 261/04 ein Verursacherprinzip. Beim Code Sharing, beim Wet Leasing und Co sehe ich ein, dass man für einen Dritten einstehen muss, den man sich nunmal selbst ausgesucht hat. Aber wenn ein absolut Ausstehender die Leistung eines anderen und meine eigene vermengt, dann auch? Sehe ich nicht. Du haftest ja auch nicht für X-beliebige.
 
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kexbox

Erfahrenes Mitglied
04.02.2010
6.446
3.153
Neuss
www.drboese.de
Ein Punkt ist richtig: Ich hätte eine Einschränkung dahingehend erwartet, dass eine (wenn auch mittelbare) vertragliche Beziehung zwischen Vermenger und Luftfahrtunternehmen besteht, um so z.B. Screenscraping rauszukegeln.
 

sebastianaut

Reguläres Mitglied
25.01.2021
56
29
Fluggastrechte und Pauschalreise...
Ein Pauschal-Reiseveranstalter behauptet wenn ich dort wegen verspäteter Ankunft (über 3h keine Außergewöhnlichen Umstände also klarer Fall...) meine Kosten etc. einreiche bekomme ich nur Ersatz nach dem Pauschalreiserecht und kann dann nicht mehr bei der Airline die Fluggastrechte geltend machen?

Glaube nicht dass diese Aussage so stimmen kann. Wo soll ich "einreichen" bzw. meine Ansprüche geltend machen. Gegenüber der Airline oder gegenüber dem Veranstalter?
Kann das Ergebnis dann wirklich unterschiedlich sein?
Danke Sebastian
 

Airsicknessbag

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11.01.2010
21.445
15.086
Die ganzen Hintergrundproblemchen müssen den Verbraucher kein bisschen interessieren. Ob also im Hintergrund Codeshare, Interlining oder eine SOS-Kinderdorf-Patenschaft bestehen, ist völlig egal.

Eigentlich nicht: Die Systematik der VO, Codeshare zu ignorieren, ist das komplette Gegenteil. Der Passagier muss sich sehr für das interessieren, was im Hintergrund läuft. Weil das seinen (nach deutschen Recht traditionell) natürlichen Anspruchsgegner, nämlich seinen Vertragspartner, ausschließt. Das ist insoweit völlig systemwidrig und läuft zusätzlich dem hohen Schutzniveau zuwider.

Ein Punkt ist richtig: Ich hätte eine Einschränkung dahingehend erwartet, dass eine (wenn auch mittelbare) vertragliche Beziehung zwischen Vermenger und Luftfahrtunternehmen besteht, um so z.B. Screenscraping rauszukegeln.

Das ist ja auch gerade der Hauptkritikpunkt der hier schreibenden Kollegen.
 
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doc7austin2

Erfahrenes Mitglied
10.03.2021
4.200
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Also in meinen Augen muss der Verbraucher geschützt werden, insb. bei der Frage, wer der Anspruchsgegner ist. Airlines müssen verpflichtet werden, dem Fluggast anzugeben, wer das ausführende Flugunternehmen ist und wo/wie Dieses im Abflugland kontaktiert werden kann.
Dann kann bei Wetlease und Codeshare-Flügen schon schwierig werden. Wer ist der Gegner z.B. bei den AY-Flügen für 4Y? Der Flieger geht kaputt und der Flug wird gestrichen. Wer muss nunmehr die Ausgleichsleistung zahlen?
 
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thbe

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27.06.2013
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Also in meinen Augen muss der Verbraucher geschützt werden, insb. bei der Frage, wer der Anspruchsgegner ist. Airlines müssen verpflichtet werden, dem Fluggast anzugeben, wer das ausführende Flugunternehmen ist und wo/wie Dieses im Abflugland kontaktiert werden kann.
Dann kann bei Wetlease und Codeshare-Flügen schon schwierig werden. Wer ist der Gegner z.B. bei den AY-Flügen für 4Y? Der Flieger geht kaputt und der Flug wird gestrichen. Wer muss nunmehr die Ausgleichsleistung zahlen?
Da wirst Du hier keinen Widerspruch bekommen.

Der Widerspruch kam auf, wenn ein Dienstleister einem Kunden mehrere einzelne Tickets als eine Reise verkauft und dann eine der Airlines für alles gerade stehen soll, obwohl genau diese Airline ihr eines Ticket korrekt geleistet hat.

Man muss dazu auch sagen, dass das ohne “Geiz ist geil” in Kombination mit “Gier frisst Hirn” auf Seiten des Verbrauchers nicht möglich ist.

Doch seit EU261 plus abwegiger EuGH-Rechtsprechung wird zunehmend der kostenlose Vollkaskoschutz selbst des gleichzeitig dümmsten und gierigsten Verbrauchers erwartet. Diese Pendel schwingt ganz sicher zurück.
 

Airsicknessbag

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11.01.2010
21.445
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Also in meinen Augen muss der Verbraucher geschützt werden, insb. bei der Frage, wer der Anspruchsgegner ist. Airlines müssen verpflichtet werden, dem Fluggast anzugeben, wer das ausführende Flugunternehmen ist

Das ist schon der Fall, Art. 11 VO 2111/2005.

und wo/wie Dieses im Abflugland kontaktiert werden kann.

Das ist nicht möglich, Art. 11 Abs. 3 S. 2 Alt. 2 VO 2111/2005

Dann kann bei Wetlease und Codeshare-Flügen schon schwierig werden. Wer ist der Gegner z.B. bei den AY-Flügen für 4Y? Der Flieger geht kaputt und der Flug wird gestrichen. Wer muss nunmehr die Ausgleichsleistung zahlen?

Das ist doch seit Thomson Airways und Sundair ausgelutscht - 4Y, natürlich.

Wie viele Kollegen schon gegen die LH Cityline-Wand gerannt sind.

Was heißt das, dass sie CL verklagt haben? Das wäre... innovativ...
 
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doc7austin2

Erfahrenes Mitglied
10.03.2021
4.200
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Artikel 11
Informationen über die Identität des ausführenden Luftfahrtunternehmens
(1) Bei der Buchung unterrichtet der Vertragspartner für die Beförderung im Luftverkehr unabhängig vom genutzten Buchungsweg die Fluggäste bei der Buchung über die Identität der/des ausführenden Luftfahrtunternehmen(s).

...

(5) Wurde ein Verkäufer von Flugscheinen nicht über die Identität des ausführenden Luftfahrtunternehmens unterrichtet, so ist er für die Nichteinhaltung der Vorschriften dieses Artikels nicht verantwortlich.

...

c) „Vertragspartner für die Beförderung im Luftverkehr“ das Luftfahrtunternehmen, das einen Beförderungsvertrag mit einem Fluggast schließt, oder im Falle einer Pauschalreise, der Reiseveranstalter. Jeder Verkäufer von Flugscheinen gilt auch ( als Vertragspartner für die Beförderung im Luftverkehr;

Was ist das denn?
Der Verkäufer muss quasi nichts machen.
 

Airsicknessbag

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11.01.2010
21.445
15.086
der EuGH mal meinte, dass die Begriffe nicht die identische Bedeutung haben in den VOen

Das ist grundsätzlich einleuchtend, weil ja die ausführende Airline in 2111/2005 auch der fluggastrechtlich irrelevante Wetlease-Nehmer sein kann. Gleichwohl sind die Situationen doch recht abseitig, in denen über den Wetlease-Nehmer informiert wird, die fluggastrechtlich ausführende Airline aber nicht (opb x for y). Ist das im echten Leben überhaupt relevant? Und welche Entscheidung meinst Du?
 

doc7austin2

Erfahrenes Mitglied
10.03.2021
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Hat Iberia dieses Spielchen nicht mit Iberia Express gespielt? Der juristische Name von Iberia und Iberia Express klingt ziemlich ähnlich. Nach Einreichung der Klage in Deutschland hat Iberia nämlich behauptet, nicht die ausführende Airline gewesen zu sein.
 

pjm

Aktives Mitglied
15.10.2019
180
138
Ich bräuchte auch mal eure Einschätzung zur nachfolgenden Situation:

Einige Mitarbeiter einer Abfertigungsfirma kündigen einen Streik an, und deswegen reduziert sich die Abfertigungskapazität um 30%. Die Firma fragt alle ihre Kunden, die Fluggesellschaften, ob für diesen Tag Flüge gestrichen werden können. Eine Fluggesellschaft, die große Personalprobleme hat und seit Wochen mehrere Flüge am Tag stornieren muss, antwortet, okay, gut, wir streichen unsere Flüge an diesem Tag.

Die Fluggesellschaft storniert die Flüge, bucht die Fluggäste um, aber verweigert Kompensation nach EU261/2004 mit Begründung "außergewöhnliche Umstände".

Frage: Hat die Fluggesellschaft Recht, dass "die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären"? Die Fluggesellschaft hätte den Streik des Abfertigungspartners unmöglich verhindern können. Aber sie war andersherum auch nicht verpflichtet, freiwillig der Bitte der Abfertigungsfirma nachzukommen.

Was meint ihr?