Wie viele neue Gaskraftwerke braucht die Energiewende wirklich? Grüne, Sozialdemokraten und Lobbyisten erwecken den Eindruck, als habe sich Wirtschaftsministerin Reiche den hohen Bedarf ausgedacht. Dabei ignorieren sie die Rolle von Robert Habeck – und den wahren Grund für die nötigen...
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Wie viele neue Gaskraftwerke braucht die Energiewende wirklich? Grüne, Sozialdemokraten und Lobbyisten erwecken den Eindruck, als habe sich Wirtschaftsministerin Reiche den hohen Bedarf ausgedacht. Dabei ignorieren sie die Rolle von Robert Habeck – und den wahren Grund für die nötigen Backup-Kraftwerke.
Bundeswirtschaftsministerin
Katherina Reiche „will die fossile Rolle rückwärts hin zu teuren Energien“, glaubt Niedersachsens Umwelt- und Energieminister Christian Meyer (Grüne). „Die neue Gas-Ministerin“ nennt sie die „taz“. Reiche will „massenhaft neue Gaskraftwerke bauen lassen“, schreibt der „Spiegel“. Das Nachrichtenmagazin sagt auch, was davon zu halten sei: „Reiches Fokussierung auf Gaskraftwerke wirkt aus der Zeit gefallen.“
Im Koalitionsvertrag von Union und SPD hatte man sich auf das Ziel geeinigt, „bis zu 20 Gigawatt Gaskraftwerksleistung bis 2030 anzureizen“, um Strom zu haben, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Das wären 40 neue Gaskraftwerke der 500-Megawattklasse, allesamt innerhalb von fünf Jahren zu bauen.
Die CDU-Ministerin Reiche muss das jetzt umsetzen, doch auf einmal zieht selbst der Koalitionspartner nicht mehr mit: „Jedes Gigawatt muss sich rechtfertigen“, bremst die energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Nina Scheer. Ihre Sorge: „Beim Neubau von Gaskraftwerken droht ein fossiler Lock-In, der bremsend auf die nötige Energiewende wirkt.“
Grüne planen Anti-Gas-Kampagne
Nach dem aus ihrer Sicht erfolgreichen Kampf gegen Kohle- und Atomkraft wollen die Grünen nun dem letzten fossilen Energieträger Erdgas den Garaus machen. „Wir stellen uns dem fossilen Rollback auf allen Ebenen mit einer großen Kampagne entgegen“, heißt es im Leitantrag zum Bundesparteitag der Ökopartei Ende November: Deutschland sei schließlich ein „Elektrostaat“, allein durch die Kraft von Sonne und Wind.
Bei den von Reiche geplanten Kapazitäten von 20 Gigawatt handele es sich um „Überkapazitäten“, die nur im Interesse einer „fossilen Lobby“ gebaut würden, erklärte Grünen-Politikerin Julia Verlinden. Auf einer Online-Konferenz ihres Parteifreundes Sven Giegold behaupteten Vortragende, dass ziemlich sicher auch fünf bis zehn Gigawatt Gaskraft ausreichen würden. Um das schwankende Aufkommen von Wind- und Solarstrom auszugleichen, könne man schließlich auf Batterien und andere „Flexibilitätsoptionen“ zurückgreifen.
Das glauben nicht nur die Grünen, das behauptet auch die Lobbygruppe „New Energy Alliance“. Das Stromnetz brauche zur Absicherung nicht Gaskraftwerke, sondern „dezentrale Lösungen“ wie Batteriespeicher, Smart Meter sowie Wärmepumpen und Autobatterien, die vom Netzbetreiber „systemdienlich“ gesteuert werden können. Dieses Vorgehen sei deutlich billiger als der Bau von Gaskraftwerken, argumentiert die Initiative – und verweist auf eine selbst in Auftrag gegebene Roland-Berger-Studie.
In der „New Energy Alliance“ haben sich Unternehmen zusammengeschlossen, die unter anderem mit der allgemeinen Elektrifizierung, aber speziell auch mit der Volatilität des Wind- und Solarstroms Geschäfte machen – eben indem sie anbieten, die Unzulänglichkeiten des wetterabhängigen Flatterstroms zu reparieren.
Neue Energieanbieter und Wärmepumpen-Vertriebe wie Enpal, Thermondo und „1KOMMA5°“ vermarkten Batteriespeicher und „smarte“ Software-Lösung zur Verbrauchssteuerung. Auch der Ladestrom-Anbieter des Volkswagenkonzerns, Elli, ist Teil der Initiative, ebenso der Batteriespezialist Bosch und der Wohnungskonzern Vonovia. Gaskraftwerke würden das Geschäft mit der Volatilität des Ökostroms eher schmälern.
Einer der Wortführer der Initiative hat gegen die Kraftwerkspläne der Bundesregierung sogar offiziell Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt. „Die geplanten Gaskraftwerke sollen dann anspringen, wenn Sonne und Wind nicht ausreichen“, sagt Philipp Schröder vom Energieanbieter 1KOMMA5°: „Genau das bilden auch gebündelte dezentrale Systeme in Form virtueller Kraftwerke ab.“ Die Pläne zum Ausbau fossiler Gaskraftwerke in Höhe von mindestens 20 Gigawatt bis 2030 seien „wettbewerbsverzerrend und treiben die Kosten für die Energiewende unnötig in die Höhe“, argumentiert er. Die EU-Kommission dürfe die beantragten Subventionen für die Kraftwerke nicht genehmigen.
Das alles erweckt den Eindruck, als habe sich die Bundesregierung und insbesondere Wirtschaftsministerin Reiche den Bedarf an 20 Gigawatt neue Kraftwerksleistung selbst ausgedacht – beziehungsweise von Gaslobbyisten diktieren lassen. Doch dem ist nicht so. Die Zielzahl stammt nicht von Reiche, sondern von einer rechtlich weitgehend eigenständig agierenden Bundesbehörde, die zudem noch von einem ehemaligen Grünen-Politiker geleitet wird: Der Bundesnetzagentur in Bonn.
Mit ihren insgesamt 3300 Mitarbeitern kalkuliert die „BNetzA“, wo und wie schnell Stromleitungen gebaut werden müssen und wie viele Kraftwerke es braucht, um Spannung und Frequenz im Netz stabil zu halten. Bislang arbeitet die Behörde mit Erfolg: Einen „Blackout“, wie ihn Spanien und Portugal am 28. April erlebten, gab es in Deutschland bislang nicht. Dass Grüne und Lobbyverbände vorgeben, besser als die Bundesnetzagentur zu wissen, wie viele Gaskraftwerke Deutschland braucht, zeugt von einem immensen Selbstvertrauen. Zugleich überrascht die Schuldzuweisung personalisiert auf die lediglich ausführende Wirtschaftsministerin Katherina Reiche.
Denn schließlich hatte die BNetzA bereits Reiches Vorgänger Robert Habeck (Grüne) 2023 ins Stammbuch geschrieben, dass es bis 2030 rund 17 bis 21 Gigawatt an „neuen erdgasbefeuerten Erzeugungskapazitäten“ braucht. So stand es im damaligen Versorgungssicherheitsbericht. Reiche plant heute nur, was auch schon für Habeck galt. Womöglich soll die grüne Kritik an der Person Reiche den tiefen Diener vergessen machen, mit dem Habeck auf der Suche nach neuen Gaslieferanten einst den Emir von Katar umschmeichelte.
Der damalige grüne Energieminister saß wegen der BNetzA-Vorgaben in einer Zwickmühle. Subventionen für 40 große Gaskraftwerke würde ihm Brüssel nur erlauben, wenn diese zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit zwingend notwendig wären. Damit hätte Habeck aber indirekt zugeben müssen, dass die Energiewende die Sicherheit der Stromversorgung gefährdet. Ein politisches No-Go für den Grünen: Zu oft hatten er und seine Partei behauptet, dass die Industrienation Deutschland sicher durch Wind- und Solarkraft versorgt werden könne.
Etikettenschwindel in Brüssel
Unter dem Genehmigungsdruck aus Brüssel kürzte Habeck den von der BNetzA vorgegebenen Kraftwerksbedarf deshalb auf 12,5 Gigawatt herunter und erklärte überdies, ein Teil der geplanten Gaskraftwerke diene nicht der Versorgungssicherheit, sondern dem Klimaschutz. Weil ihre Umstellung auf Wasserstoff-Verbrennung fest vorgegeben werde, handele es sich um eine Energiewende-Technologie. Das neue Etikett auf dem Beihilfe-Antrag sollte dafür sorgen, dass Brüssel die Subventionen schneller durchwinkt.
Eine vergebliche Hoffnung, wie sich herausstellte: Habecks Nachfolgerin Reiche verhandelt heute immer noch in Brüssel um die Genehmigung, Gaskraftwerke subventionieren zu dürfen. Dabei stellt der neue Bericht der Bundesnetzagentur zur Versorgungssicherheit inzwischen fest, dass die Energiewende sogar noch viel mehr Gaskraftwerke braucht.
In dem realistischen Szenario „Verzögerte Energiewende“ kommt die BNetzA zum Ergebnis, dass Deutschland bis 2035 sogar 35,5 Gigawatt „steuerbare Kapazitäten“ braucht. Das wären rund 70 neue Gaskraftwerke der 500-Megawatt-Klasse, die in den nächsten zehn Jahren zu bauen wären. Eine unrealistische Annahme. Dass Batterien und andere Flexibilitäts-Technologien den Job übernehmen könnten, allerdings auch.
Die Behauptung der Lobbyorganisation „New Energy Alliance“, diese gewaltigen Gas-Kapazitäten ließen sich durch dezentrale „Flexibilitäten“, Batterien und Nachfrage-Steuerung nennenswert ersetzen, erscheint wenig plausibel. Die Idee etwa, dass die Industrie ihre Produktion gewissermaßen dem Wetterbericht anpasst und bei wenig Wind und Sonne die Maschinen drosselt, gab es schließlich schon zu Habecks Zeiten.
Die Steuerung der Stromverbraucher einschließlich der Wallboxen, Autobatterien und Wärmepumpen hatte die BnetzA ebenfalls bereits eingepreist, als sie 2023 den Versorgungssicherheitsbericht für Habeck schrieb. Es brauche „flexible Verbraucher“ mit einer Kapazität von 58,8 Gigawatt, rechnete sie damals schon vor, – wohlgemerkt zusätzlich zu rund 40 neuen Gaskraftwerken.
Im neuen, Mitte dieses Jahres erschienenen Versorgungssicherheitsbericht, der bis 2035 reicht, müssen sogar noch mehr Verbraucher zu „flexiblen“ Stromnachfragern gemacht werden, damit die Energiewende funktioniert – ebenfalls zusätzlich zu den je nach Szenario 40 bis 75 neuen Gaskraftwerken. Dass sich Gaskraftwerke in nennenswertem Umfang verlässlich durch Batterien und ähnlichem ersetzen ließen, ergibt sich aus keinem der von der BNetzA durchgerechneten Szenarien.
Batteriespeicher haben die Eigenschaft, nach zwei Stunden, im Ausnahmefall nach vier Stunden vollständig geleert zu sein. Eine „Dunkelflaute“ ohne nennenswerten Wind- oder Solarstrom kann jedoch auch zwei Wochen dauern – und gleich mehrfach im Winterhalbjahr auftreten. Gaskraftwerke, so wie von der BNetzA berechnet, sind deshalb unersetzlich, wenn ein B
lackout-Szenario verhindert werden soll, wie es am 28. April die iberische Halbinsel traf.
Timm Kehler, Chef des Lobbyverbandes „Die Gas- und Wasserstoffwirtschaft“, pflegt den begrenzten Beitrag von Batteriespeichern durch ein Beispiel anschaulich zu machen. Ein leeres Blatt Papier im DIN-A4-Format repräsentiert dabei die Kapazität der deutschen Gasspeicher von 256.000 Gigawattstunden. Die Kapazität der Batteriespeicher in Deutschland macht auf diesem DIN-A4-Blatt nur einen Quadratmillimeter aus: Die Kraftwerksstrategie der Bundesregierung rechnet für 2030 lediglich mit 30 Gigawattstunden aus Batterien.
78 Prozent fossil – heute wie vor 25 Jahren
Hinter diesem Missverhältnis steht die oft verdrängte Tatsache, dass im vergangenen Jahr nach den Zahlen des
Umweltbundesamts nur 22,4 Prozent des Endenergieverbrauchs durch erneuerbare Energien gedeckt wurden. Ein Großteil davon ist Biomasse, die etwa in Form von E5 oder E10 von Autofahrern getankt wird. Auch hat Holz und Biomethan einen großen Anteil an der Heizenergie.
Insgesamt verbraucht Deutschland rund 2300 Terawattstunden pro Jahr. Diese Energiemenge will man bis 2045 „dekarbonisieren“, also klimaneutral bereitstellen. Allerdings betrug die deutsche Solarstrom-Produktion im vergangenen Jahr lediglich 74,1 Terawattstunden, trotz des enormen Ausbautempos. Windkraft lieferte mit 136 Terawattstunden ebenfalls nur einen eher kleinen Beitrag zur geplanten Dekarbonisierung von 2300 Terawattstunden Endenergieverbrauch.
Die Vorstellung, Deutschland könne ohne fossiles Erdgas ein „Elektrostaat“ auf Basis von Ökostrom-Anlagen, Batterien und flexiblen Verbrauchern werden, wie es der Leitantrag zum grünen Bundesparteitag suggeriert, reflektiert den alten Glauben der Energiewende-Pioniere an eine „All-Electric-Society“, in der alles durch Ökostrom angetrieben wird.
Die Idee sollte sich nach 25 Jahren Energiewende eigentlich überlebt haben. Denn im Umkehrschluss bedeutet die Statistik des Umweltbundesamts, dass im vergangenen Jahr immer noch 77,6 Prozent des deutschen Energieverbrauchs durch fossile Brennstoffe wie Benzin, Heizöl und Gas gedeckt wurden. Seit dem Beginn der Energiewende vor 25 Jahren hat sich dieser Anteil praktisch nicht verändert."
Bald wird das hier:
Die heimische Chip-Industrie zu schützen, hielten Europas Manager und Politiker nicht für nötig. Jetzt spürt die Autoindustrie als erste die Folgen. Bei Volkswagen werden die Bänder stillstehen. Doch das ist erst der Anfang.
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auch die Energiewende treffen, in Form von seltenen Erden, Panels und Windrädern. Von der Steuerung des erhofften "Smart Grids" mal ganz zu schweigen. Im Mobilfunknetz wollte man keine chinesischen Komponenten haben, im Smart Grid mit den EE wird es keine Wahl geben. Bin gespannt.